NSA-Affäre : Landesverrat?
Der BND steht im Verdacht, den USA beim Ausspähen von Rüstungsfirmen geholfen zu haben
Landesverräter im Bundesnachrichtendienst? Soll der Generalbundesanwalt doch mal ermitteln, ob da etwas dran ist. Mit dieser Forderung warf Martina Renner (Die Linke) BND und Landesverrat in einen Topf – und beschrieb damit die denkbar wuchtigste Dimension, zu der sich die jüngste Affäre des Auslandgeheimdienstes noch auswachsen könnte. Klar ist: Der BND hat der NSA und womöglich anderen Geheimdiensten geholfen, bei der Überwachung der Datenströme deutsche und andere westeuropäische Ziele auszuforschen. Um Terrorabwehr allein kann es dabei nicht gegangen sein, wie schnell klar wurde. Wenn nicht gar Landesverrat im Spiel ist, weil Deutschlands Sicherheit gefährdet wurde, dann deute zumindest alles hin auf einen „Spionageskandal, der seinesgleichen sucht“, sagte Renner. Ähnlich, aber etwas zurückhaltender, bewerteten es auch ihre Obleute-Kollegen im NSA-Untersuchungsausschuss am Donnerstag.
Der hat mit dem Selektoren-Skandal nun ein neues brisantes Arbeitsfeld, seit in der letzten Sitzung die Bombe hochging, deren Lunte der Ausschuss im Februar selbst entzündet hatte – mit dem Beweisbeschluss, der BND solle ausführlich zur Zusammenarbeit mit der NSA bei der Datenüberwachung Stellung nehmen. Von einem „Verdacht, den wir von Anfang an hatten“, sprach Konstantin von Notz (Grüne). Aus dem dann ein „hochsensibler Vorgang“ wurde, wie es der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU)formulierte.
Unter Selektoren sind Schlagwörter,
IP-Adressen oder Handy-Nummern zu verstehen, die der US-Geheimdienst den deutschen Kollegen lieferte und die vom BND in seine weltweite Überwachungsmaschinerie eingespeist wurden. Spätestens 2005, so heißt es jetzt, sei dem BND aufgefallen, dass die NSA auch die Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter in das Selektorenbündel gepackt hatte. Französische Einrichtungen, Politikernamen sollen dabei gewesen sein. Doch der BND reagierte nicht. Erst im Gefolge der Snowden-Enthüllungen wurde die NSA-Liste im BND genauer überprüft. Im Oktober 2013 seien 2.000 Suchvorgaben ausgemacht worden, die deutschen und westeuropäischen Interessen zuwiderlaufen, heißt es. Doch das Bundeskanzleramt wurde zunächst nicht informiert. Auch die BND-Leute, die als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss befragt wurden, schwiegen dazu. Die schließlich geforderte erneute Überprüfung habe jetzt 20.000 solcher Ziele ermittelt.
Doch warum ignorierte der BND die krummen Touren der NSA? Aus Resignation, weil die Amerikaner ja doch machen, was sie wollen? Oder gar Überlistung? So ließ es von Notz in einem Vergleich anklingen. Das Projekt der Zusammenarbeit zwischen BND und ausländischen Diensten erweise sich als „trojanisches Pferd“. Notz machte beim Bundeskanzleramt „ein ganz klares Problem bei der Fachaufsicht über den BND“ aus. Der Untersuchungsausschuss müsse jetzt die Listen mit den Selektoren bekommen, „um zu verstehen, welche Daten abgeflossen sind“. Auf personelle Konsequenzen dränge er nicht, denn dann ließen sich die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar feststellen. Renner jedoch forderte den Rücktritt von BND-Präsident Gerhard Schindler. Dass er die Vorgänge verschwiegen habe, müsse Konsequenzen haben.
SPD-Obmann Christian Flisek stufte das Geschehen als „sehr gravierenden Vorgang“ ein. Aufzuklären sei, welches Verschulden den BND treffe und inwieweit die Rechts- und Fachaufsicht des Kanzleramtes berührt sei. Die USA hätten stets verneint, dass sie in Deutschland Wirtschaftsspionage betrieben. Das sei nun womöglich „in einem ganz neuen Licht“ zu sehen. Dafür gebe es auf jeden Fall „starke Indizien“. Die Unions-Fraktion nehme „die Vorwürfe sehr ernst“, sagt deren Obfrau Nina Warken (CDU). Ihnen nun nachzugehen gehöre zum „Kernbereich“ des Untersuchungsauftrags des Ausschusses. Die Arbeit werde jetzt neu geplant, um „ganz zeitnah“ zu einem Ergebnis zu kommen.
Das Zusammenspiel von BND und Kanzleramt sollte ohnehin das neue Kapitel sein, das der Untersuchungsausschuss jetzt aufschlagen will. Zum Beispiel bei „Eikonal“, eine zwischen 2004 und 2008 laufende Operation, bei der die Telekom Hilfestellung leistete. Das Unternehmen hatte offenbar zunächst rechtliche Bedenken. Doch das Kanzleramt soll mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung beschwichtigt haben. Viele Fragen kreisen überdies noch um die Rolle der Bundesregierung bei zwei weiteren gemeinsamen Projekten von BND und NSA. In Bad Aibling waren die US-Geheimdienstler zeitweise mit im Boot bei der Überwachung der internationalen Satellitenkommunikation. Und unter der Bezeichnung „Glotaic“ machten BND und CIA gemeinsame Sache, als sie Telefon- und Faxdaten in Leitungen einer deutschen Tochter des US-Providers MCI unter die Lupe nahmen.
Was der BND über Deutsche bei seiner Auslandsspionage erfährt, muss er aussortieren. Deutsche gelten nach Artikel 10 der Verfassung als „Grundrechtsträger“. Eingriffe in dieses Grundrecht muss die G-10-Kommission des Bundestags genehmigen. Indes gibt es keine Einschränkung für das Ausforschen ausländischer Kommunikation, die in riesigen Datenmengen durch den Knotenpunkt Frankfurt läuft.
Flisek begrüßte, dass die Bundesregierung nun ein Gesetz vorlegen will, mit dem auch für die Überwachung des Transitdatenverkehrs Standards gesetzt werden sollen. Er will das als „Vorleistung“ verstanden wissen: Andere Staaten sollten dann bei ihren Aktivitäten „auch deutsche Rechte schützen“. „Ich bin skeptisch, ob das ein guter Schritt ist“, meinte von Notz. „Jetzt huscht man noch schnell vor der Sommerpause um die Ecke“, obwohl doch der NSA-Untersuchungsausschuss nicht einmal einen Zwischenbericht vorgelegt habe. In jedem Fall müsse es zu weniger Überwachung kommen. Und auch bei den ausländischen Daten dürfe es nicht bei der „Anlasslosigkeit der Überwachung“ bleiben. Warken erklärte, einer „rechtlichen Klarstellung“ wolle sich die Union nicht verschließen. Die „Diskussion“ darüber sei sinnvoll. Sie beschied: Es dürfe „nicht zu einer Amputation der Rechte des BND“ kommen.