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Magnet der Weltpolitik

Parteistiftungen In der amerikanischen Hauptstadt Washington wird internationale Politik gestaltet. Auch deutsche politische Stiftungen werben dort um…

19.08.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
6 Min

Wenn die Nähe zum Zentrum der Macht Gradmesser des eigenen Einflusses ist, dann hat die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington ein besonderes Gewicht. Die den Grünen nahestehende Bildungseinrichtung sitzt nur 400 Yards vom Weißen Haus entfernt, wo die K-Street, erste Adresse amerikanischen Lobbyisten, auf den McPherson Square trifft. Diese Ecke der US-Hauptstadt hieß einst "Little Wall Street", und auch das entspricht nicht ganz der typischen Verortung der Heinrich-Böll-Stiftung.

Drinnen, in den Räumlichkeiten der Stiftung, ist Büroleiter Klaus Linsenmeier guter Laune. Er hat gerade einen US-Verlag überzeugen können, das Buch "Intelligent wachsen" vom Stiftungs-Vorsitzenden Ralf Fücks in englischer Übersetzung zu publizieren.

"Globale Atlantiker"

Das ist ein beachtlicher Erfolg angesichts der Schwierigkeit, Titel deutscher Politiker oder Ex-Politiker auf den amerikanischen Büchermarkt zu bringen. "Wir legen Wert darauf, Politik zu kommunizieren", sagt der Saarländer Linsenmeier, und die Website der "Böller", wie seine Einrichtung von anderen Stiftungen ohne abwertenden Unterton genannt werden, trommelt dementsprechend für Themen rund um die Farbe Grün. "What is the German Energiewende?", wird dort beispielsweise gefragt, und der "grüne Thinktank" rückt Ökologie und Nachhaltigkeit, Demokratie und Menschenrechte in den Fokus der Arbeit.

Aber interessiert in der Hauptstadt der Weltsupermacht, was deutsche Stiftungen zu diesen und anderen Themen sagen?

Durchaus, sagt Lars Hänsel, der seit Mai 2011 die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Washington leitet. Aber man müsse oft zweimal hinhören, bis man wisse, was gemeint ist. "Als ich auf dem Weg in die USA war, gab man mir mit, die gemeinsamen Werte in der Arbeit zu betonen", erinnert sich Hänsel, der zuvor das KAS-Büro in Jerusalem leitete. "Außerdem sollte ich Europa erklären. An einem meiner ersten Wochenenden besuchte ich eine Konferenz konservativer Politiker. Alle Präsidentschaftskandidaten der Republikaner traten da bereits auf, von Tim Pawlenty bis Mitt Romney. Alle hatten zu meiner Überraschung und Verwunderung eine europakritische Rhetorik: Europa, das ist Sozialismus - wir dagegen haben amerikanische Ideale."

Am Abend, beim Dinnertalk, habe er, der Sachse aus Bautzen, erklärt, dass er "22 Jahre Sozialismus erlebt hatte und jetzt die Freiheit im vereinten Europa genießt". Die positiven Reaktionen darauf machten Hänsel "schnell klar, dass es eigentlich nicht gegen Europa geht in diesen Attacken, sondern um interne Wahlkampfrhetorik".

Hänsels müsste von seinem Büro rund eine Meile bis zum Weißen Haus laufen. Dafür sitzt er dicht am Dupont Circle und damit in engster Nähe zu außenpolitischen Expertenkreisen und Clubs. "Washington - als ein Magnet internationaler Politik - hat immer weltweite Entscheidungsprozesse beeinflusst", heißt es auf der Adenauer-Website in der US-Kapitale. "Washington ist der bei weitem wichtigste Standort für internationales Lobbying, ob es um Politik, Industrie, Wirtschaft oder auch Wissenschaft und Technologie geht."

Die Schwerpunkte der Arbeit spiegeln diese Agenda wider. Ganz oben rangiere derzeit, so Hänsel, das Transatlantische Freihandelsabkommen. Es folgen die Themen Sicherheitspolitik und Nato.

Um bei diesen oft sensiblen Komplexen im Dialog mit den amerikanischen Partnern über das Niveau von Floskeln herauszukommen, hat die Friedrich-Ebert-Stiftung schon vor Jahren das Netzwerk der "Globalen Atlantiker" ins Leben gerufen. Mit einem besonderen Schwerpunkt in Washington treffen sich unter diesem Begriff halbjährlich junge Politiker, profilierte Mitarbeiter aus amerikanischen wie europäischen Denkfabriken und sonstige Entscheidungsträger. Auf der US-Seite sind Mitglieder von Republikanern und Demokraten gleichermaßen dabei, und obwohl sich beide Parteien im Kongress mit ermüdender Routine blockieren, kommt es bei den "Globalen Atlantikern" zu vernünftigen Gesprächen.

Vertraulichkeit

"Das liegt auch daran, dass in diesem Kreis die Chatham Rules gelten", sagt Pia Bungarten, die seit vier Jahren das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington leitet. Das sind die Regeln aus dem Chatham House, jenem weltweit als Vorbild gehandelten "Königlichen Institut für internationale Angelegenheiten" in London, das seinen Diskussionsteilnehmern zur Auflage macht, nie wörtlich zu zitieren.

Bungarten darf wohl als Weltreisende in Sachen politische Bildung bezeichnet werden. Die Politikwissenschaftlerin und Kulturanthropologin studierte in Deutschland und den USA, forschte im Navajo-Reservat und in Sri Lanka und arbeitete in New York, Bonn, Bangkok und Berlin, bevor sie in die Hauptstadt der USA wechselte.

