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Neue Herausforderungen

VEREINE Sie sind beliebt - der demografische Wandel stellt die Clubs aber vor Probleme

19.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
4 Min

Blitzableiter und Kartoffeln haben in Hamburg eines gemeinsam: sie verdanken ihre Einführung in der Hansestadt der Arbeit eines Vereins. Die Hamburger Patriotische Gesellschaft, in der sich engagierte Bürger 1765 zum Wohle ihrer Stadt zusammenfanden, gilt als älteste zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland. "Das Hauptanliegen der Gesellschaft ist es bis heute, sich für das Wohl der Stadt Hamburg einzusetzen", betont Malte Krugmann, Vorstandsmitglied der Patriotischen Gesellschaft, deren Aufgaben von der Beschäftigung mit Demenz bis hin zur Fahrradpolitik der Stadt reichen. "Nach meiner beruflichen Tätigkeit habe ich überlegt, was ich für die Stadt tun kann", sagt Krugmann, der früher für die Hamburger Senatskanzlei gearbeitet hat. Die Patriotische Gesellschaft ist für ihn "ein wichtiger Resonanzboden für die Politik, der es ermöglicht, im Vorfeld Einfluss zu nehmen". Und wenn das gelingt, "macht das einen glücklich", sagte er zu seiner Motivation.

Große Vielfalt

Wie Malte Krugmann ist fast jeder zweite Deutsche Mitglied in einem oder mehreren Vereinen. Eine Statistik der deutschen Vereinsregister aus dem Jahr 2011 gibt die Zahl der eingetragenen Vereine mit über 580.000 an, womit ihr Bestand seit 2001 nochmals um mehr als 35.000 gestiegen ist. Die Bandbreite der Vereine ist so groß und facettenreich wie ihre Mitglieder. Sie reicht von Sportvereinen, über Automobilclubs bis hin zu interkulturellen Gärten. Bei den Neugründungen ist ein Trend erkennbar: Die Zahl der Vereine in den Bereichen Sport und Freizeit ist rückläufig, wohingegen sich mehr Menschen in Initiativen für Umwelt und Natur, Kultur oder Soziales engagieren.

Historisch gehen Vereine auf das 18. Jahrhundert zurück. Damals trugen sie oftmals den Namen "Gesellschaften" oder "Assoziationen". Das revolutionäre für die damalige Zeit war, dass sich in ihnen Menschen über Ständegrenzen hinweg zusammenfanden. Vor allem das aufgeklärte Bürgertum konnte dort seine politischen Ideen zum Ausdruck bringen - wie etwa auch in der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg. Mit der Industrialisierung und zunehmenden Verstädterung erlebten die Vereine einen großen Aufschwung. Viele Turn-, Gesangs- oder Schützenvereine können daher auf eine lange Tradition zurückblicken. In dieser Zeit begannen Vereine, aufgrund sozialer Probleme auch öffentliche Aufgaben zu übernehmen: die Geburtsstunde der großen Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie oder des Deutschen Roten Kreuzes. Vereine wurden im Lauf der Geschichte aber auch, wie etwa in der NS-Zeit oder in der DDR, missbraucht, um die Bürger zu instrumentalisieren und zu kontrollieren - oder aber gänzlich verboten.

Einen Verein zu gründen ist daher ein Grundrecht, alle weiteren Bestimmungen regelt das Bürgerliche Gesetzbuch. Etwa, dass ein Verein mindestens sieben Mitglieder haben, eine Satzung formulieren und einen Vorstand einsetzen muss. Für die Vereine ist dies mit viel Arbeit verbunden, die vor allem ehrenamtlich geleistet wird. Gerade das aber könnte in Zeiten des demografischen Wandels zum Problem werden, wie eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlins (WZB) belegt, nach der es immer schwieriger werden wird, Engagierte für die Vereine zu finden. "Man muss dabei zwischen kleinen Vereinen und Vereinen, die Dienstleistungen anbieten und eine andere gesellschaftliche Stellung haben, unterscheiden", sagt der Leiter der Studie, Eckhard Priller. Problematisch sei auch, dass immer mehr Vereine "den Mechanismen des Marktes" unterworfen seien: Für sie sei es besonders schwierig, ihre "ideellen Ziele mit denen des Marktes in Einklang zu bringen", erklärt er. Die Untersuchungen des Forscherteams zeigen auch, dass in vielen Vereinen die jüngere Generation unterrepräsentiert ist, vor allem in Führungspositionen. Ein Problem, das besonders im Sportbereich Auswirkungen haben könnte - dem Bereich, in dem die Deutschen am stärksten in Vereinen organisiert sind. Mit 27,8 Millionen Bundesbürgern ist mehr als jeder vierte Deutsche Mitglied eines Sportvereins. Statistisch seien zwar noch keine größeren Mitgliederrückgänge zu verzeichnen, aber die Sportorganisationen planen schon heute, wie man mit der Tatsache umgehen kann, dass es bald immer weniger junge Menschen geben wird, die sich in den Sportvereinen organisieren. In den 91.000 Sportvereinen waren 2013 insgesamt 8,75 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Die Zahl derjenigen, die hier im Vergleich zum Vorjahr ein Amt auf Vorstandsebene, etwa als Schatzmeister oder Jugendwart ausüben, ist rückläufig. "Auf dieser Ebene machen wir uns am meisten Sorgen", sagt Ute Blessing-Kapelke, die sich beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) intensiv mit dem demografischen Wandel beschäftigt. Neben dem Werben um Familien setzt der DOSB für die Besetzung von Ehrenämtern verstärkt auch auf ältere Menschen: "Die Älteren haben sich geändert. Sie sind sehr gut gebildet und haben Lust, etwas Neues zu lernen", sagt Blessing-Kapelke. Der DOSB hat daher ein Projekt "Attraktives Ehrenamt im Sport" initiiert, bei dem "Funktionsträger/innen in der Zweiten Lebenshälfte für Sportvereine" gesucht werden. Dabei sollen in sogenannten Tandems Sportvereine gemeinsam mit Freiwilligenagenturen und Seniorenbüros Konzepte entwickeln, um Ältere für Ehrenämter im Sport zu gewinnen, etwa "durch Schnupperpositionen im Vorstand", erklärt die Sozialpädagogin, die auch selbst als Übungsleiterin in einem Rollstuhlclub gearbeitet hat. Sie weiß, dass Menschen heute nicht mehr nur durch Medaillen oder Ehrenabzeichen zu motivieren sind: "Wir brauchen eine Anerkennungskultur, damit die Menschen sehen können, welchen Mehrwert sie für sich bekommen." Denn für ein Ehrenamt im Verein, im Sport oder anderswo, sagt Blessing-Kapelke "ist die Sinnfrage immer entscheidender".