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Gummibärchen unterm Christbaum

KoalitionsgesprÄche Bis Weihnachten soll die neue Regierung stehen

28.10.2013
2023-08-30T12:24:06.7200Z
6 Min

Weihnachten kommt schneller als man denkt." Mit diesem Satz wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht einfach auf eine unumstößliche Tatsache hinweisen. In ihm steckt vielmehr die Warnung an ihre Parteifreunde und die von der SPD, es nicht zu lax anzugehen und die Zeit der Koalitionsverhandlungen effektiv zu nutzen. Wahrscheinlich steckt in dieser Aussage aber auch die Vorfreude darüber, als frisch vereidigte Bundeskanzlerin unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen und nicht "nur" als geschäftsführende.

Derzeit sieht es so aus, als erfülle sich dieser Wunsch, zumindest, wenn man die Berliner Ereignisse der vergangenen Woche betrachtet. Am Mittwoch starteten Union und SPD offiziell in ihre Koalitionsverhandlungen. 76 Vertreter beider Seiten trafen sich im Konrad-Adenauer-Haus, um die Organisation der Verhandlungen zu klären. In dieser sogenannten "großen Runde" bieten die Parteien ihre gesamte Prominenz auf, Parteichefs, Generalsekretäre, Fraktionschefs und Ministerpräsidenten. 27 Verhandler entsandte dabei die CDU, 18 die CSU und 31 die SPD. Künftig will man sich einmal wöchentlich in dieser Runde treffen. Ob es dabei stets so harmonisch zugeht, wie beim ersten Treffen ("Wir haben uns alle umarmt. Das war sehr hilfreich", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und seine SPD-Kollegin Andrea Nahles: "Wir packen das gemeinsam an.") ist fraglich.

Denn in den zwölf Arbeitsgruppen, auf die man sich dort verständigte, wird es nicht reichen, Kompromissfähigkeit und gegenseitige Sympathie zu bekunden, sondern diese in reale Politikvorschläge umzusetzen. Beispiel Mindestlohn. Hier war die Union, allen voran CSU-Chef Horst Seehofer, eilig auf die SPD zumarschiert, die einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro zur Bedingung einer Koalition machte. Doch wer legt diesen künftig fest? Das Arbeitsministerium oder doch eine Kommission aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften? Darüber herrscht noch keinesfalls Klarheit und in der Union ist die große Sorge groß, dass ein Mindestlohn in dieser Höhe vor allem von Betrieben im Osten Deutschlands nicht zu finanzieren ist.

Arbeitsmarkt

Doch nicht nur wegen der 8,50 Euro läuft der Wirtschaftsflügel der Union Sturm. Das Zehn-Punkte-Programm, das der SPD-Parteikonvent am 20. Oktober verabschiedete und dessen Forderungen als "unverzichtbar" bezeichnet werden, um zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen, enthält aus Sicht der Wirtschaft einige Horrorszenarien. So verlangen die Sozialdemokraten, wie schon in ihrem Wahlprogramm, eine stärkere Regulierung flexibler Arbeitsverhältnisse. Zwar ist in dem Papier recht allgemein vom Kampf gegen Missbrauch von Leih- und Zeitarbeit und gegen "Scheinwerkverträge" die Rede und Merkel betonte, nichts sei vereinbart, solange nicht alles vereinbart sei. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnte jedoch schon vorsorglich, die jetzigen Regelungen seien völlig ausreichend, weitere staatliche Eingriffe würden der Wirtschaft erheblich schaden. Und auch der Wirtschaftsflügel der Union versucht nun, das "Schlimmste" zu verhindern. Am vergangenen Donnerstag präsentierten Christian von Stetten, Chef des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Carsten Linnemann, Präsident der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, und Kurt Lauk, Chef des unionsnahen Wirtschaftsrates, einen gemeinsamen Forderungskatalog: Keine Steuererhöhungen, keinen Mindestlohn, keine Frauenquote und keine Zuschussrente, so lassen sich knapp die wichtigsten Warnungen an die Koalitionäre in Berlin zusammenfassen. "Wir wollen definitiv keinen jährlich im Parlament festgelegten flächendeckenden Mindestlohn. Die Lohnfindung ist bei den Tarifparteien gut aufgehoben", stellte von Stetten klar. Zwar wollten sie kein Öl ins Koalitionsfeuer gießen, jedoch würden sie deshalb nicht ihre Überzeugungen über Bord werfen, betonten die drei Wirtschaftsexperten im Sitzungssaal des Finanzausschusses. Es komme nun darauf an, dies auch bei den Verhandlungen klar zu machen.

Schuldenabbau

Doch ausgerechnet in der dafür entscheidenden Arbeitsgruppe "Arbeit und Soziales" ist Carsten Linnemann der einzige Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union. Diese entsandte ansonsten vor allem Sozialpolitiker in die 17-köpfige Gruppe und auch auf Seiten der SPD agieren allein drei ehemalige Gewerkschafter. Unter der Führung von Andrea Nahles für die SPD und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen für die Union wird sich nun zeigen müssen, zu welchen Kompromissen es hier kommen kann und ob diese dann in der großen, auch schon als "Volkskongress" betitelten Runde durchsetzbar sind.

