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Kurz notiert

17.12.2012
2023-08-30T12:17:44.7200Z
6 Min

Wahlsystem

Die zwei klassischen Wahlsysteme sind die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl. Bei der Mehrheitswahl gewinnt in einem einzelnen Wahlkreis jeweils der Kandidat ein Mandat, der dort die meisten Stimmen erhält. Bei der Verhältniswahl hingegen werden zunächst die Stimmenzahlen der Parteien im gesamten Wahlgebiet zusammengezählt. Die Gesamtzahl der Sitze im Parlament wird dann nach den Stimmenanteilen auf die Parteien verteilt.

Bei der Mehrheitswahl gilt das "winner-takes-all"-Prinzip: Der Erstplatzierte erhält den Sitz, während die Stimmen für den zweitplatzierten und alle anderen Bewerber sozusagen unter den Tisch fallen. Reine Mehrheitswahlsysteme führen daher oft zur Herausbildung eines Zwei- oder Drei-Parteiensystems. Bei der Verhältniswahl hingegen erhält eine Partei, die beispielsweise zehn Prozent der Stimmen erzielt, auch zehn Prozent der Parlamentssitze. In Verhältniswahlsystemen hat daher neben den größeren oft auch eine Reihe von mittleren oder kleineren Parteien die Chance, Mandate zu erringen.

Das bei Bundestagswahlen angewandte System verbindet die beiden Grundtypen in einer Kombination, die das Bundeswahlgesetz in § 1 als "mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl" bezeichnet. Dabei wird die Hälfte der regulär 598 Sitze in den 299 Wahlkreisen des Landes durch Mehrheitswahl besetzt. Die andere Hälfte wird über die Landeslisten der Parteien so besetzt, dass die Gesamtsitzzahlen der Parteien ihren Stimmenzahlen bestmöglich entsprechen. Insgesamt überwiegt also das Verhältnisprinzip, auch wenn die Besetzung der einzelnen Sitze mit individuellen Kandidaten teilweise nach dem Mehrheitsprinzip (Personenwahl) entschieden wird. Weitere Abweichungen vom Verhältniswahlsystem konnten bisher im Fall von Überhängen auftreten. Nach dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sollen solche Überhangmandate zukünftig jedoch ausgeglichen werden.

Erst- und Zweitstimme

Bei Bundestagswahlen hat jeder Wähler zwei Stimmen: Die Erststimme dient der Auswahl eines Wahlkreisbewerbers, der das Direktmandat im Wahlkreis erhält. Die Kandidaten werden auf dem Wahlzettel namentlich genannt. Die Auswertung der Erststimmen erfolgt nach dem Mehrheitsprinzip: Wer vor Ort die meisten Stimmen erzielt, erhält das Direktmandat. Ein bestimmtes Quorum, wie zum Beispiel die absolute Mehrheit (das heißt mindestens 50 Prozent der Stimmen) ist dafür nicht erforderlich.

Die Zweitstimme hingegen ist für die Landesliste einer Partei abzugeben. Die Auswertung der abgegebenen Zweitstimmen erfolgt über das Sitzzuteilungsverfahren. Damit werden die den Parteien beziehungsweise ihren Landesverbänden zustehenden Anteile an der Gesamtzahl der Parlamentssitze beziehungsweise an den Listenmandaten berechnet. Wenn die Zahl der Sitze für einen Landesverband feststeht, wird davon zunächst die Zahl der in dem Land erfolgreichen Wahlkreisbewerber der Partei, der Direktkandidaten, abgezogen. Sofern dem betreffenden Landesverband weitere Sitze zustehen, kommen darüber hinaus Kandidaten von der Landesliste zum Zuge.

Sitzzuteilungsverfahren

Das Sitzzuteilungsverfahren legt fest, wie die bei der Wahlauszählung ermittelten Stimmenzahlen in die Sitzzahlen der Parteien im Bundestag umgerechnet werden. Ein ideales Sitzzuteilungsverfahren muss vielfältigen Ansprüchen genügen: So sollte es gleiche Erfolgschancen beziehungsweise das gleiche Gewicht für jede einzelne Wählerstimme, aber auch die Chancengleichheit für alle Parteien gewährleisten. Zudem sollte das Verfahren dem föderalen Gleichgewicht zwischen den Bundesländern Rechnung tragen. Vor allem aber muss das Ziel erreicht werden, dass mehr Stimmen auch zu mehr Sitzen führen, jedenfalls nicht zu weniger Sitzen oder zu unlogischen Sprüngen bei der Zahl der Sitze. Schließlich sollte das Verfahren einfach anwendbar und sprachlich klar formulierbar sein.

Änderungen des Sitzzuteilungsverfahrens in der jüngeren Vergangenheit haben immer dazu gedient, diesen Zielen näher zu kommen: Die Umstellung des mathematischen Verfahrens von D'Hondt auf Hare/Niemeyer im Jahr 1985 verbesserte die Chancengleichheit der Parteien. Die weitere Umstellung auf Sainte-Laguë/Schepers im Jahr 2008 hilft zudem, unlogische Sprünge der Sitzzahlen zu vermeiden. Die im Jahr 2011 beschlossene Einführung von Länder-Sitzkontingenten sollte der Vermeidung negativer Stimmgewichte dienen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Reform als unzureichend beurteilt hat, sollen nun Länderkontingente mit einem Ausgleich von Überhangmandaten kombiniert werden. Dadurch werden negative Stimmgewichte definitiv vermieden und der Parteiproporz wird noch besser als bisher abgebildet.

