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"Zu Gottes Ehre und den Armen zum Nutzen"

GESCHICHTE Von der Vielfalt vormoderner Stiftungen im Mittelalter und der Bedeutung der Religion

19.08.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
4 Min

Am Beginn des Jahres 1339 ließ Konrad Groß († 1356), Ratsherr der Stadt Nürnberg und einer der reichsten Männer der Handelsmetropole, Vertrauter und Financier Kaiser Ludwigs des Bayern, eine Urkunde ausstellen. Zu seinem Seelenheil habe er ein Spital erbauen lassen und dieses zu einem ewigen Almosen bestimmt. Detailliert werden die finanzielle Ausstattung, die Bedingungen für die Aufnahme Armer und Kranker sowie weitere Regularien festgelegt. Bildete dieses Heilig-Geist-Spital bereits ein teures Unterfangen, so war es doch nur Teil eines größeren Stiftungskomplexes: 1341 war Groß an der Gründung eines Zisterzienserinnenklosters beteiligt, das zunächst mit dem Spital verbunden wurde, 1345 richtete er im unweit gelegenen Pillenreuth einen Frauenkonvent ein, darüber hinaus sorgte er an mehreren Orten für das liturgische Gedächtnis nach seinem Tod, für die regelmäßige Feier einer Messe, für die Abhaltung einer Fronleichnamsprozession.

Knapp 300 Jahre später, im Oktober 1636, fertigte der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Johann Füchting sein Testament aus. Unter den Legaten finden sich in großer Zahl auch solche mildtätiger Art, etwa für Hospitäler und Armenhäuser, für arme Studenten, für die Witwen von Predigern, für bedürftige Dienstmägde. Der Rest - die Berechnungen der Testamentsvollstrecker ergaben, dass es sich um rund zwei Drittel des Vermögens handelte - fiel zur Hälfte an die Erben des kinderlosen Testators. Die andere Hälfte aber sollte zu einer nicht näher definierten "denkwürdigen Stiftung" verwendet werden, "zu Gottes Ehre und den Armen zum Nutzen und Besten, daneben auch zu meinem und meiner gottseligen lieben Ehefrau immerwährenden Gedächtnis, auch anderen von dem lieben Gott gesegneten mildtätigen Christen zu einem Exempel". Seine Nachlassverwalter, die zugleich Vorsteher der geplanten Stiftung waren, schufen nach seinem Tod einen Wohnhof für arme Witwen: Sie erwarben ein Grundstück und ließen zwei Häuserreihen mit kleine Wohnungen errichten.

Für einen bestimmten Zweck

Die angesprochenen Beispiele können die Vielfalt vormoderner Stiftungen in städtischen Zusammenhängen nur andeuten. Gestiftet wurden unter anderem Klöster und Kapellen, Altäre, Messen und Priesterpfründen, Hospitäler, Siechen- und Armenhäuser, aber auch Universitäten. Gegenstand, Aufwand und Form von Stiftungen fielen höchst unterschiedlich aus, gemeinsam war ihnen allen aber, dass sie soziale Konstruktionen waren. Erst im 19. Jahrhundert sollten Stiftungen als juristische Personen interpretiert werden, bis dahin blieben sie unmittelbar und konkret an Personen- und Gruppenbeziehungen gebunden. Nicht anders als heute stellte ein Stifter Vermögenswerte - seien es Kapitalien, die regelmäßige Erträge erbrachten, seien es dauerhafte Objekte wie zum Beispiel ein Altarbild oder eine Handschrift - für einen bestimmten Zweck zur Verfügung. Um dessen Erfüllung auf ewige Zeiten zu gewährleisten, wurde damit eine Gruppe beauftragt, besonders häufig eine geistliche Gemeinschaft oder die Gemeinschaft der vom Stifter eingesetzten und sich durch Kooptation immer wieder selbst ergänzenden Vorsteher, wie sie im Fall Füchtings als aktive Gestalter des Stiftungsprojekts in Erscheinung traten. Diese soziale Einbindung führte dazu, dass Stiftungen über Jahrhunderte hinweg immer wieder an neue Bedürfnisse angepasst wurden, einem den Willen des Stifters anders interpretierenden oder gar negierenden Funktionswandel unterliegen konnten - und sich gerade in dieser flexiblen Praxis als außerordentlich stabil erwiesen.

Repräsentation des Stifters

Grundsätzlich waren Stiftungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mit religiösen Aspekten verbunden: Konrad Groß verpflichtete diejenigen, die von seiner Stiftung profitierten, zum Gebet für sein Seelenheil, und obwohl diese Form des Totengedenkens im protestantischen Lübeck des 17. Jahrhunderts, wo man nicht mehr an das Fegefeuer glaubte, eigentlich obsolet geworden war, ging es auch Johann Füchting um das nach wie vor religiös konnotierte "Gedächtnis". Zwar bildete die Reformation in den betroffenen Regionen insofern einen Einschnitt, als Klöster und andere geistliche Gemeinschaften aufgelöst wurden und an die Liturgie der alten Kirche gebundene Stiftungen ihren Sinn verloren. Doch erwiesen sich insbesondere karitative Stiftungen als epochenübergreifendes Phänomen, verstärkten sich im 16. Jahrhundert doch unabhängig von der Konfession gerade in den Städten ältere Tendenzen. Denn schon im späten Mittelalter wurde dort die Kirche als Träger des Stiftungswesens zurückgedrängt, lag die Kontrolle zunehmend beim Rat als Vertretungsorgan der Stadtgemeinde - es war der Rat, dem Konrad Groß die Verwaltung seines Spitals anvertraute. Und neben der Förderung des Gottesdienstes zeigte sich bereits seit dem 14. Jahrhundert die Tendenz, Stiftungen vermehrt zu profanen Zwecken zu errichten: beispielsweise für Stipendien zur Unterstützung armer Studenten oder Aussteuerbeihilfen armer Frauen. 1339 sprach Konrad Groß ausdrücklich von der wachsenden Bevölkerung Nürnbergs, die das neue Spital notwendig mache. Dabei boten Stiftungen stets auch Möglichkeiten zur Repräsentation des Stifters und seiner Familie, der Vorsteher und Verwalter: Über dem Portal des Füchtingshofes prangen noch heute die Stifterwappen. Solchermaßen vermochten Stiftungen unterschiedliche pragmatische Aufgaben zu erfüllen. Tiefere Zäsuren bildeten erst die Aufklärung, dann die Säkularisierung im frühen 19. Jahrhundert mit ihren weitreichenden Eingriffen in kirchliche Vermögensstrukturen und noch einmal die Inflation der 1920er Jahre, die viele Stiftungen finanziell zusammenschmelzen ließ. Aber selbst das haben die Werke des Konrad Groß und des Johann Füchting je auf ihre Weise überlebt.