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Kurz notiert

19.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
7 Min

Gegen die Hitze hat Zirley Montag ein Rezept: "Wollen wir Minzsirup machen?", fragt sie ihre kleine Tochter Frida. Die Sechsjährige hat gerade ein ganzes Büschel duftender Minzzweige aus ihrem Kinderbeet geholt, die sie sorgfältig aufeinander stapelt. Am Nachmittag wird sie mit ihrer Mutter daraus mit Zucker, Wasser und Zitrone einen leckeren Sirup kochen. Ob Minze, Zucchini oder Physalis, vieles, was bei Familie Montag auf den Tisch kommt, stammt aus dem "Wuhlegarten" in Berlin Köpenick - dem ersten interkulturellen Garten in Berlin, der 2003 auf einer Brache am Ufer der Wuhle gegründet wurde. Inzwischen sind in Berlin mehr als 17 dieser Gärten entstanden oder in Planung. Auf 4.000 Quadratmetern bauen hier rund 40 Familien aus 15 Nationen gemeinsam Obst und Gemüse an. "Es gibt einen Gemeinschaftsgarten für alle und viele Familien haben zusätzlich eine kleine Parzelle mit rund 40 Quadratmetern, auf der sie pflanzen können, was sie möchten", sagte Zirley Montag. Die 33-jährige ist 2004 aus Peru nach Deutschland gekommen. Das Gartenprojekt hat sie mit einer Freundin entdeckt: "Ich war sofort darin verliebt, es war genau das, was ich gesucht habe", erzählt sie. Im Wuhlegarten, der seit kurzem ein Verein ist, kümmert sich die Betriebswirtin, die auf social business spezialisiert ist, um die Finanzen - wie alle hier ehrenamtlich. Der Papierkram kostet eine Menge Zeit, die die zierliche Frau mit den langen braunen Haaren eigentlich lieber in der Erde buddeln würde.

Ehrenamts-Familien

Aber obwohl Zirley Montag drei Tage in der Woche auch noch in einer anderen Stadt arbeitet, was Zeit und Kraft kostet, engagiert sie sich dennoch darüber hinaus: für eine Städtepartnerschaft zwischen Köpenick und einer peruanischen Stadt und eine Initiative für spanisch sprechende Mütter in ihrem Bezirk, mit der die Zweisprachigkeit gefördert werden soll. "Die Arbeit muss nicht im Sinne von Geld bereichern, sondern Sinn machen", sagt sie. Die Leidenschaft, sich gemeinschaftlich zu engagieren, wird oft in der Familie weitergegeben: "Ich komme aus einer Ehrenamts-Familie", erzählt Brigitte Kanacher-Ataya, Vorsitzende des Vereins Wuhlegarten, die gerade den Rasenmäher ausgestellt hat. "Meine Mutter hat sich in der Altenbetreuung engagiert und meine Töchter arbeiten im Vorstand eines Jugendprojets mit." Die dreifache Mutter, die als Christin zum Islam konvertiert ist, hat hier unter anderem einen interreligiösen Kräutergarten angelegt - das Beet hat die Form eines Klostergartens, in dem religiöse Symbole miteinander verbunden sind.

Zusammenhalt stärken

Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Menschen und Kulturen zu schaffen, ist das Hauptanliegen der Ehrenamtlichen im Wuhlegarten. Auf den Zusammenhalt der Mitglieder, die aus Ägypten, Polen, aber auch aus Deutschland kommen, wird viel Wert gelegt. Brigitte Kanacher-Ataya und die anderen Gärtner wollen zeigen, dass Menschen aller Kulturen und Nationen im Mikrokosmos Garten "friedlich zusammenleben können". Aber auch hier gibt es unterschiedliche Typen, Vorlieben und Bedürfnisse - und damit auch Konflikte, die gelöst werden müssen. Vor allem geht es den beiden Frauen darum, alle Migranten aktiv einzubeziehen. Wenn jemand nicht so schnell sprechen könne, müsse man sich eben mehr Mühe geben. Denn, so betont Kanacher-Ataya: "Dies ist ein Projekt für Migranten und kein billiger Schrebergarten." Die Besonderheit der interkulturellen Gärten ist dabei, dass Migranten, von denen viele mit sehr wenig Geld auskommen müssen, hier die Gelegenheit bekommen, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. "Die Gärten bringen einen neuen Aspekt in die Integrationsdebatte", sagt Christa Müller, geschäftsführende Gesellschafterin der "anstiftung", die die Arbeit der interkulturellen Gärten unterstützt, vernetzt und erforscht. Denn es geht "nicht um einseitige Leistungen oder das Anpassen an eine Leitkultur", sondern "Gärtnern eignet sich wie Sport oder Musik machen besonders dafür, dass Menschen ihre ganz eigenen Kompetenzen einbringen können", sagt die Soziologin. So könnten etwa Analphabeten in einer hochindustrialisierten Gesellschaft ihr Wissen weitergeben und "in der Fremde Wurzeln schlagen".

Die Erfahrung des "Gebens und Nehmens" macht auch für Zirley Montag die ehrenamtliche Arbeit im Garten so reizvoll. Mit ihrer Tochter Frida hat sie jetzt das Kinderbeet vom Unkraut befreit und gibt der Physalis-Pflanze noch etwas Erde - wohl wissend, dass es in ihrem Garten auch weiter viel zu tun gibt, denn wie sagte der Gärtner Karl Foerster: "Wer denkt, dass ein Garten fertig ist, ist kein Gärtner."