Überhangmandate

Bei der Sitzzuteilung wird zunächst die erste Hälfte der vorgesehenen Parlamentssitze an die jeweils erfolgreichen Direktkandidaten aus den Wahlkreisen vergeben. Die zweite Hälfte der Parlamentssitze wird dann mit Listenkandidaten aufgefüllt, und zwar genau nach den Zweitstimmenanteilen der verschiedenen Parteien. Listenkandidaten kommen also immer dann zum Zuge, wenn die Gesamtsitzzahl, die einem Landesverband zusteht, größer ist als die Zahl seiner erfolgreichen Wahlkreisbewerber. Hat zum Beispiel eine Partei in Berlin einen Anspruch auf fünf Sitze und hat zugleich vier Wahlkreise direkt gewonnen, dann kann sie den verbleibenden fünften Sitz mit einem Kandidaten von ihrer Landesliste besetzen.

Die Differenz zwischen dem Anteil an Zweit- und an Erststimmen muss aber nicht in allen Fällen positiv sein. Es kann zum Beispiel auch vorkommen, dass der Landesverband einer Partei nach den Zweitstimmen nur einen Anspruch auf vier Parlamentssitze hat, während zugleich sechs Kandidaten dieses Landesverbandes in ihren Wahlkreisen Direkmandate gewonnen haben. Nach dem bisher geltenden Wahlrecht durften die beiden "überzähligen" Wahlkreissieger dennoch in den Bundestag einziehen. Dadurch hatte sich die Gesamtzahl der Parlamentssitze entsprechend erhöht. Diese sogenannten Überhangmandate führten dazu, dass manche Parteien im Bundestag mit mehr Abgeordneten vertreten waren, als ihnen nach dem reinen Zweitstimmen-Proporz zugestanden hätten.

Dies wird sich in Zukunft ändern. Zwar werden weiterhin alle direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag einziehen, zum Ausgleich werden aber die anderen Parteien zusätzliche Mandate erhalten, so dass die Stärkeverhältnisse nach Zweitstimmen insgesamt unverändert bleiben. Einen Überhang im früheren Sinnen wird es also nicht mehr geben. Vielmehr werden Überhangmandate der einen Parteien durch Ausgleichsmandate für andere Parteien ausgeglichen. Dadurch bleiben die durch die Verteilung der Zweitstimmen vorgegebenen Proportionen gewahrt.

Länder-Sitzkontingent

Im Rahmen des neuen Sitzzuteilungsverfahrens wird auch eine neue Größe eingeführt: Anders als früher wird bereits vor der Wahl festgelegt, wie viele Bundestags-Sitze auf jedes einzelne Bundesland entfallen. So können etwa die Wahlbewerber aller Parteien aus Baden-Württemberg künftig sicher sein, insgesamt 76 Sitze im Bundestag einnehmen zu können. Dies sind genau doppelt so viele, wie das Land Wahlkreise hat. Bisher war die Zahl der Sitze, die auf ein Land entfielen, etwas größeren Schwankungen unterworfen, die vor allem die regional unterschiedliche Wahlbeteiligung widerspiegelten. In dem neuen System wird diese Größe vorab fixiert - allerdings nur für die erste Stufe des neuen Sitzzuteilungsverfahren, die der Bestimmung von Mindestsitzzahlen aller Parteien dient. In der nachfolgenden zweiten Stufe kann es zu Korrekturen an den Ländersitzkontingenten kommen. Dabei kann sich im Einzelfall die Sitzzahl verringern. Durch den vorgesehenen Ausgleich von Überhängen ist es aber wahrscheinlicher, dass die Zahl der Sitze pro Land zunimmt.

Negatives Stimmgewicht

Auf jeden Bundestagssitz entfallen im Durchschnitt ungefähr 70.000 Wähler, die der entsprechenden Landesliste ihre Zweitstimme gegeben und damit für den Sitzgewinn der Partei gesorgt haben. Daraus folgt, dass eine ähnlich große Zahl von weiteren Wählern derselben Partei einen weiteren Sitz hätte einbringen können. Im alten Wahlsystem hat es allerdings Fälle gegeben, in denen das Gegenteil der Fall war. Zusätzliche Wähler hätten hier einer Partei schaden beziehungsweise ihr sogar einen Sitzverlust zufügen können. In diesen Fällen spricht man von einem negativen Stimmgewicht der betreffenden Wähler.

Dieser ebenso überraschende wie unerwünschte Effekt war insbesondere eine Folge von Überhangmandaten. Einem Landesverband mit vielen Wahlkreissiegern hätten weniger Zweitstimmen in aller Regel kaum schaden können, da seine Gesamtsitzzahl durch die Zahl der Direktmandate ohnehin feststand. Weniger Sitze gemäß dem prozentualen Stimmenanteil hätten hier lediglich zu mehr Überhangmandaten geführt. Allerdings wären die rechnerisch abgezogenen Sitze dann ersatzweise anderen Landesverbänden als zusätzliche Listenmandate zugeschlagen worden - unter bestimmten Umständen auch anderen Landesverbänden der eigenen Partei. In einem Fall wie diesem, in dem eine Partei in der bundesweiten Gesamtrechnung Zweitstimmen verliert, aber dennoch Sitze hinzugewinnt (oder umgekehrt), spricht man von einem negativen Stimmgewicht.