Piwik Webtracking Image

Drei Präsidenten in nur drei Jahren

WECHSEL I Gleich zwei Staatsoberhäupter schieden vorzeitig aus dem Amt Bundespräsidenten Köhler und Wulff

15.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
6 Min

Es ist der 23. Mai 2009. Das Grundgesetz feiert seinen 60. Geburtstag und Bundespräsident Horst Köhler seine Wiederwahl ins höchste Staatsamt. Von der Union und der damals noch oppositionellen FDP nominiert, kommt Köhler im ersten Wahlgang auf 613 von 1.221 gültigen Stimmen und erreichte damit exakt die erforderliche absolute Mehrheit in der Bundesversammlung. Nach bald vier Jahren Großer Koalition ließ sich der Tag auch als ein "Stück Machtwechsel" interpretieren, wie es 1969 - ebenfalls zu schwarz-roten Regierungszeiten - Gustav Heinemann nach seiner Wahl ins Präsidentenamt im Vorgriff auf die sich abzeichnende sozialliberale Koalition getan hatte. Tatsächlich konnte Köhler nach der Bundestagswahl 2009 dann dem Bundestag erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Wiederwahl vorschlagen, die sich nun von einer schwarz-gelben Koalition tragen ließ statt von Schwarz-Rot.

"Bundespräsident Horst Köhler freut sich auf fünf weitere Jahre im Amt", war in dieser Zeitung nach jener Bundesversammlung unter einem Foto des wiedergewählten Staatsoberhauptes zu lesen - doch aus den fünf weiteren Jahren im Amt wurde bekanntlich nichts: Völlig überraschend verkündete Köhler am 31. Mai 2010 seinen sofortigen Rücktritt, begründet mit Kritik an seinen umstrittenen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Nach nur gut einem Jahr musste Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) damit erneut die Bundesversammlung einberufen, die aus den Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Zahl von den Ländern zu wählenden Mitgliedern besteht und deren einzige Aufgabe die Wahl des deutschen Staatsoberhauptes ist.

Kandidatenkür

Nachdem seit der Wahl des CDU-Politikers Karl Carstens zum Bundespräsidenten im Jahr 1979 alle seine Nachfolger gleichfalls am Verfassungstag, also dem 23. Mai, gekürt worden waren, musste diese ungeschriebene Tradition nun aufgegeben werden, und Lammert legte den 30. Juni als Tag der 14. Bundesversammlung fest. Während SPD und Grüne Joachim Gauck, von 1991 bis 2000 erster Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und auch bei Union und FDP geachtet, für die Köhler-Nachfolge nominierten, schickte die schwarz-gelbe Koalition den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) ins Rennen. Statt seiner waren zuvor auch andere Persönlichkeiten öffentlich für diese Kandidatur gehandelt worden, neben Lammert unter anderem die Bundesminister Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble (beide CDU). So aber konnte nun Wulff einer klaren Mehrheit in der Bundesversammlung entgegensehen - immerhin verfügten Union und FDP dort mittlerweile gemeinsam über 21 Stimmen mehr als zur absoluten Mehrheit von nunmehr 623 Stimmen erforderlich.

Drei Wahlgänge

Trotzdem übertraf der schwarz-gelbe Kandidat diese Marke mit 625 Stimmen erst im dritten Wahlgang, in dem auch die einfache Mehrheit gereicht hätte. Für den parteilosen Gauck votierten 494 Wahlleute. 121 der insgesamt 1.244 Mitglieder der Bundesversammlung enthielten sich der Stimme.

In den ersten beiden Wahlgängen hatte kein Kandidat die dabei noch erforderliche absolute Mehrheit erreicht: Beim ersten Mal stimmten 600 Wahlleute für Wulff und 499 für Gauck. Die für Die Linke angetretene Bundestagsabgeordnete Lukrezia Jochimsen kam auf 126 Stimmen; drei Stimmen entfielen auf den Kandidaten der rechtsextremen NPD. Im zweiten Durchgang kam Wulff dann auf 615 Stimmen und Gauck auf 490 Stimmen. Jochimsen erhielt 123 Stimmen. Der NPD-Kandidat kam auf drei Stimmen, während sich sieben Wahlleute enthielten. Im dritten Wahlgang traten dann nur noch Wulff und Gauck an.

Mit gerade 51 Jahren das jüngste Staatsoberhaupt, das die Bundesrepublik je hatte, machte Wulff von Beginn an das Thema Integration zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit. Nach seiner Vereidigung mahnte er vor Bundestag und Bundesrat, weniger danach zu fragen, "woher einer kommt, als danach, wohin er will", nicht mehr nach dem Trennenden statt nach dem Verbindenden zu fragen und danach, was man voneinander lernen könne. "Dann wird Neues, Gutes entstehen", fügte der frisch gekürte Präsident hinzu, "zum Beispiel aus urdeutscher Disziplin und türkischem Dribbling, aus preußischem Pflichtgefühl und angelsächsischer Nonchalance, aus schwäbischer Gründlichkeit und italienischer Lebensart -demnächst vielleicht aus rheinländischer Lebenskunst und chinesischer Bildungsbegeisterung". Und vier Monate später betonte er in einer Ansprache zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland" - ein Satz, der nicht ohne offenen Widerspruch bleiben sollte. Gleichwohl schien es nur logisch, dass der Bundespräsident auch die Traueransprache bei der Gedenkfeier für die Opfer der mittlerweile aufgedeckten Neonazi-Mordserie sprechen wollte, zu der alle Verfassungsorgane für den 23. Februar 2012 geladen hatten.

