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Die guten Milliardäre

UNTERNEHMen Immer mehr Firmen gründen Stiftungen - zu den unterschiedlichsten Zwecken. Vielen geht es um Kontinuität

19.08.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
6 Min

Was eint das kleine, beschauliche Städtchen Nortorf im schleswig-holsteinischen Kreis Rendsburg-Eckernförde mit dem baden-württembergischen Neckarsulm? In beiden Städten sind zwei familieneigene Unternehmensstiftungen beheimatet, die ein ganzes Firmenimperium umschließen. Die "Markus-Stiftung" von Unternehmensgründer Theo Albrecht soll von Norddeutschland aus den Bestand der Firmengruppe "Aldi Nord" sicherstellen. Und in Neckarsulm sichert die Lidl- und Kaufland-Stiftung der Unternehmerfamilie Schwarz die Existenz der gleichnamigen Discounter- und Warenhauskette - Aldis größtem Konkurrenten. Nur die wenigsten Menschen dürften bei ihren täglichen Einkäufen wissen, dass der Discounter "um die Ecke" Teil eines hochkomplexen Stiftungskonstrukts ist.

Immer mehr Unternehmen in Deutschland greifen auf die unterschiedlichsten Stiftungsmodelle zurück. Ob nun Unternehmensträgerstiftungen, bei der die Stiftung selbst als juristische Person unternehmerisch tätig ist, wie zum Beispiel die Carl-Zeiss-Stiftung, oder als Beteiligungsträgerstiftung, bei der eine Stiftung Mehrheits- oder Minderheitsanteile hält wie bei Lidl und Aldi - Stiftungen boomen. 1999 lag ihre Zahl noch bei rund 8.000. Heute sind es drei Mal so viele. Tendenz steigend. Nach den USA ist Deutschland mittlerweile auf der globalen Stiftungsrangliste die Nummer zwei in der Welt. Bosch und Bertelsmann gehören dazu. Ebenso der Unternehmensberater Roland Berger, die Großverlegerin Friede Springer, die Quandts oder SAP-Milliardär Dietmar Hopp. Die meisten von ihnen wollen nicht nur Steuern sparen, sondern auch noch Gutes tun. Rund 90 Prozent sind gemeinnützig. Jedes Jahr schütten sie etwa 17 Milliarden Euro aus, um Forschungs- und Bildungsprojekte zu finanzieren, Stipendien zu vergeben, Krankenhäuser zu bauen, soziale Projekte zu unterstützen oder auch, um "frühzeitig gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren sowie exemplarische Lösungsmodelle entwickeln und verwirklichen" zu können, wie es etwa auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung heißt.

Steuererleichterungen

Ermöglicht wurde der Boom vor allem durch die Steuergesetze der Regierungen Schröder und Merkel. Wer stiftet, hat steuerliche Vorteile, unterliegt weder der Körperschaft- noch der Gewerbesteuer. Auch von Erbschaft- und Schenkungsteuer sind Stiftungen befreit. Aber es geht beim Stiftungsboom nicht allein um philanthropische Großtaten oder Steueroptimierung. Unternehmen verbinden mit der Gründung einer Stiftung auch noch ganz andere Interessen. Denn in erster Linie eint Firmenstiftungen der berechtigte Gedanke an den Vermögenserhalt und die Unternehmensnachfolge. Robert Bosch wollte so seine Nachfolge sichern. Mit seinem 1938 verfassten Testament sicherte der 1942 gestorbene Unternehmer die Zukunft seiner Firma: Familie und künftige Führungsgenerationen wurden verpflichtet, für eine "kraftvolle Weiterentwicklung" und finanzielle Unabhängigkeit zu sorgen. Seine 1921 gegründete Vermögensverwaltung Bosch (VVB) erwarb darum nach dem Krieg von der Familie nach und nach die Mehrheit der Unternehmensanteile und brachte sie in die 1969 gegründete Robert Bosch Stiftung ein. Heute ist das Unternehmen der weltgrößte Autozulieferer.

