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Cyberagent James Bond 2.0

NSA-AUSSCHUSS Weiter Streit um Befragung des Zeugen Snowden. Wenig Handhabe gegen Spionage

10.06.2014
2023-08-30T12:26:15.7200Z
4 Min

Hinter den Kulissen wurde für die Reise nach Russland offenbar schon Vorarbeit geleistet. "Binnen Stunden könnten Tickets gebucht werden", ist Christian Flisek überzeugt. Auch außerhalb der deutschen Botschaft stünden in Moskau abhörsichere Räume für ein Gespräch mit Edward Snowden bereit, sagt der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, der den Spähskandal um den US-Geheimdienst NSA durchleuchten soll. Grünen-Sprecher Konstantin von Notz sieht freilich die Gefahr, dass Kreml-Chef Wladimir Putin den Trip einer Bundestagsdelegation propagandistisch ausnutzen könnte. Unions-Obmann Roderich Kiesewetter wischt solche Bedenken beiseite: "Wir sind nicht naiv, wir werden uns nicht als Staffage instrumentalisieren lassen."

Kontakt zu Snowden

So beschloss denn die Koalition vergangene Woche gegen Linke und Grüne, nach Moskau zu fliegen, um Kontakt mit dem ehemaligen NSA-Bediensteten aufzunehmen, der mit seinen Enthüllungen die Spionageaffäre ins Rollen gebracht hat und in Russland im Exil lebt. Bei dem Treffen sollen Chancen und Modalitäten einer Anhörung Snowdens als Zeuge ausgelotet werden. Ob Linken-Sprecherin Martina Renner und Notz mitreisen werden, blieb zunächst offen. Sie habe kein Interesse an "polittouristischen Ausflügen", kommentierte Renner. Notz sprach von einer "Kaffeefahrt". Natürlich könne sich die Opposition "krankmelden", um nicht mitkommen zu müssen, konterte Flisek sarkastisch, doch gehe er von einer Teilnahme aus.

Der Flug nach Moskau ist die neueste Wendung in der Hängepartie um den Ex-NSA-Mann. Snowden will nicht von Russland aus Auskunft geben, weil dies seinen Aufenthaltsstatus gefährden könnte. Solche Sorgen bestärken Linke und Grüne in ihrer Forderung, den 30-Jährigen im Bundestag als Zeugen zu befragen. Bürgerrechtler bauten vor dem Reichstag unter dem Motto "Ein Bett für Snowden" ein Ruhelager auf, um dem US-Amerikaner symbolisch eine Zuflucht anzubieten für einen Auftritt in Berlin.

Minenfeld

Kiesewetter indes beharrte auch dieses Mal wieder darauf, dass Snowden nicht nach Deutschland kommen soll. So will es auch die Regierung, um neue Komplikationen im Verhältnis zu den USA zu vermeiden. In einer Stellungnahme der Regierung heißt es, man könne derzeit Snowdens Sicherheit nicht garantieren und dessen Auslieferung an die USA nicht ausschließen. Man wolle "auf Zeit spielen" und letztlich eine Vernehmung des Whistleblowers im Bundestag verhindern, monierte Renner. Kritik ließ auch Flisek anklingen: Die Regierung müsse "endlich Klarheit schaffen", bislang seien deren Erklärungen "sicher keine Einladung an Snowden".

Nicht nur dieser Streit zeigt, dass der NSA-Ausschuss im Minenfeld der Tagespolitik agiert. Auch der Konflikt um strafrechtliche Ermittlungen in der NSA-Affäre wühlt den Bundestag auf und schlägt Wellen selbst jenseits des Atlantiks. Im Rechtsausschuss erläuterte Generalbundesanwalt Harald Range, dass er nun doch Ermittlungen "gegen unbekannt" wegen des Verdachts auf Ausspähung des Mobiltelefons von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeleitet habe - bislang freilich nicht wegen der massenhaften Ausforschung der Bürger. Offenbar muss sich die Karlsruher Behörde im Übrigen für den Kampf gegen IT-Agenten noch ertüchtigen. Range hat jetzt ein Referat "Cyberspionage" eingerichtet, das fortan "James Bond 2.0" jagen soll, wie er es selbst formulierte. Kaum war Ranges Besuch im Rechtsausschuss beendet, reagierte Washington verstimmt. Pikiert erklärte das US-Außenministerium, man würde es vorziehen, auf diplomatischem Weg miteinander zu reden.

Patrick Sensburg nannte Ranges Ladung in den Rechtsausschuss einen "Skandal", besonders die Grünen hätten Druck auf den Generalbundesanwalt ausüben wollen. Damit will der CDU-Abgeordnete den NSA-Ausschuss befassen, dessen Vorsitzender er ist.

Ein wenig in den Schatten geriet derweil jenes Thema, mit dem sich das Gremium eigentlich auseinandersetzen wollte: Mehrere Wissenschaftler sollten darlegen, ob das europäische Recht und das Völkerrecht Ansatzpunkte bieten für ein Vorgehen gegen die Überwachung durch ausländische Geheimdienste. Die Auskünfte muteten überwiegend ernüchternd an.

Lose Fesseln

Der Bonner Professor Stefan Talmon wies darauf hin, dass das Völkerrecht Spionage nicht verbiete. Gegen eine Überwachung, die vom Ausland aus organisiert werde, existiere keine rechtliche Handhabe. Nun hat aber Großbritannien die Menschenrechtscharta des Europarats unterschrieben, welche die Privatsphäre und die freie Kommunikation schützt. Eine Klage vor dem Menschenrechtsgerichtshof böte laut Talmon denn auch im Prinzip eine Möglichkeit, sich gegen Ausspähung zu wehren, doch gab er einem Gang nach Straßburg keine großen Chancen.

Der Berliner Wissenschaftler Helmut Philipp Aust sagte, die Europaratsrichter hätten der Spionage "zwar Fesseln angelegt, die im konkreten Fall jedoch recht lose" seien. Auch die Verankerung der Grundrechte in den EU-Verträgen nutze nicht viel, da Sicherheit eine nationale Angelegenheit sei. Offensiver äußerte sich der Londoner Professor Douwe Korff, der für eine Staatenklage gegen London vor dem Menschenrechtsgerichtshof plädierte. Die Überwachung durch Amerikaner und Briten stelle einen Eingriff in das deutsche Hoheitsgebiet und einen "Verstoß gegen das Völkerrecht" dar. Dieses Vorgehen lasse sich nicht unter Verweis auf die nationale Sicherheit rechtfertigen. Ein Staat müsse auch im Ausland die Grundrechte achten.