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Szenen einer Krise

KOALITION Der Fall Edathy ist zu einer massiven Belastung für die Bundesregierung geworden

24.02.2014
2023-08-30T12:26:10.7200Z
5 Min

Rückblick: Union und SPD sind auf dem Weg in die Große Koalition. Am Rand der Sondierungsgespräche informiert der Innenminister (CSU) den SPD-Chef, dass der Name eines SPD-Abgeordneten mit guten Karriereaussichten bei Ermittlungen wegen Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie aufgetaucht ist. Es gehe dabei nicht um strafbare Inhalte, aber möglicherweise komme es zu strafrechtlichen Ermittlungen. Der Parteichef weiht seinen Fraktionsvorsitzenden und dessen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer (PGF) ein.

Wochen später wird der SPD-Chef Vizekanzler, der Fraktionsvorsitzende Außenminister, der PGF rückt an die Spitze der Fraktion und weiht seine Nachfolgerin in den Fall ein. Der SPD-Abgeordnete geht leer aus, meldet sich schließlich krank. Zwischenzeitlich berichtet die kanadische Polizei über einen Schlag gegen einen weltweiten Kinderpornoring.

Weitere Wochen danach legt der Abgeordnete "aus gesundheitlichen Gründen" sein Mandat nieder. Wohn- und Büroräume von ihm werden durchsucht, laut Staatsanwaltschaft sind vor der Durchsuchung Festplatten entfernt und vernichtet worden.

Dann macht der neue Fraktionschef öffentlich, dass der inzwischen ernannte Vizekanzler seinerzeit vom Innenminister über den Fall ins Bild gesetzt worden war und die beiden anderen über den Sachstand unterrichtet hatte. Gegen den CSU-Minister, mittlerweile ins Agrarressort gewechselt, wird daraufhin der Vorwurf des Geheimnisverrats laut, er muss zurücktreten.

Beschädigt

So präsentiert sich grob skizziert der Weg, auf dem Schwarz-Rot tief in die Krise schlitterte durch die Affäre um Sebastian Edathy, der sich in der vergangenen Wahlperiode noch einen Namen als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses gemacht hatte. Schaden genommen haben alle Beteiligten: der zurückgetretene Minister Hans-Peter Friedrich, SPD-Chef Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein Nachfolger im SPD-Fraktionsvorsitz, Thomas Oppermann - sowie die Koalition insgesamt.

In der hat es mächtig geknallt nach Friedrichs Rücktritt am Freitag vorletzter Woche; viele Unions-Leute schäumten. "Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass ein SPD-Abgeordneter mutmaßlich kinderpornografische Schriften kauft und die einzige Konsequenz darin besteht, dass ein CSU-Minister zurücktritt", schimpfte etwa der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl. "Eidesstattlich müssen alle SPD-Politiker, die eingeweiht waren, dass ihr damaliger Kollege Bilder nackter Jungen bestellte, erklären, dass sie den Verdächtigen nicht vorgewarnt haben", assistierte nicht nur CDU-Vize Armin Laschet. Und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf Oppermann vor, er habe "durch seine Widersprüche", "durch seinen Vertrauensmissbrauch" die Große Koalition in eine "schwere Krise" gestürzt.

Offene Fragen

Der für Dienstag vergangener Woche geplante Koalitionsausschuss wurde abgesagt, stattdesssen kamen die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Gabriel zum Krisengipfel zusammen - ohne Fraktionschefs und Generalsekretäre. Schon vor dem Sechs-Augen-Treffen gab Merkel die Marschroute vor: Gabriel, Seehofer und sie hätten die Verpflichtung, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und in die Arbeit der Koalition zu sichern. Deshalb würden alle offenen Fragen auf den Tisch gelegt.

Viele Fragen stellte sich auch das Publikum. Vor allem natürlich die, ob Edathy vor Ermittlungen gewarnt wurde. Ferner: Warum machte Oppermann die vertrauliche Weitergabe der Informationen von Friedrich und der SPD-Spitze plötzlich bekannt? Was hatte es mit seiner Darstellung auf sich, er habe sich im Oktober 2013 die damaligen Informationen über Edathy vom Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, "bestätigen lassen" - was dieser prompt zurückwies, woraufhin sich Oppermann korrigierte. Und auch: Was hatte er überhaupt mit seinem Anruf beim BKA-Chef bezweckt?