Der zweite Rücktritt

Doch sollte es anders kommen, die Ansprache hielt die Kanzlerin, denn am 17. Februar schmiss Wulff das Handtuch und trat nach nur 598 Tagen zurück - kürzer hatte keiner seiner neun Vorgänger das höchste Staatsamt bekleidet. Wulff zog damit die Konsequenzen aus Vorwürfen, mit denen er seit zwei Monaten konfrontiert war - von der Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits für sein Haus in Großburgwedel über kostenlose Urlaube bei Unternehmerfreunden bis zur staatlichen Mitfinanzierung einer umstrittenen Lobbyveranstaltung. Einen Tag vor seinem Rücktritt hatte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten beantragt, um ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Vorteilsannahme beziehungsweise -gewährung einleiten zu können. In seiner Rücktrittserklärung wies Wulff die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück und zeigte sich mit Blick auf die "anstehende rechtliche Klärung" überzeugt, dass sie "zu einer vollständigen Entlastung führen". Ob es zu einem Prozess gegen den Ex-Präsidenten kommt, ist offen; vor zwei Wochen kündigte das Landgericht Hannover eine genaue Überprüfung der Stellungnahmen von Wulffs Anwälten zur Korruptionsanklage an.

Konsens-Kandidat

Der Bundestagspräsident jedenfalls hatte so zum dritten Mal innerhalb von weniger als drei Jahren eine Bundesversammlung einzuberufen, die nunmehr 15. in der Geschichte der Bundesrepublik. Nur eine halbe Stunde nach Wulffs Rücktrittserklärung kündigte die CDU-Vorsitzende Merkel an, bei der Suche nach einem Nachfolger einen parteiübergreifenden Konsens anzustreben. Wieder wurde über mögliche Kandidaten diskutiert, auch die Namen von Lammert und Gauck fielen dabei. Am Ende wurde dann der 1940 in Rostock geborene Theologe Gauck als Konsenskandidat von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen präsentiert.

Dem Fünf-Parteien-Kandidaten war in der Bundesversammlung am 18. März naturgemäß eine breite Mehrheit sicher: 991 von 1.232 abgegebenen Stimmen entfielen auf Gauck. Die als "Nazi-Jägerin" bekannt gewordene Beate Klarsfeld, die Die Linke nominiert hatte, kam auf 126 Stimmen. Ein NPD-Bewerber erhielt drei Stimmen, 108 Wahlleute enthielten sich, vier Stimmen waren ungültig.

Damit hatte die Bundesrepublik im 22. Jahr der Deutschen Einheit nicht nur eine Regierungschefin, sondern auch ein Staatsoberhaupt ostdeutscher Herkunft. Nach seiner Vereidigung mahnte der neue Bundespräsident, das Land müsse Gerechtigkeit und Freiheit verbinden: "Freiheit als Bedingung von Gerechtigkeit und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen." In Deutschland sollten alle zuhause sein können, die hier leben - neben der deutschsprachigen und christlichen Tradition auch Religionen wie der Islam, andere Sprachen, andere Traditionen, andere Kulturen. Hier habe Wulff nachhaltige Impulse gesetzt, betonte Gauck, die auch ihm beständig am Herzen lägen.

Dank an Böhrnsen und Seehofer

Drei Bundespräsidenten in einer Legislaturperiode - das hat es bis dahin noch nicht gegeben. Vor Köhler und Wulff war mit Heinrich Lübke nur ein Bundespräsident vorzeitig aus dem Amt geschieden; einen Tag nach Lübkes (lange zuvor angekündigten) Rücktritt zum 30. Juni 1969 hatte die Amtszeit seines fast vier Monate zuvor gewählten Nachfolgers Heinemann begonnen. So nahtlos ließen sich die Wechsel von Köhler auf Wulff und von Wulff auf Gauck nicht gestalten - zwischen Rücktritt und Neuwahl lagen jeweils 30 Tage, die im Grundgesetz maximal vorgesehene Frist. Deshalb rückte auf einmal Grundgesetz-Artikel 57 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Danach werden die Befugnisse des Bundespräsidenten "bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen".

Bundesratspräsident war zum Zeitpunkt des Köhler-Rücktritts Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und bei Wulffs Demission Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Böhrnsen habe die Befugnisse des Bundespräsidenten "ebenso diskret wie überzeugend wahrgenommen", bescheinigte ihm Lammert bei Wulffs Vereidigung 2010, "ruhig, sachlich und unaufgeregt, wie die Bremer so sind". Und 2012 konnte er Seehofer bei Gaucks Vereidigung attestieren, diese Aufgaben "mit bayerisch-präsidialer Souveränität fast unauffällig ausgeführt" zu haben.