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Entwicklung I : Ein hoher Preis

Die Fraktionen debattieren über den Weg zu besseren Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen weltweit

13.10.2014
2023-08-30T12:26:20.7200Z
4 Min

Es ist ein trauriges Symbol für die Schattenseite der Globalisierung: Das Textilfabrikgebäude, das im vergangenen Jahr in Bangladesch einstürzte und Tausende unter sich begrub, ist ein Sinnbild für unhaltbare Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern geworden. Die Katastrophe von Sabhar – für den SPD-Abgeordneten Stefan Rebmann ein „Totschlag mit Ansage“ – machte für viele Verbraucher hierzulande deutlich, dass die Jeans im Handel um die Ecke einen ganz anderen Preis hat als die ausgewiesenen paar Euro hat. „Wir brauchen weltweit menschenwürdige Arbeit, denn weit weg ist sehr nah, nämlich im nächsten Einkaufsmarkt“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vergangene Woche in einer Debatte zu einem Antrag von CDU/CSU (18/2739) und zu einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/2746).

Dissenz Wie so häufig in der Entwicklungspolitik galt auch für diese Debatte: Das Ziel ist klar, die Wege sind umstritten. Beide, Koalition wie Opposition, machen sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesch stark. Doch während CDU/CSU und SPD mit ihrem Antrag vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtungen international agierender Unternehmen setzen, fordern Bündnis 90/Grüne und auch Die Linke Arbeitsstandards für diese Unternehmen verbindlich – und im Zweifel vor deutschen beziehungsweise europäischen Gerichten einklagbar – zu machen. Deutlich wurde aber auch, dass zwischen den Koalitionspartnern Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage bestehen. Während für Waldemar Westermayer (CDU) „Überregulierung freiwillige und positive Entwicklungen blockieren“ könne, hielt Sascha Raabe (SPD) freiwillige Zertifizierungen nur für die zweitbeste Wahl. Es könne nicht dabei bleiben, dass in die EU „Blinker, die die falsche Farbe haben, nicht importiert, aber T-Shirts, Hemden und Jeans, an denen Blut klebt, zollfrei und hürdenlos importiert werden dürfen“.

Minister Müller sprach mit Blick auf die Textilindustrie von „schauderhaften Zuständen“, die an die Situation der Weber im Europa des 19. Jahrhunderts erinnerten. Hungerlöhne ohne sozialen Schutz, sechs Tage Arbeit pro Woche, Kinderarbeit: „So haben wir uns die Globalisierung nicht vorgestellt. Diese Form globaler Arbeitsteilung können wir nicht akzeptieren“. Müller erinnerte daran, dass jeder Verbraucher hierzulande für solche Zustände eine Mitverantwortung trage. „Geiz ist geil ist nicht sexy sondern naiv und ohne Verantwortung.“ Es gehe darum, „faire Rahmenbedingungen“ für den globalen Markt zu schaffen. „Dazu brauchen wir weltweit verbindliche ökologische und soziale Mindeststandards in den Produktionsketten.“ Müller verwies unter anderem auf das von seinem Hause initiierte „Textilbündnis“, in dessen Rahmen es darum gehen werde, gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf faire Löhne hinzuarbeiten.

Niema Movassat (Die Linke) nannte die von den Koalitionsfraktionen im Antrag favorisierten freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft eine „Farce“: Vor die Wahl zwischen Profit und Menschenrechte der Arbeiter gestellt, würde sich ein Unternehmen „in 99 Prozent der Fälle für den Profit entscheiden“ – mit der Folge, dass die Arbeitsbedingungen in einer Reihe von Entwicklungsländern heute immer noch an „Sklaverei“ erinnern. „Wir brauchen handfeste Gesetze“, sagte Movassat. Bis heute gebe es zudem Textilkonzerne, die sich weigerten, in den Entschädigungsfonds für die Opfer des Fabrikeinsturzes in Bangladesch einzuzahlen: „Das ist wirklich erbärmlich“, sagte Movassat. „Wer den Profit einstreicht, muss auch für die Produktionsbedingungen haften.“

Stefan Rebmann (SPD) erinnerte daran, dass es viele deutsche Unternehmen gebe, die ihrer Verantwortung mit Ausbildung vor Ort und mit der Einhaltung von Sozialstandards gerecht würden. „Aber das sind leider Gottes nicht alle.“ Es sei zwar in erster Linie Aufgabe der Regierungen der Entwicklungsländer und der Arbeitgeber vor Ort für Verbesserungen zur sorgen. „Das darf aber nicht dazu führen, dass sich deutsche und europäische Unternehmen aus der Verantwortung stehlen und sagen: Wir machen das alles nur freiwillig.“ Mit dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD mache man „sich auf den Weg“ zu verbindlichen Regelungen.

Genau dies bestritt Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen): Der „windelweiche Antrag“ der Koalition enthalte nicht einmal den Begriff Verbindlichkeit. Menschenrechte seien unteilbar. Wenn sie hier, in Europa, gelten, „dann müssen sie auch dort gelten“ und könnten nicht freiwilligen Selbstverpflichtungen unterworfen werden. „Es gibt viele Hebel und einer ganz wesentlicher Hebel ist die Unternehmensverantwortung“, sagte Kekeritz. Seine Fraktionskollegin Renate Künast nannte den Koalitionsantrag „eine Kiste voller weißer Salbe“. „Wie wäre es mit einer europäischen Transparenzrichtlinie, nach der jedes Unternehmen für die gesamte Kette darstellen muss, wie die sozialen und ökologischen Bedingungen sind?“ Künast sprach sich zudem für klare Regelungen bei der zivilrechtlichen Haftbarkeit aus: „Wir brauchen ein richtiges Klagerecht vor Gerichten in Europa.“

Konditionierung Jürgen Klimke (CDU) unterstrich: „Deutsche Unternehmen dürfen nicht Profiteure eines Manchester-Kapitalismus übelster Sorte sein.“ Um die Verbindlichkeit von Mindeststandards global zu stärken und diese wirksamer zu machen, sehe seine Fraktion auch die Unternehmen selbst in der Pflicht. „Das bedeutet jedoch nicht, dass wir die Regierung vor Ort aus ihrer Verantwortung entlassen dürfen“, sagte Klimke. Der Fabrikeinsturz in Bangladesch etwa sei Folge von „Korruption, laxen Bauvorschriften, Behinderung von Gewerkschaftsbildung“ gewesen. „Das sind klar Fehler staatlichen Handelns.“ Die Konditionierung von deutschen Entwicklungsgeldern sei auch aus diesem Blickwinkel ein wichtiger Hebel, um Veränderungen zu bewirken.