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Von der gescheiterten Revolution zur gescheiterten Republik

GESCHICHTE Erst nach langem Vorlauf kam es in Deutschland zur parlamentarischen Demokratie. Doch zum Ende des Weimarer Staates schaltete sich der Reichstag…

05.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
3 Min

Es war 1848 eines der zentralen Ziele der Märzrevolution: "Ein deutsches Parlament, frei gewählt durch das Volk" - und tatsächlich sollte dieses Ziel zunächst erreicht werden. Hatte es in Deutschland schon zuvor Anfänge parlamentarischen Lebens gegeben, etwa in Baden, kam es nun zur Wahl der ersten gesamtdeutschen Volksvertretung: Am 18. Mai 1848 konstituierte sich in der Paulskirche in Frankfurt am Main die "Nationalversammlung", gewählt von wirtschaftlich unabhängigen Männern nach unterschiedlichen Wahlverfahren in den Einzelstaaten. Wahlberechtigt waren etwa drei Viertel der deutschen Männer, keine Frauen.

Reichsgründung "von oben"

Zwar war die von den Abgeordneten verabschiedete Verfassung für den angestrebten Nationalstaat faktisch gescheitert, als Preußens König Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 die angebotene Kaiserkrone ablehnte; zweieinhalb Monate später wurde das verbliebene "Rumpfparlament" gewaltsam aufgelöst. Die von der Nationalversammlung beschlossenen "Grundrechte des deutschen Volkes" wirkten indes noch in der Weimarer Verfassung und dem Bonner Grundgesetz fort. Für den deutschen Parlamentarismus war die Paulskirche auch in anderer Hinsicht bedeutsam, beispielsweise mit der Bildung fraktionsähnlicher Gruppierungen; politische Positionsbeschreibungen wie "Rechte" oder "Linke" gehen auf die Sitzordnung der Frankfurter Honoratiorenversammlung zurück.

Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 war dann ein Werk "von oben" - entsprechend eingeschränkte Rechte wurden der Volksvertretung eingeräumt, dem Reichstag. Er wurde in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl für drei, später für fünf Jahre bestimmt, wahlberechtigt waren alle männlichen Deutschen im Alter über 25 Jahren. Der Reichstag durfte im Wesentlichen an der Gesetzgebung mitwirken. Der Kanzler aber wurde nicht von den Abgeordneten gewählt, sondern vom Kaiser ernannt; diesem war er auch politisch verantwortlich. Dennoch nicht nur die Beteiligung an den Reichstagswahlen stieg von nur 50,7 Prozent im Jahr 1871 auf 84,9 Prozent im Jahr 1912, auch an politischem Gewicht legte das Parlament zu.

Für entscheidende Reformen wurde der Weg jedoch erst frei, als im Herbst 1918 die militärische Führung des Kaiserreichs unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg einräumen musste, nicht aber die Verantwortung dafür tragen wollte. So kam es am 3. Oktober 1918 erstmals zu einer Reichsregierung, die von einer parlamentarischen Mehrheit getragen wurde. Am 28. Oktober wurde dann die Reichsverfassung ergänzt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages", hieß es nun in Artikel 15 - Deutschland war eine parlamentarische Monarchie geworden.

Für die Monarchie war es indes zu spät: Am 9. November dankte Wilhelm II. ab, und von einem Fenster des Reichstagsgebäudes in Berlin rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik aus. Anders als 1848 waren bei der folgenden Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Januar 1919 auch die Frauen wahlberechtigt.

Peilten SPD und bürgerliche Parteien eine parlamentarische Demokratie an, erstrebte das links-sozialistische Lager erfolglos eine Räterepublik sowjetischen Vorbilds. Bei der Wahl gewann die "Weimarer Koalition" der zur Demokratie stehenden Parteien SPD, Zentrum und DDP (Deutsche Demokratische Partei) eine Dreiviertelmehrheit in der Nationalversammlung, die im Juli 1919 eine republikanische und demokratische Verfassung verabschiedete - freilich nicht ein rein parlamentarisches System. Zwar war der Kanzler dem Parlament verantwortlich und musste ohne dessen Vertrauen zurücktreten, wurde aber vom Reichspräsidenten ernannt und nicht durch den Reichstag gewählt. Dieser Präsident, direkt vom Volk gewählt, stand mit weit reichenden Vollmachten dem Parlament gegenüber - er konnte den Reichstag auflösen und Notverordnungen mit Gesetzescharakter erlassen.

Nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages Anfang 1920 verlor die Weimarer Koalition im Juni bei der ersten Reichstagswahl für immer die absolute Mehrheit; mit Ausnahme mehrerer großer Koalitionen folgten vom Parlament tolerierte, kurzlebige Minderheitsregierungen. Als dann im März 1930 die letzte große Koalition aus SPD, Zentrum und DDP sowie DVP und BVP (Deutsche beziehungsweise Bayerische Volkspartei) zerbrach, sollte sich im Reichstag der Weimarer Republik fortan keine Mehrheit mehr für eine vom Parlament getragene Regierung finden; stattdessen regierten sogenannte Präsidialkabinette mit Hilfe des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten. Der Reichstag, resümierte später ein Historiker, schaltete sich selber aus.

Endgültig entmachtet

Nach der Wahl vom Juli 1932 stellten mit NSDAP und KPD erklärte Republikfeinde zusammen die Mehrheit im Reichstag, der sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 endgültig entmachtete: Das gegen die Stimmen der SPD in Abwesenheit der KPD-Abgeordneten verabschiedete "Ermächtigungsgesetz" erlaubte Hitler, Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags und Gegenzeichnung des Reichspräsidenten zu erlassen - Deutschland ging den Weg in die NS-Diktatur.