Piwik Webtracking Image

Öko-Katastrophe in Zeitlupe

WIRTSCHAFT Geothermie-Projekt in Baden-Württemberg führt zu schweren Nebenwirkungen

24.03.2014
2023-08-30T12:26:11.7200Z
4 Min

Immerhin, zwei Sorten von Zeitgenossen pilgern nicht mehr wie noch vor einigen Jahren in Scharen ins malerische Staufen im Markgräflerland in Baden-Württemberg. Zum einen machten sich damals die "Risse-Touristen" mit Fragen wie "Können wir mal die Risse sehen?" oder "Haben Sie auch Risse an ihrem Haus?" bei Einheimischen recht unbeliebt. Und dann strömten Journalisten selbst aus den USA und aus China in den beschaulichen 8.000-Seelen-Ort und betitelten ihre Medienberichte mit unschönen Schlagzeilen wie "Eine Stadt spaltet sich" oder "Eine Stadt zerreißt".

Kretschmann solidarisch

Da ist den Bürgern ein Besuch wie vergangene Woche bedeutend lieber: Ministerpräsident Winfried Kretschmann sicherte der Kleinstadt seine Solidarität zu, deren Situation "absolut außergewöhnlich" sei. Der Grünen-Politiker sicherte zu, Staufen in den nächsten Jahren mit 24 Millionen Euro unter die Arme zu greifen. Die Stadt steuert sechs Millionen Euro bei. Damit soll mit der Beseitigung der auf 50 Millionen Euro geschätzten Schäden begonnen werden, die an 270 Gebäuden nach einer missglückten Geothermiebohrung entstanden sind. Die Betroffenen hätten jetzt "Sicherheit und Verlässlichkeit bei der finanziellen Bewältigung der dieser Katastrophe", meinte Kretschmann. Reichen dürften die 30 Millionen Euro freilich nicht.

Der monetäre Kraftakt, dem bereits fünf Millionen Euro Landeszuschüsse vorausgingen, soll auch dazu beitragen, das gewaltige Imageproblem einzudämmen, das auf den erneuerbaren Energien seit dem Debakel am Oberrhein lastet. Schließlich wollen Kretschmann und Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) an der Erdwärme festhalten, und dies mit fraktionsübergreifender Unterstützung im Landtag. Untersteller sagte, ein spürbarer Ausbau der ökologischen Wärmeerzeugung werde nur gelingen, "wenn wir die Geothermie weiterhin nutzen können".

Der Schock von Staufen sendet bundesweit eine unangenehme Botschaft aus: Auch Öko-Energien können mit erheblichen Risiken verbunden sein. Das trifft die Erdwärme besonders hart, die als gigantische Ressource gilt - als oberflächennahe Geothermie für die Wärmegewinnung und als Tiefengeothermie für die Stromherstellung. Zum Innern des Globus wird es alle 100 Meter um drei Grad wärmer, am Oberrhein sogar um sechs Grad. Aber mit dem großen Durchbruch für die Energiegewinnung aus der Hitze im Untergrund hapert es noch, und das hat nicht zuletzt mit dem Fiasko in Staufen zu tun.

Dort sollte im Herbst 2007 das historische Rathaus ökologisch korrekt beheizt werden. Doch bei der Versenkung von sieben Erdwärmesonden in 140 Meter Tiefe ging etwas schief: Wasser drang in eine Anhydritschicht ein, wodurch Gips entsteht, der sich kräftig ausdehnt. Seither quillt wegen der unterirdischen Gipsbildung der Boden wie ein Hefekuchen auf, und dies schon bis zu 60 Zentimeter. Anfangs schob sich die Erde monatlich um einen Zentimeter nach oben, das Abpumpen von Grundwasser verlangsamte diesen Prozess inzwischen auf drei Millimeter. Niemand weiß, wann die Hebungen aufhören. Bürgermeister Michael Benitz beklagt eine "Katastrophe in Zeitlupe".

