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"Nächste Reform kommt"

OMID NOURIPOUR Der Wehrexperte der Grünen-Fraktion sieht die Bundeswehr immer noch zu teuer aufgestellt. Er fordert eine andere Beschaffungsphilosophie

21.05.2013
2023-08-30T12:23:59.7200Z
5 Min

Kleiner, effizienter und billiger - so soll die Bundeswehr nach der Reform aussehen. Eigentlich kann die Opposition mit der Regierung doch zufrieden sein. Oder?

Wenn es nur um die Ziele der Reform ginge, dann wären wir mit der Regierung in vielen Punkten einer Meinung. Aber wir beurteilen die Reform nach dem Erreichten: die Streitkräfte bleiben auch in Zukunft teurer als versprochen, es gibt in vielen Bereichen kaum Anzeichen für eine Effizienzsteigerung und die anvisierte Truppenstärke wird sich nicht halten lassen.

Derzeit dienen noch rund 190.000 Soldaten in der Bundeswehr. Das anvisierte Ziel von 185.000 ist rein nummerisch fast schon erreicht...

Das ist richtig. Aber selbst aus dem Verteidigungsministerium hört man, dass eine Bundeswehr mit 185.000 Soldaten so nicht zu finanzieren ist. Deshalb wird der nächste Reformschritt kommen. Und dies vergrößert noch einmal die bereits große Verunsicherung, die die Reform bei den Soldaten ausgelöst hat.

Sie rechnen damit, dass die Regierung die Truppenstärke nach unten korrigiert?

Ja, das wird sie tun müssen, zumal Schwarz-Gelb das Geld im Wehretat nicht zusammenhalten konnte.

An welchen Stellen sehen Sie denn Einsparpotenziale bei der Bundeswehr?

Die Bundesregierung hatte vor drei Jahren - übrigens auch mit der Stimme des damaligen Innenministers de Maizière - beschlossen, in vier Jahren 8,3 Milliarden Euro im Verteidigungsetat einzusparen. Dann hieß es, dies sei erst in fünf Jahren zu realisieren. Inzwischen steigt der Verteidigungshaushalt Jahr für Jahr und es wurden zudem weitere Ausgaben in anderen Haushalten versteckt. Die zentralen Stellschrauben für Einsparungen sind die Beschaffungsprojekte. Noch immer sind die Beschaffungen mehr von einer industriefreundlichen Politik geprägt als von der Frage, was die Bundeswehr in den Einsätzen benötigt. Das aktuelle "Euro Hawk"-Desaster ist ein Beispiel dafür. Außerdem hat Minister de Maizière über zwei Jahre mit der Industrie über die Stückzahlen der neuen Hubschrauber Tiger und NH-90 verhandelt. Jetzt werden zwar weniger Hubschrauber angeschafft, aber die Ersparnis ist minimal. Diese Beschaffungsphilosophie muss geändert werden.

Umstritten ist auch die von de Maizière angestrebte Beschaffung von Kampfdrohnen. Warum lehnt ihre Fraktion das so entschieden ab?

Weil unbemannte bewaffnete Systeme die Kriegsführung dramatisch verändern. Es ist falsch, wenn der Minister behauptet, Waffen seien "ethisch neutral". Das sehen wir beim Einsatz von Cluster- und Streubomben, denen unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fallen. Wir wissen zudem von den Amerikanern, dass Soldaten, die Kampfdrohnen per Fernsteuerung lenken, deutlich öfter unter Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden als die Piloten von Kampfflugzeugen. Deswegen verstehe ich auch nicht unbedingt, warum der Minister den Schutz der Soldaten als Argument für Drohnen anführt. In der Drohnen-Diskussion zeigt sich, dass Handeln und Reden bei de Maizière nicht zusammenpassen. Einerseits stößt er eine Debatte über das Thema an und möchte über eine Beschaffung vor der Bundestagswahl nicht mehr entscheiden. Gleichzeitig läuft aber eine konkrete Kaufanfrage an die USA.

Bis zu 10.000 Soldaten sollen zukünftig in mehrere Einsätze entsendet werden können. Dabei ist die Truppe mit rund 6.500 Soldaten in den laufenden Einsätzen bereits an der Belastungsgrenze. Ist dieses Ziel überhaupt realistisch?

