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Hessens neue Farbenlehre

REGIERUNGSBILDUNG Schwarz und Grün haben sich gefunden

23.12.2013
2023-08-30T12:24:09.7200Z
3 Min

Das schwarz-grüne Paket unter dem Weihnachtsbaum in Hessen ist eine echte Überraschung: Noch vor vier Monaten hätte niemand mit einer Koalition von CDU und Grünen gerechnet - am wenigsten die Akteure selbst. "Wir haben es uns beide nicht träumen lassen", sagte Grünen-Landeschef Tarek Al-Wazir und fügte an: "Man hat Jahrzehnte in unterschiedlichen Welten gelebt."

Politiklabor

Nach drei Monaten Sondierung und drei Wochen harten Verhandlungen legten CDU und Grüne vergangenen Mittwoch den fertigen Koalitionsvertrag für die erste schwarz-grüne Regierung in einem bundesdeutschen Flächenland vor. Auf 106 Seiten stehen dort unter dem Motto "Verlässlich gestalten - Perspektiven eröffnen" die gemeinsamen Vorhaben für die kommenden fünf Jahre. Die Sanierung des Landeshaushalts, eine Nachmittagsbetreuung mit Bildungsgarantie an Grundschulen und die Beschleunigung der Energiewende sind die wichtigsten Themen, dazu erhalten Integration und Ehrenamt einen hohen Stellenwert.

Der Vertrag sei eine "sehr gute Grundlage" für eine kluge, gestaltende, stabile und erfolgreiche Politik in den kommenden fünf Jahren, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei der Vorstellung des Vertrages in Wiesbaden. Nein, er habe nicht gezählt, wer sich wo durchgesetzt habe, "das ist ein Gemeinschaftswerk", betonte der alte und auch künftige Ministerpräsident, der just an dem Tag seinen 62. Geburtstag feierte.

Hessen wird damit wieder einmal zum Politiklabor der Republik. 1985 bildete der damalige SPD-Ministerpräsident Holger Börner mit Joschka Fischer die erste rot-grüne Koalition in Deutschland, viele andere folgten. Nun dürfen die Hessen also wieder einmal eine neue Machtoption erproben. "Wir wissen, dass wir beobachtet werden", sagte Bouffier: "Wenn es erfolgreich wird, wird es auch in der gesamten Politik seine Bedeutung haben."

Flughafen

Entscheidend für die neue Partnerschaft war der feste Wille zur Einigung, auch beim Dauerstreitthema Frankfurter Flughafen. Der gefundene Kompromiss sieht nun längere freiwillige Lärmpausen von sieben Stunden vor, dafür sollen An- und Abflüge in den Nachtrandstunden auf eine Bahn konzentriert werden. Leiser werde es dadurch nicht, der Lärm nur anders verteilt, kritisieren die Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm in der Region. Auch der geplante Lärmdeckel ist noch reichlich vage, bei der beschlossenen "Überprüfung" des Terminals 3 ist Schwarz-Grün auf das Entgegenkommen von Flughafen-Betreiber Fraport und der Lufthansa angewiesen.

SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel, statt auf der Regierungsbank in der Opposition gelandet, kritisierte das als "Täuschungsmanöver" und "Beruhigungspille" für die grüne Basis. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag sei nicht mehr als ein "schwarz-grüner Waffenstillstand", zudem täusche die neue Koalition die Bürger bei der Haushaltssanierung. Tatsächlich hat Schwarz-Grün zwar angekündigt, den Haushalt um eine Milliarde Euro struktureller Schulden zu entlasten, eine solide Rechnung dafür aber bislang nicht vorgelegt. Gespart werden soll vorwiegend bei den Beamten, nicht aber bei den Lehrern, dazu hebt Hessen die Grunderwerbssteuer auf sechs Prozent an. Auch dürfen die Grünen zwar die Energiewende anschieben, dafür wird ihre Vollendung auf das Jahr 2050 vertagt.

Kabinett

Zwei Minister werden die Grünen in der neuen Regierung stellen, die am 18. Januar gewählt wird: Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung wird Al-Wazir, der damit auch für den Flughafen verantwortlich ist, und als wichtigste Aufgabe "die Versöhnung der Ökonomie mit der Ökologie" nannte. Die bisherige Bundestagsabgeordnete Priska Hinz soll das zweite Grünen-Ministerium führen, das für Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Hinz war schon einmal von 1998 bis 1999 hessische Umweltministerin. Die Grünen bekommen ferner einen Staatssekretär im Sozialministerium für Integration und Anti-Diskriminierung. Die CDU besetzt sechs der acht Ministerien, darunter Finanzen und Inneres. "Dieser Koalitionsvertrag wird Hessen grüner machen", befand Al-Wazir. Gelungen ist den Partnern abseits der inhaltlichen Details vor allem eines: die Überwindung einer Kulturbarriere. "Wir haben uns vom Klima wie vom Inhalt her immer besser gefunden", sagte Volkeer Bouffier.

Im rauffreudigen Hessen ist jetzt ein ganz neuer Respekt vor dem politischen Gegner auszumachen. Am Ende, sagte Bouffier, sei ein "verlässliches, vertrauensvolles und durchaus auch freundschaftliches Verhältnis" entstanden. Die Stimmung war so gut, dass sich die neuen politischen Bündnispartner zum Schuss sogar anspielungsreiche Geschenke machen konnten: Für den Fleisch-Fan Bouffier gab es einen veganen Fleischsalat, für den Krawatten-Hasser Al-Wazir einen schicken Binder - in Schwarz, Grau und Grün.