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INTEGRATION : Lob allein genügt nicht

Jugendliche und Familien sind oft schwer erreichbar. Erfolgreichen Projekten aber fehlt die Finanzierung

13.04.2015
True 2023-08-30T12:28:00.7200Z
5 Min

In dem französischen Film „La Haîne“ (dt: Hass, 1995) gibt es eine Szene, die die Hürden der Integration so beschreibt: In den französischen Banlieues (Vororten) brennt es, nachdem bekannt wurde, dass ein Jugendlicher auf der Flucht vor der Polizei starb. Ein Polizist, der selbst aus dem Maghreb kommt, stellt sich die Frage, wie die Arbeit weitergehen soll. „Vor ein paar Jahren war ein Dialog mit den Jugendlichen noch möglich. Aber jetzt? Mich kennen die Jugendlichen noch, aber ein junger Kollege hält das keinen Monat durch“, sagt er. Die Szene des Films hat eine klare Botschaft: Um Jugendliche zu erreichen, genügt es nicht, die gleichen kulturellen Wurzeln zu haben, sondern man muss sie begleiten, sonst „wachse“ man buchstäblich aus der Integration heraus.

Schwer erreichbar  Eine Erfahrung, die gerade auch Menschen machen, die Kontakt zu den Jugendlichen suchen, die den Islam radikal auslegen (siehe Seite 16). Familien und Mitglieder der islamischen Gemeinschaft wissen oft nicht mehr, wie sie diese jungen Menschen erreichen können. Denn wenn Jugendliche das Gefühl haben, weder in der Familie noch in der Moschee über bestimmte Themen adäquat sprechen zu können, holen sie sich ihre Infos eben online – und können sich so selbst radikalisieren. Der Berliner Imam Mohamed Sabri will das ändern und geht einen anderen, modernen Weg, bei dem er auf soziale Medien setzt: „Ich lasse meine Predigten aufzeichnen und stelle sie jetzt auf Facebook“, sagt Sabri. In die Moschee passen am Freitag 2.000 Menschen, auf Facebook erreicht er deutlich mehr Menschen. Er predigt, dass die Menschen sich angesprochen fühlen müssen, wenn die Kanzlerin sagt, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Seine Aufrufe für mehr Integration gefallen nicht allen. Der Berliner Imam wurde mehrfach von Jugendlichen angegriffen, einmal sogar bewusstlos geprügelt: „Für diese Menschen bin ich der Feind“, sagt er. Vor allem deshalb, weil seine Botschaft die der Integration ist. In seinen Predigten nach dem Freitagsgebet verurteilt er Terroristen. Als er vor seiner Moschee die deutsche Fahne hissen wollte, wurde sie heruntergerissen. Es seien zwar nur wenige Leute, sagt Sabri, diese machten aber am „meisten Krach“. Sabri selbst wird in seiner Gemeinde geschätzt, die Menschen suchen seinen Rat, sein Telefon hört nicht auf zu klingeln. Die Frage, wie man Menschen am besten erreichen kann, ist Dreh- und Angelpunkt all jener Projekte, die die Integration nicht nur von Muslimen in Deutschland fördern wollen. Zu einem dieser Vorzeigeprojekte in diesem Bereich gehören die so genannten „Stadtteilmütter“. Die Initiative ist mehrfach ausgezeichnet, vom Bundespräsidenten hoch gelobt worden und mittlerweile im 11. Jahr. Das Projekt soll die Integration von den Familien fördern, die sich aus der Gesellschaft oftmals zurückgezogen haben. Sie werden von „Stadtteilmüttern“ besucht, die alle selbst einen Migrationshintergrund haben. Für ihre Aufgabe werden die zumeist türkischen oder arabischen Frauen von Sozialarbeitern in zwei Phasen ausgebildet und beraten dann Familien über Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsfragen. Das Projekt gibt es mittlerweile in mehreren Städten. Ursprünglich startete es im Berliner Bezirk Neukölln, in dem es viele soziale Brennpunkte und Migranten gibt.

