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VOR 25 JAHREN ... : "Rhetorisch miserabel"

04.11.2013
2023-08-30T12:24:07.7200Z
1 Min

11. November 1988: Bundestagspräsident Jenninger tritt zurück

Wird in Deutschland über die Zeit des Nationalsozialismus geredet, sollten unglückliche Formulierungen oder missverständliche Zwischentöne vermieden werden. Diese Erfahrung musste Philipp Jenninger (CDU) machen. Anlässlich des 50. Jahrestags der Reichspogromnacht hielt der damalige Bundestagspräsident bei einer Gedenkstunde im Parlament am 10. November 1988 eine Rede, die ihn zum Rücktritt zwang. Jenninger hatte die Nazi-Herrschaft als "Faszinosum" bezeichnet und Zitate aus der NS-Zeit verwendet, ohne sich klar davon zu distanzieren und - so die öffentliche Meinung - das nötige Maß an Betroffenheit zu zeigen. Einige Abgeordnete verließen während der Rede das Plenum. Die Grünen-Abgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin machte ihrem Ärger noch am selben Tag in einer persönlichen Erklärung vor dem Bundestag Luft. Als sie allerdings unterstellte, dass "der Antisemitismus auch im Herzen von vielen Mitgliedern dieses Hauses noch vorhanden" sei und Jenninger persönlich angriff, wurde ihr das Wort entzogen und die Sitzung unterbrochen.

An Jenningers Integrität bestand zwar kein Zweifel, doch die heftigen Proteste im In- und Ausland kosteten ihn schließlich das Amt. Nur einen Tag später trat er mit dem Bedauern, Gefühle verletzt zu haben, zurück. 1995 nannte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, die Rede "über weite Strecken hervorragend", aber "rhetorisch miserabel gehalten". Ein Rücktritt sei nicht notwendig gewesen.