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Mehr oder weniger

ARBEITSWELT Wieviel man heutzutage zum Leben braucht, war die Kernfrage vieler Debatten

15.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
4 Min

Ursula von der Leyen (CDU) hatte es doch nur gut gemeint - und war wahrscheinlich deshalb so überzeugt von ihrem Sieg. Ziemlich genau vor einem Jahr verkündete sie noch optimistisch, die Zuschussrente komme, egal, was die FDP sage. Zu diesem Zeitpunkt diskutierten nicht nur Fachleute jenseits des schwarz-gelben Lagers schon seit Monaten kontrovers über das Modell, mit dem die Bundesarbeitsministerin glaubte, eine Antwort auf das Problem der Altersarmut gefunden zu haben. Auch innerhalb von Union und FDP ebbte die Kritik an der Zuschussrente, obschon vom Koalitionsausschuss gebilligt, nicht ab. Vor allem deren geplante Finanzierung aus dem allgemeinen Steuertopf und nicht aus dem Umlagesystem der Rentenversicherung sorgte für Zoff. Ende 2012 war dann klar, dass von der Leyen für ihr Konzept keine Mehrheit innerhalb der Koalition gewinnen kann. Nicht wenige Beobachter sahen damit auch schon den Stuhl der Ministerin wackeln, da diese den Erfolg des Projektes eng an ihr eigenes Prestige gebunden hatte.

Doch nun, am Ende der Legislaturperiode, heißt die Arbeitsministerin immer noch Ursula von der Leyen und immer noch suchen die Regierungsfraktionen (und auch die Opposition) nach Konzepten gegen Altersarmut. Und siehe da, zwar spricht niemand mehr von der Zuschussrente, dafür verficht die Ministerin nun die sogenannte Lebensleistungsrente, in vielen Punkten ihrer Vorgängerversion ähnlich: "Das heißt, dass die Renten derjenigen, die jahrzehntelang eingezahlt haben, bis zu 850 Euro aufgewertet werden können, und auch Zeiten der Kindererziehung und Pflege werden besonders berücksichtigt. Damit erhält jeder, der alles richtig gemacht hat, seine Rente aus der Rentenkasse und nicht vom Sozialamt", erklärte von der Leyen Ende Juni vor dem Bundestag. Im Falle eines Wahlsieges, so steht es im Wahlprogramm der Union, werde man Geringverdienern mit 40 Versicherungsjahren einen Zuschuss zur Rente auf 850 Euro zahlen.

Rente mit 67

Umstritten blieb nicht nur die Höhe, sondern auch der Beginn der Rente. Obwohl bereits von der Großen Koalition 2007 beschlossen, sorgte der Start der schrittweisen Anhebung der Altersgrenzen ab Januar 2012 bis zuletzt für heftige Debatten im Bundestag. Ebenso die Frage eines bundeseinheitlichen Rentenrechts in Ost und West. Dies forderten die Oppositionsfraktionen in mehreren Anträgen und auch die Koalition hatte dies zu Beginn der Wahlperiode versprochen - es aber am Ende wieder einmal vertagt.

Im Zentrum der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Debatten der vergangenen vier Jahre standen dennoch die Geringverdiener. Und das nicht nur beim Thema Rente, sondern auch bei den Löhnen. Die Oppositionsfraktionen kämpften mit zahlreichen Anträgen und Gesetzentwürfen für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn. Die Spanne reichte dabei von 8,50 Euro (SPD und Grüne) bis hin zu zehn Euro (Die Linke). Bei Union und FDP freilich stießen sie damit auf Granit. Diese wehrten und wehren sich vehement gegen eine Lohnfestsetzung durch die Politik - zum Ärger der Sozialdemokraten ausgerechnet mit Verweis auf die Rolle der Tarifpartner, denen man nicht ins Handwerk pfuschen wolle.

Kein Wunder also, dass CDU/CSU und FDP stets auf das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungsgesetz verweisen, mit denen die Tarifpartner ein Mittel in der Hand haben, um branchenspezifische Mindestlöhne durchzusetzen. Unter der Regie von Schwarz-Gelb habe sich die Zahl der Beschäftigten, die von solchen Mindestlöhnen profitieren, in mittlerweile elf Branchen auf vier Millionen erhöht, lautet das Argument aus den beiden Regierungsfraktionen. Zuletzt wurde im Januar 2012 auch in der Zeitarbeit mit 900.000 Beschäftigten ein Mindestlohn eingeführt. Darüber hinaus wurden bestehende Mindestlöhne, zum Beispiel für Dachdecker und Gebäudereiniger, im vergangenen Jahr angehoben. All das konnte SPD, Grüne und Linke nicht überzeugen. Deutschland bleibe dennoch das Land mit einem der größten Niedriglohnsektoren in den westlichen Industrieländern, lautete deren Kritik.

Hartz-IV-Sätze

Doch die vergangenen vier Jahre lassen sich nicht nur auf diese großen Kontroversen um Mindestlöhne und Altersarmut reduzieren. Für eine Reihe kleinerer und größerer Veränderungen bei den Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzen gab das Arbeitsministerium den Startschuss.

Nicht immer geschah dies aus eigenem Antrieb: So sorgte im Februar 2010 das Bundesverfassungsgericht mit seinem Hartz-IV-Urteil für Aufsehen. Denn es erklärte die seit 2005 geltenden Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig. Die Leistungen seien nicht korrekt ermittelt worden und genügten dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, rügten die Richter. Zwar verlangten sie, die Berechnungsgrundlage neu zu regeln, ließen aber offen, ob das Arbeitslosengeld II erhöht werden muss oder nicht. Sie ordneten allerdings an, dass Hartz-IV-Empfänger in Ausnahmefällen Zusatzleistungen erhalten müssen, etwa bei Krankheiten. Zum 1. Januar 2012 erhöhten sich deshalb die Regelbedarfssätze in einem ersten und ein Jahr später in einem zweiten Schritt.

Arbeitsmarktreform

Das Urteil der Karlsruher Richter löste bei den Oppositionsfraktionen Zufriedenheit aus, hatten sie doch allgemein der Bundesregierung kein gutes Zeugnis bei der Förderung von Arbeitslosen ausgestellt. Für Unmut bei SPD, Grünen und Linken sorgte das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, das im Januar 2012 in Kraft trat. Es sieht vor, die Integration in Erwerbsarbeit zu beschleunigen, die Kompetenzen der Arbeitsvermittler vor Ort zu stärken und Fördermaßnahmen neu zu strukturieren. So wurde zum Beispiel der Gründungszuschuss von einer Pflicht- in eine Ermessensleistung umgewandelt und dessen Förderdauer verkürzt. Die Opposition kritisierte die Reduzierung der Förderinstrumente für Arbeitslose als eine Abkehr vom Prinzip des Förderns. Für die Regierungsfraktionen sichert das Gesetz dagegen deren "passgenaue" Förderung. Wie passgenau die Bundesagentur für Arbeit (BA) allerdings gerade Langzeitarbeitslose fördert, wird derzeit heftig diskutiert. Nachdem Versäumnisse der BA gerade bei dieser Personengruppe bekannt geworden sind, wird hinter den Kulissen nun nach Lösungen gesucht - auch während der parlamentarischen Sommerpause.