An 270 Häusern sind massenhaft Risse in Mauerwerken, Decken, Böden, Treppenaufgängen, Fliesen und Verputz zu beklagen, Fenster und Wände verziehen sich. Ein Gebäude musste abgerissen werden. 70 Häuser sind so stark geschädigt, dass eine Sanierung fraglich ist. Manche Gebäude werden mit Balken abgestützt. Archiv und Grundbuchamt mussten ausquartiert werden. Gastronomen verstecken unschöne Spalten schon mal mit künstlichem Efeu. Zuweilen wölben sich Straßen und Trottoirs auf.

Tapfer betonte Untersteller jüngst auf einer Geothermie-Messe, dass in Baden-Württemberg tausende Erdwärmesonden problemlos arbeiten. Doch der Grüne weiß natürlich, "dass jeder Schaden ein Schaden zu viel ist". In Staufen sei technisch unsachgemäß gearbeitet worden, meint Kretschmann, aber "unter Beachtung der notwendigen Sorgfalt" halte man an der Erdwärme fest. Mittlerweile hat das Land neue technische Standards für Bohrungen und strikte Auflagen zur Qualitätssicherung angeordnet. Der CDU-Abgeordnete Paul Nemeth appelliert an die Regierung, ein Moratorium für Bohrungen in Regionen mit der Gefahr von Gipsbildung zu prüfen.

Allerdings steht Staufen nicht allein. Im Herbst wurde die Bodenseeregion von einem Erdbeben erschreckt - eine Fernwirkung von Produktionstests im Schweizer St. Gallen, wo in 4.000 Meter Tiefe Wasser erhitzt werden soll, um es dann oberirdisch für die Erzeugung von Strom und Wärme zu nutzen. Im Umfeld eines Geothermiekraftwerks im pfälzischen Landau fielen Hebungen und Risse im Boden auf. Im elsässischen Dorf Lochwiller klaffen seit diversen Bohrungen nach Staufener Muster in Dutzenden von Häusern Risse, Straßenasphalt und Kanaldeckel werden nach oben gedrückt. Im Schwäbischen passierte Ähnliches in Böblingen und Rudersberg. In Schorndorf und Leonberg sackten Gebäude ab.

So schlimm wie im Markgräflerland wird es in diesen Orten nicht kommen - vielleicht auch deshalb nicht, weil dort Doktor Faust anders als in Staufen mit Mephisto keinen teuflischen Pakt schloss.

Risiken bei der Nutzung unterirdischer Ressourcen beschäftigten auch den Bundestag, wo es am vergangenen Donnerstag um eine Änderung des Bundesberggesetzes ging, das die Bedigungen regelt, unter denen Bodenschätze gefördert und Bohrungen vorgenommen werden können.

Redner der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD sprachen sich für eine Rohstoffgewinnung in Deutschland aus. Forderungen nach einem Verbot neuer Braunkohletagebaue wurden zurückgewiesen. Ein entsprechender Antrag der Grünen (18/848), in dem auch Bohrungen zur Erdgasgewinnung mit der Fracking-Fördermethode abgelehnt werden, wurde an die Ausschüsse überwiesen.

Annalena Baerbock (Grüne) verlangte: "Die Kohle muss da bleiben, wo sie ist. Unter der Erde." Eva Bulling-Schröter (Linke) sagte, "glücklicherweise wachsen die erneuerbaren Energien rasant, und darum braucht diese klimaschädliche Kohle spätestens ab 2040, wahrscheinlich schon weit früher, niemand mehr". Herlind Gundelach (CDU) warf den Grünen vor, sie würden die Rohstoffförderung am liebsten ganz verbieten. Bernd Westphal (SPD) erklärte, die SPD stehe für Fortschritt und nachhaltigen Bergbau. Er beendete seine Rede mit dem Bergmannsgruß "Glückauf".