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Gelebte Nachbarschaft

VON JÖRG BIALLAS

11.08.2014
2023-08-30T12:26:18.7200Z
2 Min

Die Freundschaft zwischen Polen und Deutschland ist noch jung. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR, der Wiedervereinigung und den nachfolgenden politischen Umwälzungen in Osteuropa konnte damit begonnen werden, eine mit Leben erfüllte, gute Nachbarschaft aufzubauen. Damit endete ein langer, von Kriegen und zahllosen Spannungen geprägter historischer Abschnitt.

Das furchtbarste Kapitel in der Beziehung beider Staaten hatte die deutsche Wehrmacht mit dem Überfall auf Polen vor 75 Jahren eingeläutet. Der nationalsozialistische Wahnsinn hat schier unermessliches, kaum vorstellbares Leid über Nachbarstaaten, weite Teile der Welt und auch das eigene Volk gebracht.

Diese Katastrophe hat in Polen tiefe Wunden gerissen, die bis heute schmerzen. Umso bemerkenswerter ist es, dass beginnend mit dem Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos 1970 tatsächlich ein Prozess der Aussöhnung in Gang gekommen ist.

Danach sollte es noch gut 20 Jahre dauern, bis beide Staaten einen Nachbarschaftsvertrag unterzeichneten. Jetzt war formal besiegelt, was seitdem beeindruckend umgesetzt werden konnte: ein reger Kontakt zwischen Deutschen und Polen.

Längst haben die Menschen beiderseits der Grenze das jeweils andere Land entdeckt. Zahlreiche Programme des Jugendaustausches führen junge Leute zusammen. Viele Kommunen haben Partnerschaften geschlossen. Menschen mit polnischen Wurzeln sind nach den Türken die zweitgrößte Migrationsgruppe in Deutschland. Für Polens Wirtschaft ist das Nachbarland der wichtigste Handelspartner. Umgekehrt sind deutsche Unternehmer die größten Investoren in Polen. Kurzum: Was viele Jahrzehnte als völlig undenkbar galt, ist heute alltäglich gelebte Realität.

Und doch ist das Verhältnis beider Staaten noch immer nicht gänzlich unbeschwert. Nur wenn das Geschehene nicht verdrängt oder gar vergessen wird, bleiben die Hindernisse, die das Grauen der Geschichte aufgebaut hat, auch dauerhaft eingerissen. Erst dann erwächst aus Vergangenheit die Verpflichtung für den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft. So war es im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Und so wird es eines Tages auch zwischen Deutschland und Polen sein.