Bei Europas größtem Medienunternehmen Bertelsmann und seiner Gründerfamilie Mohn war es nicht viel anders. Und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Gründer der gleichnamigen Stiftung, traute es seinem Sohn Arndt einfach nicht zu, sich im harten Stahlgeschäft durchzusetzen. Selbst für einen Mittelständler wie den Hamburger Unternehmer Kurt A. Körber - seine Firma ist heute Weltmarktführer für Zigarettenmaschinen - stand die Unternehmensnachfolge ganz oben an, als es um die Gründung der nach ihm benannten Stiftung ging. Denn die Gefahr, dass Erbstreitigkeiten eine Firma ruinieren, entfällt beim Stiftungsmodell. Überträgt ein Firmengründer sein Vermögen auf eine Stiftung, muss es nicht im Todesfall aufgeteilt werden, das Unternehmen bleibt als Ganzes erhalten.

Zunehmend wichtiger wird auch die Einsicht, dass in Zeiten, da sich die internationalen Finanzmärkte immer weiter von der Realwirtschaft entfernen, Stiftungsunternehmen anders operieren. Stiftungen sind eher an stetigen Zuflüssen als an kurzfristiger Gewinnmaximierung interessiert. Das macht die Stiftungsunternehmen unabhängiger. Sie können langfristiger agieren als Unternehmen, deren Anteile breit gestreut sind, an der Börse gehandelt werden und sich in jedem Quartal neu gegenüber Analysten und Aktionären rechtfertigen müssen. Ihre Firmen bilden deshalb in der Regel mehr Rücklagen und mehr Eigenkapital und haben es so leichter, Investitionen zu finanzieren oder temporäre Konjunkturkrisen zu überbrücken.

Krisenresistent

Dass Stiftungsunternehmen krisenresistenter sind, hat auch damit zu tun, dass das Stiftungsmodell Schutz vor feindlichen Übernahmeversuchen oder Zerschlagung bietet. Während Börsenunternehmen bei schlechteren Ergebnissen und sinkenden Aktienkursen für Firmenjäger zur leichten Beute werden können, sind Stiftungsunternehmen unverkäuflich - sie leben ewig. Als der letzte Krupp 1967 starb, hinterließ er dem damals 54-jährigen Berthold Beitz eine Stiftung, die das Unternehmen über Jahrzehnte davor rettete, von Stärkeren übernommen und zerschlagen zu werden. So wollte der damalige Chef des viel moderneren und profitablen Erzrivalen Thyssen, Dieter Spethmann, Ende der 1980er Jahre Krupp übernehmen - vergeblich. Am Ende konnte Krupp, obwohl das Unternehmen damals in keiner guten Verfassung war, mit Hilfe seines Goßaktionärs, der Stiftung, den Gegner Thyssen schlucken.

Doch wo so viel Licht ist, gibt es auch Schatten. Stiftungsunternehmen führen eine Existenz in einem weitgehend geschützten unternehmerischen Biotop, in dem es zu merkwürdigen Züchtungen kommt. Beim Discounter Lidl führt dies etwa zu der seltsamen Kombination aus einer der deutschen Steuergesetzgebung unterliegenden Familienstiftung mit einer "gemeinnützigen" Stiftung, der Schwarz-Stiftung, die nahezu alle Kapitalanteile, jedoch keine Stimmrechtsanteile an der Lidl-Stiftung hält. Das gesamte Stimmrecht, allerdings nur 0,1 Prozent der Kapitalanteile, entfällt wiederum auf die Schwarz Unternehmenstreuhand. Man ahnt, dass hier Unternehmensgewinne vollkommen legal aber steuergünstig von einer Stiftung auf die nächste übertragen werden sollen.

