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REFERENDUM  : Wahl zwischen Scheidung und Zweckehe

Am 18. September stimmen die Schotten über die Unabhängigkeit von Großbritannien ab

15.09.2014
2023-08-30T12:26:18.7200Z
3 Min

Am 18. September stimmen in Schottland 4,2 Millionen Wähler darüber ab, ob bei Alisdair Houston vor der Haustüre wieder eine Grenze verläuft. Der Schotte lebt in Gretna Green, einem Dorf an der Linie, die vor über 300 Jahren schon einmal die schottisch-englische Grenze markierte. Das Dorf wurde zu einer der berühmtesten Hochzeitsorte im ganzen Königreich. Das lag auch an den unterschiedlichen Heiratsgesetzen von Schotten und Engländern, die Generationen von englischen Paaren nach Schottland zur Trauung lockten.

Bald schon könnte der Ort aber zum Synonym für eine erneute Teilung des Vereinigten Königreichs werden. Setzt sich die Schottische Nationalpartei (SNP) mit ihrem Parteivorsitzenden Alex Salmond beim Referendum durch, lebt Alisdair Houston wieder in einer Grenzstadt – möglicherweise mit höchst unterschiedlichen Gesetzen auf beiden Seiten. „Scheidungen produzieren selten zwei glückliche Partner“, sagt Houston mit Blick auf sein Hochzeitsgeschäft und das Referendum. Statt einer Unabhängigkeit Schottlands spricht er sich für mehr Autonomie im Verbund des Königreichs aus, mit mehr Entscheidungsgewalt für das 1999 eingesetzte schottische Regionalparlament in Edinburgh. Alles andere hält er für zu kompliziert, schließlich müssten sich ein neuer schottischer Staat und der verbleibende britische Reststaat über kaum lösbare Fragen einigen: Wie trennt man Staatsschulden, die Währung, das Gesundheitssystem und die Landesverteidigung auf? Houston will deshalb auch in Zukunft auf zwei Dinge stolz sein dürfen: auf Schottland und auf das Vereinigte Königreich.

Angus Robertson versucht alles, derlei Vorbehalte auszuräumen. Der Fraktionsführer der Schottischen Nationalpartei (SNP) im britischen Unterhaus ist Organisator der Kampagne „Sag Ja zu Schottland“. Bis zum Wahltag wirbt er um jede Stimme für seinen Traum eines unabhängigen Schottlands – mit zuletzt beachtlichem Erfolg: Eine von der Zeitung Sunday Times veröffentliche Umfrage sah Anfang September erstmals die Unabhängigkeitsbefürworter mit 51 zu 49 Prozent vorne. Kurz vor Redaktionsschluss waren jedoch die Unabhängigkeitsgegner der „Better Together“-Kampagne wieder obenauf.

Robertson sagt: „Unsere Kampagne mobilisiert die Leute in den sozial schwachen Gegenden Schottlands, in denen zuletzt gar keiner mehr zu Wahl gegangen ist.“ Er hält sein Anliegen deshalb auch für eine durch und durch demokratische Angelegenheit. „Mehr als die Hälfte meines Lebens wurde Schottland von einer britischen Regierung geführt, die hier niemand gewählt hat.“ Das Referendum und das Ja zur Unabhängigkeit sei Schottlands große Chance, künftig in einer ganz normalen Demokratie leben zu können. Ein unabhängiges Schottland sei auch der beste Schutz davor, zusammen mit dem Vereinigten Königreich aus der EU auszuscheiden, sagt Robertson. Denn für Robertson ist das vom konservativen Premierminister David Cameron für 2017 versprochene Referendum über Großbritanniens Verbleib in der EU ein Votum mit Austrittsgarantie. „Ein Ja zur Unabhängigkeit ist deshalb auch ein Ja zu Schottland in der EU.“

Pawel Swidlicki vom Londoner Think Tank „Open Europe‘ hält eine solche Aussage für gewagt. In einer Studie hat er die Auswirkungen einer Abspaltung Schottlands aus dem Vereinigten Königreich auf die EU untersucht. Sein Ergebnis: Schottland könne nicht automatisch mit der EU-Vollmitgliedschaft rechnen, insbesondere nicht sofort. Als einen der Hauptgründe sieht Swidlicki ausgerechnet Großbritanniens schwieriges Verhältnis mit der EU an. Insbesondere der für die Briten reduzierte Beitrag zum Gemeinschaftshaushalt, auch „Rebate“ genannt, dürfte für ein unabhängiges Schottland wegfallen. Swidlicki rechnet in diesem Fall mit zähen Verhandlungen, die sich einige Zeit hinziehen dürften.

Drohende Reformblockade Besonders die Reform der Institutionen der EU selbst sieht Swidlicki durch ein Ja zu Schottlands Unabhängigkeit in Gefahr: „Es ist schlicht undenkbar, dass in Brüssel über eine ambitionierte Reform der Europäischen Union verhandelt werden könnte, während zeitgleich das Vereinigte Königreich juristisch zerlegt wird.“

Scheitert das Referendum, dann rechnet der Forscher damit, dass die Unabhängigkeitsdebatte dem Königreich dennoch erhalten bleibt. Dann eben innerhalb des Verbunds: „Westminister und Schottland werden politisch in jedem Fall weiter auseinanderdriften.“ Richard Fuchs

Der Autor ist Korrespondent der Deutschen Welle in Berlin.