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ENDLAGER-KOMMISSION : Experiment ohne Vorbild

Vorsitzende ziehen »positive Halbzeitbilanz«. Bericht soll 2016 vorliegen

11.05.2015
2023-08-30T12:28:02.7200Z
3 Min

Worüber redet die Endlager-Kommission eigentlich? Das wollte die Abgeordnete Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) von den beiden Vorsitzenden, Ursula Heinen-Esser und Michael Müller, wissen. Antworten sollte sie in einer öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss in der vergangenen Woche bekommen, in der die beiden nach einem Jahr eine erste Zwischenbilanz ihrer Arbeit zogen.

Nachdem es am Anfang "etwas zäh" gewesen sei, wie die ehemalige Umweltstaatssekretärin Heinen-Esser einräumte, sei inzwischen eine "vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre" entstanden, wie Müller ergänzte. Dass diese ständig in Gefahr ist und noch viele Probleme ungelöst sind, zeigten die Redebeiträge der Abgeordneten und der beiden Vorsitzenden gleich mehrfach. Zu den ungeklärten Fragen zählen etwa die Klagen der Atomindustrie gegen das Standortauswahlgesetz und die Verlängerung der Veränderungssperre in Gorleben, außerdem die Tatsache, dass es noch immer keine Zwischenlager für aus den Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield zurückkehrende Castoren gibt. Diskutiert wurde in der Sitzung aber auch über den "kategorischen Imperativ", die Endlagerfrage in dieser Generation zu lösen (Michael Müller) und die "weiße Landkarte, die keine ist", wie Hubertus Zdebel (Die Linke) beklagte, weil Gorleben als potenzieller Standort nicht ausgeschlossen wurde. Ein weiteres Thema waren Ausgleichszahlungen für mögliche Standorte, die Zdebels Kollege Ralph Lenkert (Linke) ins Gespräch brachte.

Die Endlager-Kommission sei "ein lernender Prozess", urteilte nach eineinhalbstündiger Diskussion die Parlamentarischen Staatssekretärin im Umweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD). Aufgabe sei, "für die nächsten Generationen Verantwortung zu übernehmen".

Die Endlager-Kommission ist ein Experiment ohne Vorbild. Bundestag und Bundesrat haben sie eingesetzt, damit sie Kriterien für das Auswahlverfahren eines zu findenden Atomendlagers erarbeitet. In Sachen Veränderungssperre hat sie erstmals vernehmbar politisch eingegriffen. In einem Beschluss stellte sie am 20. April 2015 fest: "Für das Gelingen des Standortauswahlverfahrens ist entscheidend, dass zum Zeitpunkt der Auswahl potenziell geeignete Standorte auch real zur Verfügung stehen und nicht durch konkurrierende Nutzungen unbrauchbar gemacht werden." Bisher gebe es aber "kein Instrument, das diese Sicherung umsetzt". Dieses müsse aber gefunden werden, um "den Standort Gorleben mit anderen potenziellen Standorten" gleichzustellen.

Das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium sehen ebenfalls Handlungsbedarf. Die Ministerien brachten eine "neue gesetzliche Regelung zu einer zeitweisen Zurückstellung von Anträgen auf bergbauliche Vorhaben" in möglichen Standortregionen ins Spiel. Schwarzelühr-Sutter bekräftigte in der Anhörung die Gesprächsbereitschaft ihres Hauses, bat aber um mehr Zeit.

Fehlende Betroffenheit  Das Zeitproblem kennen auch die fünf Arbeitsgruppen der Kommission, über deren Aufträge Heinen-Esser informierte. Den schwierigsten Job hat nach ihrer Einschätzung die AG Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Erfahrung zeige, dass Bürger erst dann aufmerksam werden, "wenn es eine konkrete Betroffenheit gibt", sagte der Kölner Abgeordnete Karsten Möring (CDU). Die aus Brandenburg stammenden Annalena Baerbock erklärte: "Die Brandenburger wollen wissen: Wird das ein Endlagerstandort oder nicht?"

Mit dieser Ungeduld sind Abgeordnete und Bürger in möglichen Standortregionen nicht allein. Auch der Industrie geht es nicht schnell genug. Bei der Jahrestagung Kerntechnik sagte vor kurzem der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner: "Eines der wichtigsten Ziele bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle ist es, nachfolgenden Generationen keine ungebührlichen Belastungen aufzuerlegen. Dieses Ziel ist mit einem Prozess, der womöglich 150 Jahre dauert, nicht zu vereinbaren." Er forderte von der Kommission eine Beschleunigung ihrer Arbeit. Dagegen betonte Michael Miersch (SPD), dass angesichts der Aufgabe etwas Demut angebracht sei. Er sprach sich für Entscheidungen aus, die Korrekturmöglichkeiten lassen - auch für nachfolgende Generationen. Das Endlagerthema ist nach Einschätzung der Wissenschaftler in der Kommission frühestens 2085 und womöglich nicht vor 2170 tatsächlich erledigt. Miersch mutmaßte zudem, die Kommission werde womöglich mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten könne. Heinen-Esser zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass die Kommission ihren Bericht wie geplant im Sommer 2016 vorlegen kann .

Die Autorin ist Redakteurin beim Tagesspiegel in Berlin.