Rund fünfeinhalb Stunden bemühte sich der Innenausschuss am Mittwoch um Aufklärung. Erst befragten die Abgeordneten Ziercke sowie Klaus-Dieter Fritsche, im vergangenen Herbst noch Innen-Staatssekretär, dann Oppermann und seine Nachfolgerin als PGF, Christine Lambrecht. Am Abend schließlich folgten Gabriel und Steinmeier. Am Freitagnachmittag folgte die nächste Ausschusssitzung, diesmal wieder mit Ziercke und Fritsche. Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) folgte einer Einladung zu der Sitzung dagegen ebenso wenig wie Jörg Fröhlich, Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, deren Vorgehen im Fall Edathy auch so manche Frage aufwirft.

Ziercke zufolge war es die Polizei im niedersächsischen Nienburg, Edathys Wohnort, die dessen Namen unter verdächtigen Kunden eines in Kanada aufgeflogenen Online-Versands entdeckte, der Fotos nackter Kinder und noch schlimmeres Material vertrieb. Das BKA hatte zuvor eine Liste mit Namen "geringerer Priorität" bei der Strafverfolgung von Pädophilie an die Landeskriminalämter weitergeleitet, die Angaben gelangten dann auch nach Nienburg. Von dort erfuhr das BKA am 15. Oktober 2013 von dem Fund; einen Tag danach unterrichtete Ziercke dann Fritsche. Dazu, betonte Ziercke, sei er verpflichtet gewesen. Fritsche wiederum setzte Ressortchef Friedrich ins Bild, der seinerseits Gabriel informierte.

Nächster Punkt: Oppermanns Anruf bei Ziercke am Nachmittag des 17. Oktobers. Oppermann habe in dem etwa dreiminütigen Gespräch dargelegt, was er von Gabriel und dieser von Friedrich über Edathy erfahren habe; er selbst habe dies nicht kommentiert, berichtete Ziercke: "Ich habe nichts offenbart, und Herr Oppermann hat nicht versucht, mich aktiv dazu zu verleiten."

Vor der nächsten Runde im Ausschuss bot den Abgeordneten eine von der Koalition beantragte Plenardebatte zu dem Fall Gelegenheit zur Zwischenbilanz. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer bescheinigte seinem zurückgetretenen Parteifreund Friedrich, er habe sich "moralisch vollkommen anständig verhalten" und Bundesregierung wie Bundesrepublik vor Schaden bewahren wollen. SPD-Fraktionsvize Eva Högl (SPD) wertete Oppermanns Telefonat mit dem BKA-Chef als "vollkommen richtig", es werde "zu Unrecht skandalisiert". Für Die Linke nannte es ihr Fraktionsvize Dietmar Bartsch "rechtswidrig", dass Friedrich erst Gabriel über die Vorgänge informierte und Gabriel dann Steinmeier und Oppermann und letzterer schließlich Lambrecht. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ergänzte, bislang sei der "Vorwurf der Kumpanei nicht ausgeräumt". Im Raum stehe der Vorwurf, dass Friedrich im Herbst für die sich damals anbahnende Große Koalition gehandelt habe.

Danach schilderte Oppermann im Innenausschuss und vor der Presse sein Telefonat mit Ziercke, seine Darstellung deckt sich mit der des BKA-Chefs. Er sei von den Vorwürfen gegen Edathy schockiert gewesen, habe "die Dinge einordnen" wollen, begründete er den Anruf. Als Grund für seine umstrittene Pressemitteilung nennt Oppermann Medienanfragen, denen zufolge "belastbare Aussagen aus Sicherheitskreisen" vorlägen. Danach habe er bereits im November Kenntnis von Ermittlungen gegen Edathy gehabt. Wie Gabriel und Steinmeier sei er der Auffassung gewesen, solche Anfragen wahrheitsgemäß beantworten zu müssen. Die Pressemitteilung habe er mit Friedrich telefonisch abgestimmt; dessen Rücktritt tue ihm "auch persönlich leid". Ähnlich äußerten sich dann am Abend auch Gabriel und Steinmeier. Mit Friedrich habe ein Minister zurücktreten müssen, "der sich schlicht und einfach anständig verhalten hat", sagte Gabriel.

Am Donnerstagabend schloss Oppermann erneut aus, dass Edathy aus der SPD-Spitze Informationen zu den gegen ihn laufenden Ermittlungen erhalten hat. Am Freitag schließlich fiel der "Süddeutschen Zeitung" auf, dass Edathy im Herbst in der Unter-Arbeitsgruppe Integration und Migration an den Koalitionsverhandlungen beteiligt gewesen war. Darum hatte ihn einer Parteisprecherin zufolge SPD-Vizechefin Aydan Özoguz "eigenständig" gebeten - was manche Medien als Beleg werteten, dass die SPD-Spitze ihr Wissen über Edathy für sich behalten habe.

Die ganze Affäre bietet noch viele Nebelfelder, in denen sich trefflich stochern lässt. Wie weit die Aufklärung am Ende reicht, ist kaum abzusehen.