Das Ziel ist dann nicht realistisch, wenn man den derzeitigen Schlüssel 1:32 anlegt, das heißt, dass jeder Soldat im Einsatz von 32 in der Heimat unterstützt wird. Das ist weder modern, noch finanzierbar. Aber die eigentliche Frage lautet, für welche Art von Einsätzen diese Soldaten eigentlich vorgesehen sind. Darauf gibt es bislang keine Antwort von der Regierung. Wir müssen klären, in welchen Einsätzen wir uns engagieren wollen und welche für uns nicht in Frage kommen. Eine solche Aufgabenbeschreibung hätte am Anfang der Reform stehen müssen. Minister der Maizière hat zwar eine öffentliche Debatte über die Rolle Deutschlands in der Welt des 21. Jahrhunderts angemahnt, aber wenn es ernst wird, dann kneift er. Auch aus dem Wahlkampf will er das Thema heraushalten.

In welcher Art von Einsätzen soll sich Deutschland denn nach Meinung der Grünen engagieren?

Unsere Partei hat über diese Frage eine lange und mitunter auch schmerzhafte Debatte geführt. Wir halten die Anwendung militärischer Gewalt zwar prinzipiell für ein Übel, haben aber auch lernen müssen, dass sie in bestimmten Fällen zumindest ein größeres Übel verhindern kann. Bevor man sich für einen Einsatz entscheidet, müssen zunächst alle politischen und diplomatischen Mittel ausgeschöpft werden. Eine Erfahrung aus den vergangenen Einsätzen ist, dass man die Konflikte nicht militärisch lösen kann. Militärisch lässt sich nur ein Zeitfenster schaffen, das dann von der Politik, der Diplomatie und der Aufbau- und Entwicklungshilfe genutzt werden muss, um zivile und friedliche Strukturen zu schaffen. Bei den Grünen gibt es breiten Konsens darüber, dass in Fällen von gravierenden Menschenrechtsverletzungen oder Genoziden eine moralische Verpflichtung existiert, als letztes Mittel im Rahmen der Vereinten Nationen auch militärisch einzugreifen. Allerdings muss auch in diesen Fällen vorher immer die Machbarkeitsfrage geklärt werden.

Die Bundeswehr hat nach zwei Jahren wieder einen toten Soldaten in Afghanistan zu beklagen. Die Sicherheitslage ist noch immer schlecht. Kommt der Abzug der ISAF-Truppen bis Ende 2014 doch zu früh?

Man kann über den Zeitpunkt des Abzuges sicherlich streiten. Aber in dem Augenblick, in dem die Amerikaner die Leitplanken für den Abzug so klar vorgegeben haben, erfolgt der Abzug der Bundeswehr zwangsläufig. Der tragische Tod des Soldaten mahnt: Der Abzug wird das schwierigste und gefährlichste, was die Bundeswehr je zu leisten hatte.

De Maizière will nach dem ISAF-Abzug 600 bis 800 deutsche Soldaten in Afghanistan belassen. Ist die Lage nicht zu gefährlich für ein so kleines Kontingent?

Natürlich müssten diese Kräfte über den notwendigen Eigenschutz verfügen. Wenn sich die Bundeswehr auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte auf dem Kasernenhof beschränkt, ist dies sicherlich zu gewährleisten. Die entscheidende Frage ist aber nicht, wie viele Soldaten dort verbleiben, sondern wie sich der zivile Aufbau entwickeln soll. Was will das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit überhaupt erreichen in Afghanistan? Wie sieht das deutsche Engagement nach dem Abzug aus? Dies ist bislang völlig rätselhaft. Wenn das deutsche Engagement nach dem Abzug anders aussehen soll als bislang, dann müssen jetzt die Weichen dafür gestellt und auch die völkerrechtliche Grundlage geschaffen werden. Wir sind in Afghanistan doch nicht deswegen gescheitert, weil wir zu wenige Soldaten entsendet hätten. Wir sind daran gescheitert, dass wir zu wenig für den zivilen Aufbau getan haben.

Sie sehen den Einsatz in Afghanistan als gescheitert an?

Am Anfang des Einsatzes hieß es einmal, die Taliban könnten die westlichen ISAF-Truppen militärisch nicht besiegen, sondern nur die Geduld der westlichen Öffentlichkeit. Und genau das ist geschehen. Wenn man bedenkt, was wir in Afghanistan hätten erreichen können und wie dies durch die Unkoordiniertheit und auch Unfähigkeit verschiedenster Akteure zunichte gemacht wurde, dann komme ich unter dem Strich zu einem deprimierenden Resümee.

Das Interview führte Alexander Weinlein.

Omid Nouripour rückte 2006 für Joschka Fischer in den Bundestag nach. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.