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"Mystic" im Ausschuss

NSA An den neu eingesetzten Untersuchungsausschuss zum Spähskandal werden hohe Erwartungen gestellt. Lädt er auch Snowden als Zeugen nach Berlin?

24.03.2014
2023-08-30T12:26:11.7200Z
4 Min

So viel Eintracht herrscht im Bundestag selten. Bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, der den Spähskandal um den US-Geheimdienst NSA durchleuchten soll, überboten sich vergangene Woche die Redner fast mit drastischer Kritik. SPD-Fraktionsvize Eva Högl attackierte eine "überbordende Massenüberwachung" von Bürgern, Wirtschaft und Regierungsstellen. Eine solch "totale Kontrolle gefährdet die Demokratie", warnte Martina Renner (Linke). Als "nicht hinnehmbar" wertete der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg die massenhafte Erfassung und Speicherung von Daten ohne Vorliegen eines Verdachts. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz wetterte gegen den "größten Überwachungs- und Geheimdienstskandal aller Zeiten" und ortete eine "Kernschmelze der Rechtsstaatlichkeit". Sein Parteifreund Hans-Christian Ströbele empörte sich, dass trotz der Aufdeckung der Affäre "die Überwachung nahtlos weitergeht".

Bittere Erkenntnis

Für Aufregung hatten zuletzt Meldungen gesorgt, dass die NSA nicht nur die Verbindungsdaten bei Telefonaten, E-Mails und Internetaktivitäten registriert, sondern auch in der Lage ist, in einem Staat die Inhalte aller Telefonate zu speichern und auszuwerten - ein gespenstisches Abhörprogamm mit dem bezeichnenden Namen "Mystic". "Die Ereignisse überschlagen sich", konstatierte Christian Flisek (SPD), "es werden immer neue Dimensionen der Überwachung bekannt".

Diese bittere Erkenntnis veranlasste die Fraktionen, nicht nur den Untersuchungsauftrag (18/843) einstimmig zu verabschieden, sondern auch den Willen zur gemeinsamen Aufarbeitung der gigantischen Spionage selbst gegen befreundete Staaten zu beschwören. Sensburg mahnte, sich nicht im "Kleinklein" zu verlieren. Mit dem Ausschuss demonstriere der Bundestag, dass er sich als "gemeinsame Kontrollinstanz" verstehe, sagte Högl. Aus Sicht Renners bietet das Gremium eine "einmalige Chance" zur Aufklärung des Spähskandals. Es gehe nicht darum, assistierte Notz, "am Stuhlbein von Ministern zu sägen, sondern Grundrechte zu sichern".

Das Gremium könnte

zum Test dafür werden, ob die Große Koalition Linken und Grünen in der Praxis die Möglichkeit bietet, sich als Opposition voll entfalten zu können. Zwar haben sich Union und SPD zu einem personellen Zuschnitt bereit erklärt, der bei acht Mitgliedern Linken und Grünen mit jeweils einem Vertreter zusammen 25 Prozent der Sitze und damit die nötigen Minderheitenrechte einräumt.

Doch das heißt nicht, dass etwa die Benennung von Zeugen reibungslos funktioniert. Streit ist programmiert über die Frage, ob und in welcher Form Edward Snowden vernommen wird, der mit seinen Enthüllungen den NSA-Skandal ins Rollen gebracht hat. Besonders bei der Union steht man der von Linken und Grünen geforderten Anhörung Snowdens sehr reserviert gegenüber. Man zweifelt am inhaltlichen Ertrag einer Befragung des ehemaligen NSA-Bediensteten. Vor allem aber wäre ein Erscheinen der Ikone der Bürgerrechtsbewegung nur denkbar, wenn über die Gewährung von Asyl oder mit Hilfe anderer rechtlicher Maßnahmen garantiert würde, dass Snowden nicht an die USA überstellt wird. Und das würde Zoff mit Washington provozieren.

Flisek sah in Snowden zwar ein "taugliches Beweismittel", doch müssten die Modalitäten einer Vernehmung noch besprochen werden. Der Ausschuss diene der "Aufklärung in der Sache und nicht der medialen Inszenierung", betonte der SPD-Abgeordnete. Renner und Ströbele insistierten indes auf einer Anhörung Snowdens. Der könnte im Übrigen auch in Moskau, per Videokonferenz oder auf schriftlichem Weg befragt werden - aber das ist natürlich etwas anderes als ein spektakulärer Auftritt im Bundestag. Ströbele verlangte zudem, Angela Merkel als Zeugin zu laden: Die Kanzlerin, deren Handy ebenfalls belauscht wurde, sei schließlich das "wichtigste Opfer" der Affäre.

Inhaltlich zeichnen sich ebenfalls Konfliktlinien ab. Zum Untersuchungsauftrag gehört es, auch die Rolle der deutschen Regierung wie der hiesigen Geheimdienste zu durchleuchten und deren Wissen über die Spionageaktivitäten der NSA wie der Nachrichtendienste Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands als den "Five Eyes" zu erkunden. Auf diesem Weg erhofft man sich sozusagen indirekt auch Erkenntnisse über die Spähmethoden der ausländischen Schlapphüte hierzulande - schließlich wird kein Zeuge aus Washington anreisen, keine Akte wird über den großen Teich nach Berlin geschickt werden.

Im Blick auf die deutschen Geheimdienste kündigte Clemens Binninger (CDU) an: "Wir schonen niemanden." Aber der designierte Ausschussvorsitzende betonte auch: "Wir führen niemanden vor." Die Opposition sieht jedoch offenbar gerade bei diesem Thema Chancen zum Angriff. Es müsse geprüft werden, forderte Renner, ob es einen "Ringtausch" zwischen "großem Bruder und kleinem Bruder" gab - ob also etwa hiesige Nachrichtendienste von der NSA profitierten, indem sie Daten erhielten, die sie hierzulande nicht sammeln durften.

Was wird letztlich der konkrete Nutzen des Ausschusses sein? Högl und Sensburg formulierten es so: Man müsse nach Möglichkeiten suchen, wie die vertrauliche Kommunikation und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet werden können. Gelinge es nicht, solche Konsequenzen zu ziehen, warnte der CDU-Politiker, werde sich das Gremium als "zahnloser Tiger" erweisen.