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URHEBERRECHT : Goldene Nasen

Staatsministerin Grütters will Kreative vor ungebändigtem Internetkapitalismus schützen

23.03.2015
2023-08-30T12:27:59.7200Z
5 Min

Der Job von Jochen Greve ist es, zu unterhalten: Der Münchner ist seit 20 Jahren Drehbuchautor, aus seiner Feder stammen mehrere Skripte für „Tatort“-Folgen. Dass die längst nicht mehr nur ganz klassisch am Sonntagabend im Fernsehen geschaut werden, verfolgt er genau – und besorgt. Zwar sei es schön, dass künstlerische Werke durch die Verlagerung ins Internet ein neues Publikum finden würden, sagt er. „Aber an dieser Entwicklung müssen die Kreativen beteiligt werden.“ Beteiligung, das heißt konkret: Geld.

Seit Jahren müssen Urheber dabei zuschauen, wie andere sich an ihren Filmen, Musikstücken oder Texten bedienen ohne dafür Lizenzen zu haben. Besonders ärgerlich findet Greve, dass sich riesige Unternehmen wie Youtube oder Facebook dabei eine goldene Nase verdienen: „Wenn dort Ausschnitte oder ganze Sendungen eingestellt werden, die von vielen Menschen gesehen werden, ploppt daneben Werbung auf, die sich die Unternehmen gut bezahlen lassen. Dass zwischen diesen Spots etwas Illegales läuft, damit will man nichts zu tun haben; geschweige denn, die Urheber am Gewinn beteiligen.“

Beteiligt werden wollen Kunstschaffende wie Greve auch, wenn Fernsehsender sich mit ihren Angeboten zunehmend ins Internet orientieren. Er schließe Verträge über die Nutzung seines Werkes für eine bestimmte Sendeform ab. „Und wenn es dann auf einmal andere Formen als die herkömmlichen gibt, müssen die auch vergütet werden“, fordert der Drehbuchautor.

Geistiges Eigentum

Darüber, wie die Urheberrechte der Kreativen auch im digitalen Zeitalter gewahrt werden können, tobt seit Jahren eine komplexe und mitunter hitzige Diskussion zwischen Künstlern, Verwertungsgesellschaften und Industrie. In diese Diskussion hat sich nun auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) eingeschaltet. Zehn Forderungen hat sie in ein Positionspapier zum „Urheberrecht im digitalen Umfeld“ gepackt. Weil sich die Zugangs- und Verwertungswege von Kunst und Kultur in den vergangenen Jahren grundlegend verändert hätten und es in der digitalen Welt „kaum mehr nationale Grenzen“ gebe, wachse die Gefahr einer „Entwertung des geistigen Eigentums“, warnt Grütters. Das Urheberrecht müsse deshalb an die Herausforderungen der digitalen Welt angepasst werden: „Ein ungebändigter digitaler Internetkapitalismus“ sei mit „unserer sozialen Marktwirtschaft unvereinbar“. Der Urheber müsse „an der Wertschöpfung aus seinem Werk, aus seiner kreativen Leistung“ beteiligt werden. „Künstler und Kreative müssen von ihrer Arbeit leben – und nicht nur knapp überleben – können“, fordert die Staatsministerin.

Grütters will Diensteanbieter, „deren Geschäftsmodell auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut“, stärker in die Verantwortung nehmen. Sie fordert eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft, auf solchen Plattformen keine Werbung mehr zu schalten, zudem soll die Haftung durch die Betreiber der Plattformen gesetzlich fixiert werden. Um die Urheber zu stärken, will Grütters die Verfahren zur Aufstellung der Tarife der Pauschalabgabe für die Privatkopievergütung beschleunigen. Diese Abgabe müssen die Hersteller von Geräten und Trägermaterialien, durch die Privatkopien erst möglich werden, zahlen – doch die Aushandlung der Tarife verläuft in der Praxis zäh und die Auszahlung der Beträge wird häufig durch jahrelange Gerichtsverfahren verzögert. Nach dem Willen Grütters sollen die Verwertungsgesellschaften, die die Urheberinteressen vertreten, künftig die Tarife nach einem Jahr einseitig aufstellen können, wenn es keinen einvernehmlichen Abschluss gibt. Ein Teil der Vergütung soll dann als Abschlag gezahlt werden, bis es ein Urteil gibt.

