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Annette Sach
Kurz notiert

Ggen die Hitze hat Zirley Montag ein Rezept: "Wollen wir Minzsirup machen?", fragt sie ihre kleine Tochter Frida. Die Sechsjährige hat gerade ein ganzes Büschel duftender Minzzweige aus ihrem Kinderbeet geholt, die sie sorgfältig aufeinander stapelt. Am Nachmittag wird sie mit ihrer Mutter daraus mit Zucker, Wasser und Zitrone einen leckeren Sirup kochen. Ob Minze, Zucchini oder Physalis, vieles, was bei Familie Montag auf den Tisch kommt, stammt aus dem "Wuhlegarten" in Berlin Köpenick - dem ersten interkulturellen Garten in Berlin, der 2003 auf einer Brache am Ufer der Wuhle gegründet wurde. Inzwischen sind in Berlin mehr als 17 dieser Gärten entstanden oder in Planung. Auf 4.000 Quadratmetern bauen hier rund 40 Familien aus 15 Nationen gemeinsam Obst und Gemüse an. "Es gibt einen Gemeinschaftsgarten für alle und viele Familien haben zusätzlich eine kleine Parzelle mit rund 40 Quadratmetern, auf der sie pflanzen können, was sie möchten", sagte Zirley Montag. Die 33-jährige ist 2004 aus Peru nach Deutschland gekommen. Das Gartenprojekt hat sie mit einer Freundin entdeckt: "Ich war sofort darin verliebt, es war genau das, was ich gesucht habe", erzählt sie. Im Wuhlegarten, der seit kurzem ein Verein ist, kümmert sich die Betriebswirtin, die auf social business spezialisiert ist, um die Finanzen - wie alle hier ehrenamtlich. Der Papierkram kostet eine Menge Zeit, die die zierliche Frau mit den langen braunen Haaren eigentlich lieber in der Erde buddeln würde.

Ehrenamts-Familien

Aber obwohl Zirley Montag drei Tage in der Woche auch noch in einer anderen Stadt arbeitet, was Zeit und Kraft kostet, engagiert sie sich dennoch darüber hinaus: für eine Städtepartnerschaft zwischen Köpenick und einer peruanischen Stadt und eine Initiative für spanisch sprechende Mütter in ihrem Bezirk, mit der die Zweisprachigkeit gefördert werden soll. "Die Arbeit muss nicht im Sinne von Geld bereichern, sondern Sinn machen", sagt sie. Die Leidenschaft, sich gemeinschaftlich zu engagieren, wird oft in der Familie weitergegeben: "Ich komme aus einer Ehrenamts-Familie", erzählt Brigitte Kanacher-Ataya, Vorsitzende des Vereins Wuhlegarten, die gerade den Rasenmäher ausgestellt hat. "Meine Mutter hat sich in der Altenbetreuung engagiert und meine Töchter arbeiten im Vorstand eines Jugendprojets mit." Die dreifache Mutter, die als Christin zum Islam konvertiert ist, hat hier unter anderem einen interreligiösen Kräutergarten angelegt - das Beet hat die Form eines Klostergartens, in dem religiöse Symbole miteinander verbunden sind.

Zusammenhalt stärken

Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Menschen und Kulturen zu schaffen, ist das Hauptanliegen der Ehrenamtlichen im Wuhlegarten. Auf den Zusammenhalt der Mitglieder, die aus Ägypten, Polen, aber auch aus Deutschland kommen, wird viel Wert gelegt. Brigitte Kanacher-Ataya und die anderen Gärtner wollen zeigen, dass Menschen aller Kulturen und Nationen im Mikrokosmos Garten "friedlich zusammenleben können". Aber auch hier gibt es unterschiedliche Typen, Vorlieben und Bedürfnisse - und damit auch Konflikte, die gelöst werden müssen. Vor allem geht es den beiden Frauen darum, alle Migranten aktiv einzubeziehen. Wenn jemand nicht so schnell sprechen könne, müsse man sich eben mehr Mühe geben. Denn, so betont Kanacher-Ataya: "Dies ist ein Projekt für Migranten und kein billiger Schrebergarten." Die Besonderheit der interkulturellen Gärten ist dabei, dass Migranten, von denen viele mit sehr wenig Geld auskommen müssen, hier die Gelegenheit bekommen, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. "Die Gärten bringen einen neuen Aspekt in die Integrationsdebatte", sagt Christa Müller, geschäftsführende Gesellschafterin der "anstiftung", die die Arbeit der interkulturellen Gärten unterstützt, vernetzt und erforscht. Denn es geht "nicht um einseitige Leistungen oder das Anpassen an eine Leitkultur", sondern "Gärtnern eignet sich wie Sport oder Musik machen besonders dafür, dass Menschen ihre ganz eigenen Kompetenzen einbringen können", sagt die Soziologin. So könnten etwa Analphabeten in einer hochindustrialisierten Gesellschaft ihr Wissen weitergeben und "in der Fremde Wurzeln schlagen".

Die Erfahrung des "Gebens und Nehmens" macht auch für Zirley Montag die ehrenamtliche Arbeit im Garten so reizvoll. Mit ihrer Tochter Frida hat sie jetzt das Kinderbeet vom Unkraut befreit und gibt der Physalis-Pflanze noch etwas Erde - wohl wissend, dass es in ihrem Garten auch weiter viel zu tun gibt, denn wie sagte der Gärtner Karl Foerster: "Wer denkt, dass ein Garten fertig ist, ist kein Gärtner."

Aus Politik und Zeitgeschichte

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