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URBANISIERUNG : Stadtluft macht nicht immer frei

Diskussion über Slums und »informelle Siedlungen« in Entwicklungsländern

17.11.2014
2023-08-30T12:26:23.7200Z
2 Min

Die Hälfte der Menschheit lebt heute in städtischen Siedlungen, im Jahr 2050 dürfte der Anteil auf 70 Prozent steigen. Die Zahlen, die George Deikun von UN-Habitat (Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen) vergangene Woche in einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Thema Urbanisierung vortrug, sind an sich kein Anlass zur Beunruhigung. Vor Herausforderungen stellt die zunehmende Verstädterung aber dort, wo sie in Entwicklungs- und Schwellenländern spontan und ungeregelt in Form von „informellen Siedlungen“ und Slums voranschreitet. Eine Milliarde Menschen bewohnen heute solche Siedlungen mit häufig nur begrenztem Zugang zu Dienstleistungen, Beschäftigung und politischer Teilhabe, sagte Deikun.

Mit einer „New Urban Agenda“ schlage UN-Habitat Instrumente für eine nachhaltige Stadtentwicklung vor – dazu zählten unter anderem die Stärkung der kommunalen Gesetzgebung und Finanzen, die Förderung eines angemessenen Wohnraums für alle Einkommensklassen sowie das Konzept der „durchmischten Stadt“.

Christian Schmidt (Eidgenössische Technischen Hochschule Zürich) warnte davor, mit umfassenden Agenden die konkrete Situation vor Ort zu verfehlen: „Urbanisierung hat viele Gesichter“, sagte Schmidt – dazu zählten die Megacities ebenso wie Konzentrationsprozesse an Stadträndern sowie in kleinen und mittleren Städten. Nachhaltige Stadtentwicklung, die die ärmere und von Verdrängung betroffene Bevölkerung in den Blicke nehme, müsse bei der Stärkung der lokalen Verwaltung ansetzen, dürfe vor allem aber die Selbstorganisationskräfte „informeller Siedlungen“ nicht ignorieren.

Eigentumstitel Der Architekt Albert Friedrich Speer nannte die „New Urban Agenda“ einen „Wunschkatalog“. Stadtentwicklung habe in Entwicklungsländern selten Priorität, die Frage des Bodeneigentums sei oftmals ungeklärt. Es müsse darum gehen, „spezifische Lösungen“ bei jeweils anderen kulturellen, wirtschaftlichen und klimatischen Bedingungen zu finden. Speer machte sich stark für das Modell der „durchmischten Stadt“. Nur diese Siedlungsform ermögliche kurze Wege und damit eine Begrenzung des Verkehrs.

Wie wichtig gerade dieser Vorteil auch unter klimapolitischen Gesichtspunkten ist, machte Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik mit dem Vergleich von Barcelona und Atlanta mit ihrer Einwohnerzahl von rund fünf Millionen deutlich: Während in der ausgedehnten Südstaaten-Metropole CO2-Emmissionen in Höhe von 7,5 Tonnen auf einen Einwohner pro Jahr entfielen, seien es im dichter besiedelten Barcelona nur 0,7 Tonnen.

Kommunen In der häufig fehlenden städtischen Planungs- und Finanzhoheit in Entwicklungsländern sah Einhard Schmidt-Kallert (Universität Dortmund) einen Hemmschuh. Er plädierte dafür, sich von der Fokussierung auf „plan making“ zu lösen, von einer Planung, die allzu häufig auf die Errichtung von Mittelschichtenquartieren hinauslaufe. „Planung müsste viel stärker die Moderatorenrolle übernehmen zwischen formellen und informellen Planungsbeteiligten“. Zudem gelte es, Stadt und Land nicht als Gegensatz, sondern als Kontinuum zu begreifen: Auf dem Land gebe es zunehmend Industrialisierungsprozesse, in den Städten selbst wiederum Landwirtschaft. Der Übergang von städtischen zu ländlichen Regionen sei fließend – und damit seien es auch die jeweiligen Lebensstile.