Dort ist das Büro der Ebert-Stiftung nur einige Schritte weiter entfernt vom Präsidenten als das der "Böller". Bungarten erklärt aber überzeugend, warum es arg verkürzend wäre, ihrer Stiftung, die den Sozialdemokraten nahe steht, eine besondere Nähe zu den im Weißen Haus regierenden, eher progressiven Demokraten zu unterstellen und den "Adenauers" eine ausschließliche Konzentration auf die konservativeren Republikaner. Wenn ein SPD-Abgeordneter nach D.C. komme, wolle er möglichst intensive Einblicke in die US-Politik bekommen, und dazu müsse er mit Demokraten und mit Republikanern sprechen. Entsprechende Gespräche aber könnten die Stiftungen nur vermitteln, wenn sie tragfähige Kontakte zu möglichst vielen Lager pflegen.

Im Moment allerdings, kurz vor den Bundestagswahlen, sind die Besuche deutscher Politiker in Washington eher selten. Das lässt Zeit, sich mit anderen Dingen zu befassen. Bungarten etwa hat sich unlängst in einer Analyse den "Politischen Reaktionen auf die NSA-Enthüllungen in den USA" gewidmet.

Aber Bungarten betont, dass im Gegensatz zur Tagespolitik die Stiftungen Themen gern langfristig verfolgen. Was etwa steckt hinter den amerikanischen Abrüstungsinitiativen der letzten Jahre? Und wie entwickelt sich das Verhältnis zwischen Washington und Moskau jenseits aktueller Aufgeregtheiten?

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat Quartier bezogen an der Rhode Island Avenue N.W. und damit knapp 15 Gehminuten entfernt vom Weißen Haus. Aber in einem Hotel, das nahezu direkt an den Garten des US-Präsidenten grenzt, veranstaltet Büroleiter Claus Gramckow regelmäßig Diskussionsveranstaltungen, zu denen er US-Entscheidungsträger, Politiker, deren Mitarbeiter, Wissenschaftler und Geschäftsleute einlädt. Insbesondere FDP-Politiker, aber auch Demoskopen oder andere Wissenschaftler sprechen im Rahmen des Transatlantic Dialogue Program (TAD) über Wirtschaftsbeziehungen, die bevorstehenden Wahlen in Deutschland oder freiheitliche Gesellschaftspolitik.

Für die Hanns-Seidel-Stiftung müsste Ulf Gartzke wohl 45 Minuten bis zum Weißen Haus laufen. Dafür sitzt der Büroleiter der CSU-nahen Einrichtung im szenigen Georgetown. Gartzke ist ein ausgewiesener Sicherheitsexperte. Auf der Website der Seidel-Stiftung in Washington wird denn auch "Transatlantische Sicherheit und Verteidigungspolitik" als erster Themenschwerpunkt genannt.

Kultur statt Lobby

Den weitesten Weg ins politische Zentrum von Washington D.C. hätten Albert Scharenberg und Stefanie Ehmsen, die Leiter des Nordamerika-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Es hat seinen Sitz in New York, und Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, der die Stiftung nahesteht, sagte bei einer Washington-Visite, der Standort sei bewusst gewählt. Man habe den Kontakt weniger zu Lobbygruppen in Washington suchen wollen als zu der als innovativer angesehenen Künstler- und Kulturszene von "Big Apple". Auch die "Occupy Wall Street"-Bewegung mag zur Entscheidung beigetragen haben.

Kapitalismuskritik, Armutsbekämpfung und Antirassismus sind zentrale Themen, die auf der mit reichlich schreiendem Rot gestalteten Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung beworben werden.

Die Amerikaner seien "beindruckt von deutschen Stiftungen - und das brauchen wir auch", sagt Bungarten. Sie erinnert an die berühmte "Westminster-Rede" von Ronald Reagan im Juni 1982. Darin prophezeite der US-Präsident vor dem britischen Parlament einen weltweiten "Vormarsch von Freiheit und Demokratie". So ausdrücklich wie überraschend lobte Reagan dann: "Die politischen Stiftungen der Bundesrepublik Deutschland sind eine wichtige Kraft in diesem Bemühen geworden."

Dieses Niveau zu halten, ist schwierig angesichts der knappen Personal- und Finanzmittel der Stiftungen. In der Regel arbeitet in D.C. ein aus Deutschland entsandter Büroleiter mit maximal fünf Ortskräften. Die Jahresetats, aus denen die Mitarbeiter und die Büromiete bezahlt werden müssen, liegen zwischen 700.000 und einer Million Euro. Das lässt keine großen Sprünge zu, und nicht immer lässt sich das kaschieren. So wirken manche Websites deutscher Stiftungen peinlich vernachlässigt, bieten "aktuelle" Publikationen zur Rede zur Lage der Nation von Präsident George W. Bush an oder laden ein zu Veranstaltungen, die bereits vor Monaten stattfanden.

Reagans Ritterschlag

Doch amerikanische Partnerorganisationen beteiligen sich offenkundig gern an Konferenzen der deutschen Stiftungen, ob vor einem Publikum oder hinter verschlossenen Türen. Die Besucherzahlen bei Vorträgen im geschäftigen Washington sind mitunter beeindruckend. Offenkundig gilt der Ritterschlag weiterhin, den Ronald Reagan den deutschen Stiftungen vor mehr als 30 Jahren mit auf den Weg gab.

Der Autor ist Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" in Washington.