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ARBEIT : Streikrecht in Gefahr?

Sachverständige fordern Nachbesserungen am Gesetz zur Tarifeinheit

11.05.2015
2023-08-30T12:28:02.7200Z
3 Min

Das letzte Wort über die künftige Rolle von Spartengewerkschaften ist noch nicht gesprochen. Aber die Zeit drängt. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause will die Bundesregierung ihr Gesetz zur Tarifeinheit (18/4062) durch den Bundestag verabschieden lassen. Kein Wunder also, dass sich die Gewerkschaft der Lokführer in der vergangenen Woche gewohnt kämpferisch gab und den Bahnverkehr erneut durch einen Streik lahmlegte, sieht sie durch das Gesetzesprojekt doch direkt ihre Existenz bedroht.

Und nicht nur sie: Zwei Juristen, drei Meinungen, diese Redewendung findet momentan in kaum einem Bereich eine so praktische Entsprechung wie im Streit um die Tarifeinheit. Das wurde auch in der Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales in der vergangenen Woche deutlich, als sich zahlreiche renommierte Experten zu der geplanten gesetzlichen Tarifeinheit äußerten. Mit dem Gesetz will die Regierung erreichen, dass nur die mitgliederstärkste Gewerkschaft eines Betriebes Tarifabschlüsse durchsetzen kann.

Klar für das Gesetz sprachen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aus. DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte, ohne eine gesetzliche Tarifeinheit werde sich die Tariflandschaft weiter zersplittern. Reinhard Göhner von der BDA betonte: Das Gesetz sei notwendig, denn Tarifkollisionen stellten viele Betriebe vor große Probleme. Er erwarte, dass ein solches Gesetz "Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen" haben und eine "vorbeugende Wirkung" entfalten werde, so Göhner. Für den Entwurf sprach sich auch Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, aus: Er sei kein Eingriff in die Koalitionsfreiheit, sondern eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems, zu dem der Gesetzgeber auch verpflichtet sei.

Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht der Universität Bonn, bezeichnete einige "Sicherungsmittel", die die Verfassungskonformität des Entwurfs gewährleisten sollen, als "absurd". Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen, sei genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft nachzuzeichnen. Auch glaube er nicht, dass das Gesetz Streiks verhindern werde, sagte Thüsing.

Am deutlichsten äußerten der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, ihre Kritik. Unter anderem sei fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft in der Mehrheit sei, sagte Däubler. Unklar sei auch, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden oder was mit jenen geschehe, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen. "Wir brauchen den Gesetzentwurf überhaupt nicht", sagte Däubler. Zur Seite sprang ihm Gerhart Baum, der den Entwurf als weitgehenden Eingriff in das Streikrecht und damit als grundgesetzwidrig bezeichnete. Er kritisierte, dass das mehrheitlich bestehende gute Kooperationsklima zwischen den Tarifpartnern durch das Gesetz gestört werde und die Öffentlichkeit allgemein gegen das Streikrecht mobilisiert werden solle.

Kritisch zu einzelnen Verfahrensregeln äußerte sich auch Joachim Vetter vom Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit. So sei der Entwurf unter anderem deshalb enttäuschend, weil er keine Regelungen zum Arbeitskampfrecht enthalte. Klarstellungen seien hier dringend nötig, so Vetter.

Die Idee, das Streikrecht im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge separat neu zu regeln, lehnte die Mehrheit der Sachverständigen klar ab.