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"Jetzt beginnt eine neue Zeit"

GEDENKSTUNDE zum 17. juni Bundespräsident Gauck schildert seine Erlebnisse und plädiert für eine Neubesinnung

17.06.2013
2023-08-30T12:24:01.7200Z
3 Min

Gedenkstunden zum 17. Juni hat der Deutsche Bundestag schon viele erlebt. Aber keine, bei der ein Bundespräsident spricht, der den Volksaufstand in der DDR im Jahr 1953 selbst miterlebt hat. Dreizehn Jahre war Joachim Gauck damals alt, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) weist in seinen einführenden Worten darauf hin.

Lammert hatte das Staatsoberhaupt durch das Reichstagsgebäude in den Plenarsaal geleitet. Nun sitzt Gauck auf einem Stuhl vor den Abgeordnetenbänken, eingerahmt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dem Vizepräsidenten des Bundesrates und niedersächischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) sowie dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) beobachtet das Geschehen von der Zuschauertribüne, ebenso wie Beteiligte des Volksaufstands von 1953, Bürgerrechtler von 1989, fast hundert Botschafter und eine Schulklasse aus dem württembergischen Biberach.

Dann tritt der Bundespräsident ans Rednerpult. Er erzählt, wie er im Norden der DDR den 17. Juni erlebt hat, den Streik tausender Werftarbeiter in Rostock und Warnemünde, dass er schulfrei bekam und Westsender wie den Rias hörte. "Ich war mir sicher: Es wird nicht weitergehen wie bisher. Jetzt beginnt eine neue Zeit!" Doch es kam anders.

Der Bundespräsident redet auf ein Ziel hin: Den 17. Juni wieder angemessen zu würdigen. Schon fünf Tage nach Beginn des Volksaufstandes habe der Berliner Senat die Straße zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule in Straße des 17. Juni umbenannt. Wenig später habe die Bundesregierung den 17. Juni als "Tag der Deutschen Einheit" zum gesetzlichen Feiertag erklärt. "Später wurden Politik, Wissenschaft und Journalismus dem 17. Juni allerdings auch im Westen nur unzureichend gerecht." Schon bald hätten Kommentare "die Bewegung auf einen Arbeiteraufstand gegen die Normerhöhung reduziert". In den 1970er- und 1980er-Jahren "verweigerte sich der Zeitgeist auch zunehmend einem Protest, der als antikommunistisch diskreditiert schien". Der 17. Juni sei auch im Westen "Thema von einzelnen Engagierten, die gegen den Strom schwammen", geworden. "Ihnen gebührt ausdrücklich unser Dank", fügt der Bundespräsident unter Applaus aus allen Fraktionen an.

Die DDR-Bürgerrechtler von 1989 und sich selbst nimmt Gauck von der Kritik nicht aus. Sie hätten nicht erkannt, dass der Aufstand von 1953 dasselbe Motiv hatte. In der Abschaffung des 17. Juni als Feiertag seien sich Ost und West einig gewesen.

Der Bundespräsident will den 17. Juni aus der "Erinnerungsreserve" herausholen. Er lobt den Vorschlag "engagierter Bürgergruppen", ihm als "Denktag" in Schulen und Bildungseinrichtungen mehr Raum zu geben. Aber die Tradition des 17. Juni zu würdigen, verlange mehr. "Es gilt, auch heute überall in der Welt denen beizustehen, die - obwohl diskriminiert und ausgegrenzt - sich mutig für Freiheit, Demokratie und Recht einsetzen." "Erinnerung an einst heiß Solidarität jetzt", schließt Gauck.

Ganz ähnlich hatte es eingangs auch Bundestagspräsident Lammert formuliert, dabei ein "besonderes Augenmerk auf die Türkei" gefordert und hinzugefügt: "Im übrigen müssen wir uns selbst auch gelegentlich kritischen Fragen zu unserem Umgang mit Andersdenkenden, Minderheiten und Demonstranten stellen." Nach gemeinsam gesungenem Deutschlandlied, geleitet Lammert das Staatsoberhaupt hinaus aus dem Plenarsaal und dem Reichstag. Gauck steigt in seine Limousine, die ihn zurück zum Schloss Bellevue bringt. Ob über die Straße des 17. Juni, ist nicht verbürgt.