Leichter wird es der Wirtschaftsflügel in der Arbeitsgruppe "Finanzen und Haushalt" haben, die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (SPD) geleitet wird. Denn von ihren Wahlversprechen, den Spitzensteuersatz und die Erbschaftssteuer anzuheben, ist in dem Zehn-Punkte-Papier der SPD nichts mehr zu lesen. Übrig geblieben ist lediglich die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer. Schon kurz nach der Bundestagswahl hatte die Union unmissverständlich klar gemacht, dass sie Steuererhöhungen nicht mittragen werde. Auf den Mindestlohn zu verzichten, ist aber für die SPD weitaus riskanter, als der Verzicht auf Steuererhöhungen, will sie die Zustimmung ihrer Basis für den Koalitionsvertrag erreichen.

Für Zündstoff wird in dieser Arbeitsgruppe eher ein anderes Thema sorgen. Der Abbau von Schulden ab 2015. Das hatte die Union im Wahlkampf noch versprochen, aber inzwischen hält sie sich angesichts der zu erwartenden Milliardeninvestitionen in Bildung und Infrastruktur in diesem Punkt sehr bedeckt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe fasste die zentralen Anliegen der Union am vergangenen Mittwoch recht allgemein zusammen: Stabilität des Euro durch nachhaltiges Wirtschaften in Deutschland und Europa, die Stärkung der Wirtschaftskraft Deutschlands, die schnelle Umsetzung der Energiewende sowie die Sicherstellung guter Beschäftigung. Eine Finanzierung dieser Kernpositionen durch neue Schulden lehnte Gröhe jedoch klar ab.

Gesellschaftspolitik

Kritisch könnte es zwischen Schwarz-Rot noch auf dem Gebiet der Familien- und Gesellschaftspolitik werden. Hier liegen die Positionen zum Teil weit auseinander. Noch vor der Wahl war die SPD monatelang gegen das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld auf die Barrikaden gegangen. Der SPD-Parteikonvent äußerte sich dazu jedoch nicht mehr, sprach lediglich allgemein von der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nicht abgewichen sind die Sozialdemokarten dagegen von ihrem Ziel, "die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen" zu verbessern. Dazu gehören für sie zum einen mehr Frauen in Führungspositionen als auch der Grundsatz "gleiches Geld für gleiche Arbeit". Hier wird sie mit der nicht gerade quotenbegeisterten Union hart verhandeln müssen, um wirklich sichtbare Änderungen zu erreichen. Auch der Satz, "moderne Gesellschaftspolitik muss die alten Rollenbilder überwinden" wird einigen in der Union die Nackenhaare sträuben. Aber vor allem stellte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) mit Blick auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften klar, "eine Öffnung der Ehe ist mit uns nicht zu machen". Das hatte die SPD jedoch stets gefordert.

Nicht so weit auseinander liegen Union und SPD dagegen beim Thema Integration von Zuwanderern. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sieht in der bisher ablehnenden Haltung seiner Partei gegenüber einer doppelten Staatsbürgerschaft "kein unumstößliches Dogma" mehr. Die Arbeitsgruppe "Familie, Frauen, Gleichstellung" tagt unter Leitung der Bundestagsabgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU) und der Sozialministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD). Chefs der Arbeitsgruppe "Inneres und Justiz" sind Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Thomas Oppermann (SPD). Man darf also gespannt sein, was beide Arbeitsgruppen als Regierungsziele einer künftigen Großen Koalition mit auf den Weg geben werden.

Zeitplan

Bis Ende November verhandeln die Parteien nun abwechselnd im Konrad-Adenauer-Haus, im Willy-Brandt-Haus und in der bayerischen Landesvertretung in Berlin. Immer schön nach Proporz, um zu unterstreichen, was alle Parteioberen immer wieder betont haben - dass "auf Augenhöhe" verhandelt wird. Sollten sich die Arbeitsgruppen und die große Runde nicht einigen können, schnüren die drei Parteichefs Merkel, Seehofer und Gabriel persönlich die nötigen Kompromisse zusammen.

Den Willen dazu haben die Parteiführungen auch in der vergangenen Woche immer wieder bekräftigt. "Die SPD will regieren für ein sozial gerechtes und modernes, weltoffenes und freiheitliches Deutschland", scheibt sie in ihrem Zehn-Punkte-Plan. "Wir wollen den Erfolg dieser Verhandlungen", betonte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nach Beginn der offiziellen Koalitionsverhandlungen.

Kommt wie geplant bis Ende November ein Koalitionsvertrag zustande, veranstaltet die CDU in der ersten Dezemberwoche einen Kleinen Parteitag. Die SPD startet dann ihre Mitgliederbefragung, für die etwa zwei Wochen veranschlagt werden. Geht auch das gut, was die Parteiführung hofft, könnte Mitte Dezember tatsächlich die neue Regierung vereidigt werden. Und dann sind erst mal Weihnachtsferien.