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ISRAEL : Unter Freunden

In seiner Rede vor der Knesset spricht sich Bundestagspräsident Norbert Lammert für einen Palästinenserstaat aus

06.07.2015
2023-08-30T12:28:05.7200Z
8 Min

Es ist ohne Zweifel ein feierlicher Moment: Mit militärischen Ehren hat man die Gäste aus Berlin Ende Juni vor der Jerusalemer Knesset begrüßt. Als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dann vor den Abgeordneten in einer Sondersitzung des israelischen Parlaments spricht, sitzen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Reuven Rivlin im Plenum. Lammert dankt den Abgeordneten zu Beginn seiner Rede auf Hebräisch "für die große Ehre, hier in meiner Muttersprache zu Ihnen zu sprechen". Er ist nicht der erste deutsche Gast, der vor dem israelischen Parlament auf Deutsch spricht: Vor ihm taten das bereits die damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau und Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und zuletzt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Der Besuch des Bundestagspräsidiums fügt sich in die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, das nun auch auf dieser Ebene, der parlamentarischen, gewürdigt wurde.

Schlagzeilen Aus den kurzlebigen israelischen Schlagzeilen waren die Worte Lammerts schnell wieder verdrängt: Neben dem Drama in Griechenland, das auch in Israel genau verfolgt wird, beherrschten brutale Terror-Anschlägen auf Touristen in Tunesien, auf Betende in Kuwait, auf ägyptische Soldaten im Sinai die Schlagzeilen. So verwundert es auch nicht, dass Lammert in den israelischen Medien mit jenen Inhalten zitiert wurde, die sich auf die schwierige Realität in der Region beziehen. Der Bundestagspräsident erinnerte in seiner Rede daran, dass "ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs", die Grenzen in Europa weitgehend ihre Bedeutung verloren hätten. "Das ist nicht überall so. Und deshalb verstehen wir die Sorgen Israels, das noch immer keine gesicherten Grenzen hat. Wir sind überzeugt: Israel muss mit demselben Recht wie seine Nachbarn in international anerkannten Grenzen leben können, frei von Angst, Terror und Gewalt."

Zwei Staaten Lammert sprach auch von einer "israelischen Mitverantwortung für die Verhältnisse in der Region, für die Verhältnisse in den palästinensischen Gebieten" und von der Notwendigkeit, durch Verhandlungen zu einer Zwei-Staatenlösung zu finden. Dass "ein stabiler, friedlicher, demokratisch organisierter palästinensischer Staat" den langfristigen Sicherheitsinteressen Israels entspreche, sei die Position der Bundesregierung, die auch von einer breiten Mehrheit der im Bundestag vertretenen Fraktionen getragen werde. Doch betonte Lammert auch: "Vieles ist verhandelbar. Das Existenzrecht Israels ist es nicht." Das intensive freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten bezeichnete Lammert als ein "Wunder der Geschichte", das über den Abgrund des Holocaust hinweg möglich geworden ist. Diese Kontakte sollen nun weiter vertieft werden. Gemeinsam mit dem israelischen Parlamentspräsidenten Juli-Joel Edelstein unterschrieb Lammert eine Vereinbarung über ein parlamentarisches Forum, bei dem sich die Abgeordneten beider Länder jedes Jahr über aktuelle Themen austauschen werden.

Lammert wertete die Tatsache, dass nach den traumatischen Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur und des Holocausts wieder jüdisches Leben in Deutschland habe entstehen können, als "schönste Vertrauenserklärung, die es für die zweite deutsche Demokratie gibt". Für das kommende Jahr kündigte Lammert eine Konferenz der Interparlamentarischen Koalition zur Bekämpfung des Antisemitismus (ICCA) in Berlin an und betonte: "Antisemitismus, wo immer er auftritt, ist nicht akzeptabel; in Deutschland ist er unerträglich."

Dass es unterschiedliche Auffassungen geben kann in der Frage, wie sich Antisemitismus heute zeigt, dafür steht aus israelischer Sicht zum Beispiel ein deutsches Gerichtsurteil vom Februar dieses Jahres, an das jetzt auch eine israelische Kommentatorin erinnerte. Drei Palästinenser hatten Brandsätze auf eine Wuppertaler Synagoge geworfen; sie wurden zwar verurteilt, aber vom Gericht vom Antisemitismus-Vorwurf freigesprochen, weil sie lediglich "auf den Gaza-Konflikt" hätten aufmerksam machen wollen. Entsetzt über diese "Ignoranz der Justiz" gegenüber Antisemitismus in Deutschland, aus welcher Quelle auch immer, hatte sich der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, damals bei der Staatsanwaltschaft beschwert. Als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe war Beck nun auch Teil der Delegation des Bundestagspräsidiums (neben Lammert vertreten durch Ulla Schmidt, SPD, Petra Pau, Die Linke, Claudia Roth, Grüne, und Johannes Singhammer, CSU).