Bei Margot Friedrich war der Auslöser die Schwiegermutter: Als diese vor einigen Jahren an Demenz erkrankte, stand plötzlich ein bis dahin relativ unbekanntes Thema im Raum. "Man weiß so wenig über Demenz und bekommt bei der Diagnose erst mal einen Schock", erinnert sich die 50-Jährige. Doch der dauerte nicht lange - denn zufällig zur selben Zeit wurde Friedrich durch einen Zeitungsartikel auf DUO aufmerksam. Ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes Köln und der Kölner Freiwilligen-Agentur mit dem Ziel, "Entlastungen für Familien mit Demenzerkrankten" anzubieten. DUO warb um Menschen, die sich ehrenamtlich für dieses Ziel engagieren wollen und bot, so wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, dafür zunächst eine 36-stündige Schulung zum Thema Demenz an. "Das war total hilfreich für mich, weil ich dort sehr viel über die Krankheit und den Umgang mit ihr gelernt habe", sagt Friedrich. Seit 2008 kümmert sie sich nun in der Rheinmetropole um Demenzkranke - neben einer 30-Stunden-Arbeitswoche. "Meine beiden Söhne waren Teenager. Da hatte ich einfach Kapazitäten frei", sagt die sehr bescheiden auftretende Frau.

Angst vor Pflegenotstand

In der Öffentlichkeit sorgt vor allem die Angst vor einem baldigen Pflegenotstand in Deutschland für Aufregung: So schreibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seinem aktuellen Demenz-Report von derzeit 1,3 Millionen Menschen mit Demenz und prognostiziert für das Jahr 2030 zwei Millionen und für 2050 sogar 2,6 Millionen Demenzkranke in Deutschland. "Das sind zu viele, um sie in Heimen von Fachpersonal versorgen zu lassen - selbst wenn es von beidem genug gäbe", stellen die Wissenschaftler fest.

Demenz, der Verlust wichtiger Gehirnfunktionen wie Gedächtnis, Orientierung, Sprache und Lernfähigkeit, zeigt sich oft erst ab einem gewissen Alter - so wie, in Ansätzen, bei dem 94-jährigen Kurt Seiboldt (Name geändert), den Margot Friedrich derzeit betreut. Immer dienstags macht sie sich nach der Arbeit auf den Weg zu dem alten Herren, um zwei Stunden mit ihm zu reden oder zu singen. Aber vor allem geht es ums Reden: "Wir sprechen ganz viel von der Vergangenheit. Das ist wie eine Schatzkiste. Diese alten Menschen sind wie Bücher und ich erfahre unglaublich viel über das Köln von früher. Ich fühle mich da auch beschenkt." Wenn Herr Seiboldt nicht davon überzeugt wäre, immer noch in der Fima eines großen Autobauers zu arbeiten - man würde ihm seine Demenz nicht auf den ersten Blick anmerken. "Er ist eben 94 Jahre und sitzt im Rollstuhl, er ist vor allem ein sehr alter Mann", sagt Friedrich. Um ihm in den späten Nachmittagsstunden über seine dann oft einsetzende innere Unruhe hinwegzuhelfen, habe sich seine Tochter entschieden, das Angebot von DUO anzunehmen, sagt Friedrich. Auch, um die ebenfalls über 90-jährige, stark schwerhörige Mutter zu entlasten. Denn der dreimal täglich in den Haushalt des Ehepaares kommende Pflegedienst, ist "nur" für reine Pflegedienstleistungen zuständig.

Menschliche Nähe

Was Demenzkranke aber ebenso wie medizinische und körperliche Pflege benötigten, sei "Begleitung, Kommunikation, menschliche Nähe", schreibt das Berlin-Institut in seinem Demenz-Report. Über 100 Freiwillige tun für DUO genau dies. Sie betreuen rund 140 Familien im Jahr, sorgen dafür, dass pflegende Angehörige für einige Stunden in der Woche entlastet werden. Denn sich um einen Demenzkranken zu kümmern, kann, je nach Krankheitsstadium, bedeuten, ihn keine Minute allein lassen zu können. Eine Pause zu machen, ist bei diesem 24-Stunden-Job ohne Hilfe nicht möglich. "Meist melden sich die Angehörigen erst sehr spät bei DUO, nämlich dann, wenn sie mit ihren Kräften schon völlig am Ende sind und nicht mehr können", stellt Kristin Fischer, Koordinatorin des Projektes, fest. Einen Grund vermutet sie in dem in der älteren Generation verbreiteten Selbstverständnis, diese Aufgabe allein meistern zu müssen. Sich Hilfe von außen zu holen, werde oft als eigenes Versagen empfunden, sagt sie. Erstaunlich sei auch, wie schlecht die meisten über Hilfsangebote Bescheid wissen, zum Beispiel über den Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen von bis zu 200 Euro monatlich. Über diesen "guten, sehr flexiblen Topf" finanziere auch DUO den Ehrenamtlichen eine Aufwandsentschädigung von 7,50 Euro pro Stunde.

Aber, gibt Fischer zu Bedenken, "sich um Demenzpatienten zu kümmern, das kann auch nicht jeder. Da muss man schon eine gewisse Empathie mitbringen". So wie Margot Friedrich. "Mir ist es sehr wichtig zu überlegen, wie spricht man respektvoll mit diesen Menschen, ohne sie bloßzustellen", erläutert sie ihren Ansatz. Und Kristin Fischer ergänzt: "Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen, dann bekommt man unglaublich viel zurück." Die 27-jährige Sozialpädagogin kam selbst als Ehrenamtliche zu DUO und achtet nun darauf, dass Freiwillige und Familien zueinander passen.

Bei Margot Friedrich passte es bisher immer. Ihr Interesse für das Schicksal ihrer Mitmenschen, wird sie vermutlich noch in viele Familien führen. Nur eines versteht sie nicht: "Warum interessieren Sie sich gerade für mich? Das ist doch gar nichts Besonderes, was ich da mache."