Prekäre Verhältnisse

All das hört man bei der Initiative Urheberrecht, der Interessenvertretung von insgesamt 150.0000 Urhebern und Künstlern, gern. Zwar gingen Grütters Vorschläge vielfach nicht weit genug, man sei aber froh, nun endlich wieder konkreter ins Gespräch zu kommen, so der Sprecher der Initiative Gerhard Pfennig. Es sei wichtig, dass der kulturpolitische Aspekt des Urheberrechts hervorgehoben werde. Das sei eben nicht nur Teil des Wirtschaftsrechts, sondern existentiell für die Kulturwirtschaft, die mit rund 140 Milliarden Jahresumsatz in Deutschland nach der Automobilindustrie und dem Maschinenbau der drittgrößte Wirtschaftszweig sei. Und die sich, so Drehbuchautor Greve, durch eine besondere Ungerechtigkeit auszeichne: „Während die Unternehmen unglaublich viel Geld verdienen, lebt ein Großteil der Kreativen mit einem monatlichen Einkommen von unter 1.000 Euro in prekären Verhältnissen.“

Dass sich das ändern muss, darin sind sich Kreative und Politik weitgehend einig. In der Union setzt man zudem auf die Einsicht der Verbraucher. Die Nutzer entfernten sich mehr und mehr von einer „Gratismentalität“, meint der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, und seien zunehmend bereiter, für Webinhalte zu zahlen. Grütters Forderungen seien ein „guter Aufschlag“, um dem Thema Urheberrecht politischen Nachdruck zu verleihen. Der Koalitionspartner dagegen zeigt sich weniger begeistert: „Erstaunlicherweise“ komme die Perspektive der Urheber und Kreativen in ihrem Papier „nicht hinreichend vor“, moniert der Vorsitzende des Kulturausschusses Siegmund Ehrmann (SPD).

Auch die Parlamentarische Geschäftsfühererin der Linksfraktion, Petra Sitte, hält Grütters Vorschläge für nicht geeignet, die Lage der Urheber zu verbessern. Das Urheberrecht leiste schon lange nicht das Nötige für gerechte Vergütungen, sondern schütze vor allem Konzerngewinne. Es sei nötig, Urheber in ihren Verhandlungen mit den Verwertern zu stärken. Das aber gehe Grütters nicht an. Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen, wünscht sich eine ganz grundsätzliche Diskussion: Die entscheidende Frage sei, „wie wir in Zukunft die kulturelle Vielfalt erhalten“. Sie wolle nicht, dass große Unternehmen nur noch in große Blockbuster investierten, weil sich damit Geld verdienen ließe. „Wir brauchen auch die Angebote der Kleinen, denn genau die garantieren uns die Vielfalt.“

Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.

Die Bedeutung des Buches für die Entwicklung der Menschheit wurde immer wieder breit diskutiert. Jetzt hat Michael Hagner einen genialen Zwischenruf zur Sache des Buches im digitalen Zeitalter vorgelegt. Hagner gehört zu den wenigen Intellektuellen, die sich gleichermaßen qualifiziert zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften bewegen. Der promovierte Mediziner und habilitierte Wissenschaftshistoriker lehrt an der ETH Zürich. Für seine Publikationen erhielt er 2008 den renommierten Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

In seinem informativen Buch hinterfragt der Autor die wichtigsten Aspekte rund um das Phänomen „Buch“ und spart kein Modethema aus: Angefangen von der hysterisch anmutenden Furcht vor dem Niedergang der Buchkultur über die vermeintliche E-Book-Revolution bis zum Open Access-Ansatz als Ausdruck einer weit verbreiteten „Alles umsonst“-Mentalität. In seinen gründlich recherchierten Essays analysiert Hagner zudem die bildungspolitische und gesellschaftliche Rolle des gedruckten Buches. Gleichwohl benennt er auch die Vorteile digitaler Lesegeräte, insbesondere ihre Interaktivität und ihre Chancen für die Demokratisierung des Lesens.

Trotz sorgsamen Abwägens zwischen Pro und Contra elektronischer Bücher fällt er ein hartes Urteil: Der prinzipielle Schaden von E-Books und Open-Access-Publikationen bestehe darin, dass sie jederzeit „lokalisierbar, beobachtbar, manipulierbar und tilgbar“ seien. Dagegen hält er das gedruckt Buch für den „maßgeblichen Ausweis einer moralischen Ökonomie der Geisteswissenschaften“, nicht den einzigen, aber denjenigen, „der zu ihrer Geltung am meistens beigetragen hat“. Hagners Fazit stimmt jedoch optimistisch: Der Tod des Buches sei noch nicht eingetreten. Als begeisterter Leser wünscht man sich, dass dies auch so bleibt.