Israels Parlamentspräsident Edelstein bezeichnete die Beziehungen seines Landes zu Deutschland als "einzigartig". Deutschland sei ein "wahrer Freund", sagte er und lobte die Bundesrepublik dafür, dass sie "gerade jetzt - in einer Zeit des schwierigen globalen Kampfes gegen Antisemitismus in seiner neuen Form: Anti-Israelismus" an Jerusalems Seite stehe. Edelstein brachte aber auch seine Sorge zum Ausdruck, dass es gerade bei jungen Deutschen Stimmen gebe, für die Deutschlands Bemühen um die Erinnerung an den Holocaust keine Verpflichtung darstelle, Israel, den Nationalstaat des jüdischen Volkes, zu unterstützen. Was zudem jene Menschen anginge, die Israel boykottierten, so seien diese "blind im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich schon lange nicht mehr um einen lokalen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern" handle. "Der wahre Kampf ist viel größer; es handelte sich um einen Zusammenprall der Zivilisationen entlang religiöser und kultureller Linien, zwischen dem radikalen Islam und einer freien, toleranten Welt."

Gemeinsames Von den Gemeinsamkeiten, die beide Länder trotz aller Unterschiede einen, sprach Lammert am Ende seiner Rede. Beiden, Deutschen wie Israelis, komme eine besondere Verantwortung in den Regionen zu, in denen sie leben, wenn auch mit ganz anders gearteten Herausforderungen: Deutschland in Europa, Israel im Nahen Osten. Sein Land sei dabei in einer gleich doppelt privilegierten Lage: "Es ist ausnahmslos von Freunden und von demokratisch geführten Staaten umgeben." Beides treffe für Israel bis heute nicht zu.

Die Autorin berichtet für die Wochenzeitung "Die Zeit" aus Israel.

Die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert ist in der beiliegenden Debattendokumentation im Wortlaut abgedruckt.

Es ist ohne Zweifel ein feierlicher Moment: Mit militärischen Ehren hat man die Gäste aus Berlin Ende Juni vor der Jerusalemer Knesset begrüßt. Als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dann vor den Abgeordneten in einer Sondersitzung des israelischen Parlaments spricht, sitzen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Reuven Rivlin im Plenum. Lammert dankt den Abgeordneten zu Beginn seiner Rede auf Hebräisch "für die große Ehre, hier in meiner Muttersprache zu Ihnen zu sprechen". Er ist nicht der erste deutsche Gast, der vor dem israelischen Parlament auf Deutsch spricht: Vor ihm taten das bereits die damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau und Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und zuletzt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Der Besuch des Bundestagspräsidiums fügt sich in die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, das nun auch auf dieser Ebene, der parlamentarischen, gewürdigt wurde.

Schlagzeilen Aus den kurzlebigen israelischen Schlagzeilen waren die Worte Lammerts schnell wieder verdrängt: Neben dem Drama in Griechenland, das auch in Israel genau verfolgt wird, beherrschten brutale Terror-Anschlägen auf Touristen in Tunesien, auf Betende in Kuwait, auf ägyptische Soldaten im Sinai die Schlagzeilen. So verwundert es auch nicht, dass Lammert in den israelischen Medien mit jenen Inhalten zitiert wurde, die sich auf die schwierige Realität in der Region beziehen. Der Bundestagspräsident erinnerte in seiner Rede daran, dass "ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs", die Grenzen in Europa weitgehend ihre Bedeutung verloren hätten. "Das ist nicht überall so. Und deshalb verstehen wir die Sorgen Israels, das noch immer keine gesicherten Grenzen hat. Wir sind überzeugt: Israel muss mit demselben Recht wie seine Nachbarn in international anerkannten Grenzen leben können, frei von Angst, Terror und Gewalt."