Stiftungen können sich zudem auch vielen Publizitätsvorschriften entziehen. Im Fall der Discounter Lidl und Aldi geht dies so weit, dass man bis heute nur sehr wenige unternehmerische Kennzahlen beispielsweise über die Firmengruppe Schwarz (5.600 Supermarktfilialen, mehr als 150.000 Angestellten, Gesamtumsatz: etwa 36 Milliarden Euro) weiß. Verschwiegenheit und mangelnde Transparenz sind deshalb auch die Kennzeichen der meisten Stiftungsmodelle. Stiftungen wie die Lidl Stiftung & Co. KG unterliegen zudem nicht dem Mitbestimmungsgesetz - ein Grund für immer wiederkehrenden Ärger zwischen den Unternehmensführungen der Discounter und den Gewerkschaften.

Stiftungsunternehmen unterscheiden sich auch in ihren Governance-Strukturen teils erheblich von anderen Unternehmen. "Wenn Sie bei großen Stiftungsunternehmen schauen, wer da wen kontrolliert und wie Aufsichtsgremien und Managementgremien zueinander stehen - dann fällt Ihnen viel ein, nur nicht gute Unternehmensführung", sagt ein deutscher Top-Anwalt, der viele solcher Unternehmen berät. Bei Bosch etwa wird die Geschäftsführung von einer Industrietreuhand kontrolliert, in der auch ehemalige und aktive Geschäftsleitungsmitglieder sitzen. So besitzt die Robert-Bosch-Stiftung 92 Prozent am Konzern, hat aber keine Stimmrechte - und wird von der Unternehmensführung nicht gerade üppig am Konzerngewinn beteiligt. Beispiel: Im Jahr 2012 erwirtschaftete Bosch einen Gewinn von 2,34 Milliarden Euro nach Steuern. Davon bekam die Stiftung nicht mehr als vier Prozent - 69 Millionen Euro.

Problem Kontrolle

Bei Bertelsmann sieht es nicht viel anders aus. Hier hat der Stiftungsgründer Reinhard Mohn verfügt, dass auch der Vorstandsvorsitzende Mitglied des Aufsichtsgremiums ist - de facto kontrolliert sich das Management damit zumindest teilweise selbst. Die Bertelsmann Stiftung sei deshalb undemokratisch, werfen Kritiker der Stiftung vor. Sie versuche aber gleichzeitig die Demokratie hierzulande zu beeinflussen. Das könne eine demokratische Gesellschaft nur akzeptieren, wenn die Stiftungskonstruktion ein Mindestmaß an Mitsprache erlaube.

Auch bietet die Gewinnverteilung bei Stiftungsunternehmen Anlass zu Kritik, weil schwer nachvollziehbar ist, was an die Stiftung geht und was als Rücklage im Unternehmen bleibt. Bei Bertelsmann bestimmt die Familie Mohn, die die Stiftung und ihr Vermögen unter Kontrolle hat, über die Höhe und Verteilung der Gelder. Kritiker, wie der Autor Thomas Schuler ("Bertelsmann Republik Deutschland") werfen dem Gütersloher Medienkonzern deshalb auch vor, dass, wenn man die Steuererleichterungen und Ersparnisse mit den Ausschüttungen verrechne, sich zeigen ließe, dass die Mohns die Stiftung de facto mit öffentlichem Geld betreiben. Das sei unternehmerisch geschickt, moralisch aber eher fragwürdig, zumal die Stiftung keine Fördergelder verteile. Stiftungen dürften deshalb nicht mehr als Unternehmens-Sparbüchse missbraucht werden, sondern sollten einen größeren Anteil am Gewinn erhalten, der stärker ihrer tatsächlichen Beteiligung am Firmengeschehen entspräche, so Schuler. Die Stiftung solle zudem einen Teil dieses Gewinns jenseits ihrer operativen Projektarbeit zur Förderung gemeinnütziger Organisationen und Projekte verwenden.