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Neuer Kurs zwischen Erfolg und Risiko der Deindustrialisierung

Wirtschaft Gabriel will bei Energiereform Kostendynamik brechen. Für die Grünen sind die Klagen über hohe Industriestrompriese "Ammenmärchen". Linke sieht…

03.02.2014
2023-11-08T12:31:29.3600Z
4 Min

Politiker der Koalition haben in der Wirtschaftsdebatte des Deutschen Bundestages am Donnerstag ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland abgelegt. Zugleich wurde die Weiterführung und Neuausrichtung der Energiewende betont. Von der Opposition gab es Warnungen, im Rahmen der Energiewende den Atomstrom durch Strom aus Braunkohle zu ersetzen.

Industrie als Grundlage

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte an, er werde in der Energiepolitik für "Planbarkeit, Berechenbarkeit und Kostendämpfung" sorgen. Die gute wirtschaftliche Entwicklung dürfe nicht allzusehr beruhigen. Deutschland habe eine zu geringe Investitionsquote. Lohn- und Sozialkosten würden nicht mehr den internationalen Wettbewerb bestimmen, sondern es seien heute die Rohstoff- und Energiekosten. Zudem müsse es ein gesellschaftliches Klima geben, in dem "industrielle Produktion als das begriffen wird, was sie ist: nämlich die Grundlage für unseren Wohlstand und nicht als lästiges Anhängsel einer Dienstleistungsgesellschaft, das man möglichst schnell loswerden will". Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung müssten zu Produktion in Deutschland führen.

Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und des Emissionshandels in Europa und damit verbunden ein besserer Klimaschutzes seien ebenso wichtige Aufgaben wie die Sicherung der Stromversorgung sowie der Ausbau der Netze, sagte Gabriel. Er warnte aber auch: "Das, was bei uns unter der Überschrift Energiewende debattiert wird, hat nach wie vor das Potenzial zu einem großen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Erfolg. Aber es birgt auch das Risiko einer dramatischen Deindustrialisierung, wenn wir die Kosten für Wirtschaft und Industrie nicht deutlich verändern."

Gabriel hob hervor, die Förderung der erneuerbaren Energien entziehe Verbrauchern und Wirtschaft jedes Jahr zwischen 22 und 24 Milliarden Euro. Das sei richtig und notwendig, "aber es ist auch eine Belastung, die kein anderes Land in Europa zu tragen bereit wäre". Wenn es nicht gelinge, die Kostendynamik zu brechen, werde auch kein anderes Land folgen. "Ich werde niemandem sinkende Strompreise versprechen, aber wir können die Kostendynamik drastisch brechen", versicherte der Wirtschaftsminister.

Noch deutlicher als Gabriel warnte Michael Fuchs (CDU/CSU) vor den Gefahren einer Deindustrialisierung durch zu hohe Stromkosten, während die USA die Schiefergasförderung zu einer Reindustrialisierung nutzen würden.

In der Energiepolitik setzte Fuchs eigene Akzente, in dem er vor zu hohen Ausbauzielen bei der Bioenergie warnte: "Es muss Schluss sein mit der Übermaisung des Landes. Die einzigen, die daran Spaß haben, sind die Wildschweine." Durch die EEG-Ausgaben von 24 Milliarden Euro entstehe ein gewaltiger Kaufkraftverlust. Eine vierköpfige Familie zahle bis zu 500 Euro im Jahr für die EEG-Umlage: "So können wir nicht weiter machen." Sorgen bereite ihm auch das Beihilfeverfahren der EU wegen der Strompreisvergünstigungen für die energieintensiven Industrie. Wenn es nicht gelinge, die Ausgleichsregelung in Brüssel zu retten, "werden wir wesentliche industrielle Zweige verlieren". Davor hatte auch Gabriel gewarnt. Wie Fuchs hob Hubertus Heil (SPD) hervor, dass es Deutschland gut gehe. Wer morgen sicher leben wolle, müsse aber heute für Reformen sorgen, verlangte Heil, der sich für eine Erhöhung der Investitionsquote stark machte.

Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die von der Koalition geplante Drosselung des Ausbautempos bei den erneuerbaren Energien als "fundamentalen Irrtum". Über eine Ausbaubremse könne geredet werden bei einem Anteil der erneuerbaren Energien von 75 bis 80 Prozent: "Wir sind aber erst bei 25 Prozent." Da sei es ein "großer Fehler", die erneuerbaren Energien zu deckeln. Selbst Gabriels Ministerium bezeichne die Windenergie an Land als preiswerter als Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken. Diese erneuerbaren Energien zu deckeln, habe nichts mit Kosteneffizienz zu tun, sondern werde den Strompreis noch treiben. Krischer warf der Koalition vor, "Ammenmärchen" über zu hohe Industriestrompreise zu verbreiten. Wenn Thyssen- Krupp Probleme habe, habe das mit Missmanagement und nicht mit den Strompreisen zu tun. Krischer warnte davor, Atomstrom durch Braunkohle zu ersetzen: "Sie machen damit aus der Energiewende eine Braunkohlenwende. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen."

Klaus Ernst (Die Linke) bezeichnete Arbeitnehmer und Rentner als Verlierer der Wirtschaftspolitik. Das Bruttoinlandsprodukt sei von 2000 bis 2013 um knapp 15 Prozent gewachsen. Im selben Zeitraum seien die Löhne nur um ein Prozent gestiegen und damit von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt worden. Die realen Renten langjährig Versicherter seien im Westen um 19 und im Osten um 23 Prozent gesunken. Profitiert hätten mit einem Zuwachs von

32 Prozent aber die Bezieher von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen. Von den angekündigten höheren Steuern auf Vermögen und für hohe Einkommen höre man aber nichts mehr. Diese Entwicklung passe nicht in eine soziale Marktwirtschaft, kritisierte Ernst, der höhere Löhne und eine Steigerung der Binnennachfrage forderte.