Zwei Staaten Lammert sprach auch von einer "israelischen Mitverantwortung für die Verhältnisse in der Region, für die Verhältnisse in den palästinensischen Gebieten" und von der Notwendigkeit, durch Verhandlungen zu einer Zwei-Staatenlösung zu finden. Dass "ein stabiler, friedlicher, demokratisch organisierter palästinensischer Staat" den langfristigen Sicherheitsinteressen Israels entspreche, sei die Position der Bundesregierung, die auch von einer breiten Mehrheit der im Bundestag vertretenen Fraktionen getragen werde. Doch betonte Lammert auch: "Vieles ist verhandelbar. Das Existenzrecht Israels ist es nicht." Das intensive freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten bezeichnete Lammert als ein "Wunder der Geschichte", das über den Abgrund des Holocaust hinweg möglich geworden ist. Diese Kontakte sollen nun weiter vertieft werden. Gemeinsam mit dem israelischen Parlamentspräsidenten Juli-Joel Edelstein unterschrieb Lammert eine Vereinbarung über ein parlamentarisches Forum, bei dem sich die Abgeordneten beider Länder jedes Jahr über aktuelle Themen austauschen werden.

Lammert wertete die Tatsache, dass nach den traumatischen Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur und des Holocausts wieder jüdisches Leben in Deutschland habe entstehen können, als "schönste Vertrauenserklärung, die es für die zweite deutsche Demokratie gibt". Für das kommende Jahr kündigte Lammert eine Konferenz der Interparlamentarischen Koalition zur Bekämpfung des Antisemitismus (ICCA) in Berlin an und betonte: "Antisemitismus, wo immer er auftritt, ist nicht akzeptabel; in Deutschland ist er unerträglich."

Dass es unterschiedliche Auffassungen geben kann in der Frage, wie sich Antisemitismus heute zeigt, dafür steht aus israelischer Sicht zum Beispiel ein deutsches Gerichtsurteil vom Februar dieses Jahres, an das jetzt auch eine israelische Kommentatorin erinnerte. Drei Palästinenser hatten Brandsätze auf eine Wuppertaler Synagoge geworfen; sie wurden zwar verurteilt, aber vom Gericht vom Antisemitismus-Vorwurf freigesprochen, weil sie lediglich "auf den Gaza-Konflikt" hätten aufmerksam machen wollen. Entsetzt über diese "Ignoranz der Justiz" gegenüber Antisemitismus in Deutschland, aus welcher Quelle auch immer, hatte sich der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, damals bei der Staatsanwaltschaft beschwert. Als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe war Beck nun auch Teil der Delegation des Bundestagspräsidiums (neben Lammert vertreten durch Ulla Schmidt, SPD, Petra Pau, Die Linke, Claudia Roth, Grüne, und Johannes Singhammer, CSU).

Israels Parlamentspräsident Edelstein bezeichnete die Beziehungen seines Landes zu Deutschland als "einzigartig". Deutschland sei ein "wahrer Freund", sagte er und lobte die Bundesrepublik dafür, dass sie "gerade jetzt - in einer Zeit des schwierigen globalen Kampfes gegen Antisemitismus in seiner neuen Form: Anti-Israelismus" an Jerusalems Seite stehe. Edelstein brachte aber auch seine Sorge zum Ausdruck, dass es gerade bei jungen Deutschen Stimmen gebe, für die Deutschlands Bemühen um die Erinnerung an den Holocaust keine Verpflichtung darstelle, Israel, den Nationalstaat des jüdischen Volkes, zu unterstützen. Was zudem jene Menschen anginge, die Israel boykottierten, so seien diese "blind im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich schon lange nicht mehr um einen lokalen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern" handle. "Der wahre Kampf ist viel größer; es handelte sich um einen Zusammenprall der Zivilisationen entlang religiöser und kultureller Linien, zwischen dem radikalen Islam und einer freien, toleranten Welt."

Gemeinsames Von den Gemeinsamkeiten, die beide Länder trotz aller Unterschiede einen, sprach Lammert am Ende seiner Rede. Beiden, Deutschen wie Israelis, komme eine besondere Verantwortung in den Regionen zu, in denen sie leben, wenn auch mit ganz anders gearteten Herausforderungen: Deutschland in Europa, Israel im Nahen Osten. Sein Land sei dabei in einer gleich doppelt privilegierten Lage: "Es ist ausnahmslos von Freunden und von demokratisch geführten Staaten umgeben." Beides treffe für Israel bis heute nicht zu.

Die Autorin berichtet für die Wochenzeitung "Die Zeit" aus Israel.

Die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert ist in der beiliegenden Debattendokumentation im Wortlaut abgedruckt.