Dort koordiniert Anna Hermanns das Projekt. Sie findet die Stadtteilmütter-Idee auf zwei Arten hilfreich: „Wir erreichen zwei unterschiedliche Zielgruppen: Einmal die Stadtteilmütter selbst, die sich in dieser Zeit stark weiter entwickeln, und zum anderen die Familien, die die Chance erhalten, sich in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt sie. Es sei oft schwer, Zugang zu den Familien zu finden. Man werde mitunter wahrgenommen als Jugendamt, das einem die Kinder wegnehmen wolle, berichtet sie aus eigener Erfahrung: „Wir kommen nur schwer an Familien heran, die zurückgezogen leben“, sagt Hermanns. Frauen aus der Community hätten es dagegen sehr viel einfacher. Durch das Projekt sei es bislang gelungen, knapp 8.250 Familien zu erreichen. Im Wesentlichen werde dabei vor allem eine Frage beantwortet: „Wie läuft das in Deutschland? Von Fragen zum Sexualkunde-Unterricht in Schulen bis hin zur Kita-Anmeldung erhalten Familien hier wichtige Informationen, vor allem auch auf die Frage, an welche Stellen sie sich wenden können. Die Stadtteilmütter sind erkennbar an ihren Schals und Taschen, die sie für alle sichtbar tragen. Über die Jahre seien diese Frauen durch diese Symbole bekannt geworden, sagt Hermans. Das führe dazu, dass die Stadtteilmütter auf offener Straße angesprochen und um Hilfe gebeten werden. Gerade auch von jenen Familien, die sie zu erreichen versuchen.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam die Forscherin Liv-Berit Koch bereits 2009, als sie das Projekt der Stadtteilmütter einer wissenschaftlichen Bewertung unterzog. Koch fasste darin zusammen: „Die Arbeit mit Multiplikatorinnen, die selbst aus dem soziokulturellen Umfeld der Zielgruppe kommen, die gleiche Muttersprache sprechen und die Schwierigkeiten der Integration selbst kennen gelernt haben, hat sich als besonders niedrigschwellig und darum wirkungsvoll erwiesen“, schreibt sie darin.

Das Beispiel zeigt, dass der beste Weg zur Integration durch Menschen realisiert werden kann, die die Probleme der Betroffenen selbst kennen und sie über eine längere Zeit begleiten – oftmals mit großem Erfolg. Die Politik spart nicht mit Lob: „Die Stadtteilmütter sind nahe bei den Menschen vor Ort, kennen und setzen an, an deren Bedürfnissen und Potentialen. So konnte und kann Integrationsarbeit zum Erfolg werden und gelingen“, sagte der damalige Senator für Stadtentwicklung und heutige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) beim zehnjährigen Jubiläum der Stadtteilmütter im September 2014. Doch nur sechs Wochen später mussten die Hochgelobten auf die Straße gehen, um gegen den Wegfall von 56 Stellen zu protestieren. Durch das Auslaufen von Förderprogrammen konnten von einst 110 Frauen nur noch rund 40 Stadtteilmütter bezahlt werden. Wie viele andere Projekte, sind auch die Stadtteilmütter chronisch unterfinanziert. Bezirk, Senatsverwaltung und das Job-Center finanzieren das Programm. Sobald eine dieser Quellen aber ausfällt, fehlt das Geld. Seit Monaten arbeitet das Projekt daher faktisch mit zu wenigen Mitarbeitern. Der Bund hat im Jahr 2013 in Zusammenarbeit mit zahlreichen Verbänden, Stiftungen und Initiativen rund

330 Integrationsprojekte gefördert. Dafür stellte das Bundesinnenministerium fast

13 Millionen Euro und das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend Mittel in Höhe von rund sechs Millionen Euro zur Verfügung.

Unsichere Finanzierung  Problematisch ist dabei allerdings, dass der Bund in der Regel keine Strukturfinanzierung vornehmen darf und die Projekte jeweils nur für eine begrenzte Zeit finanziert werden können, wodurch ihnen die Planungssicherheit und damit die Kontinuität fehlt, die für den Erfolg dieser Projekte so wichtig sind. Anna Hermanns, die Koordinatorin der Stadtteilmütter in Neukölln, kann nicht verstehen, warum es zu diesen Engpässen kommen muss. „Für so ein erfolgreiches Projekt besteht ein dringender Regelfinanzierungsbedarf“, sagt sie. Lob für ihre Arbeit sei schön, aber damit alleine erreiche man eben keine Menschen.

Der Autor ist freier Journalist in München und arbeitet unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“.