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Ortstermin: Im Parlamentsarchiv des Deutschen… : »Wir müssen immer wieder umkopieren«

05.01.2015
2023-11-08T12:32:56.3600Z
3 Min

Wir müssen uns den Archivar – frei nach Albert Camus – als einen glücklichen Menschen vorstellen. Dem französischen Schriftsteller wird zugeschrieben, den Mythos des Sisyphos radikal neuinterpretiert zu haben. Galt einst das sich stets wiederholende, niemals abgeschlossene Heraufrollen eines Felsbrockens als Marter, sah Camus das ganz anders: „Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“

Im Parlamentsarchiv gibt es vergleichsweise wenig Felsbrocken und auch erklimmbare Gipfel sind in Berlins Mitte eher unbekannt. Doch das Archivieren ist in gewisser Weise eine Sisyphosarbeit. Niemals wirklich vollendet, immer wieder auf Anfang. „Wir verfolgen das Prinzip der endlosen Migration“, sagt Florian Bless, Mitarbeiter im Archiv des Deutschen Bundestages. Konkret heißt das: „Wir müssen immer wieder umkopieren.“ Das gilt insbesondere für den Bereich der Ton- und Videoaufzeichnungen, für den Bless zuständig ist. So findet sich zum Beispiel jede Rede, die im Bundestag seit 1949 gehalten wurde, in den Beständen. Dabei handelt es sich überwiegend um Tonaufnahmen. Erst ab 1987 wurden vereinzelt Videoaufnahmen gefertigt, seit Ende 1994 sind alle Plenardebatten in Ton und Bild verfügbar. Gespeichert wurde dabei analog auf Ton- beziehungsweise Videobändern, seit kurzem digital auf sogenannten „Professional Discs“. Allesamt Datenträger, die trotz idealer Lagerbedingungen regelmäßig erneuert werden müssen. „Das ist teuer und arbeitsintensiv“, so Bless.

Schon seit längerem digitalisiert das Parlamentsarchiv daher seine Bestände. Ein großer Schritt dahin wurde schon gegangen. „Alle analogen Tonaufzeichnungen der 1. bis zur 12. Wahlperiode sind bereits digitalisiert“, berichtet Bless. Das sind 2.522 Sitzungen von rund 13.502 Stunden Dauer, rund 563 Tage. Nun geht es an die jüngeren Bestände: Die Tonaufzeichnungen auf DAT und die Videoaufzeichnungen auf VHS und Betacam, allein davon gibt es mehr als 6.000 Kassetten, sollen in den kommenden Jahren digitalisiert werden.

Die Dateien werden auf sogenannten LTO-Tapes gespeichert. Der Unterschied ist gewaltig: Auf einem LTO-Tape der 5. Generation – es fasst 1,5 Terabyte Daten – passen zum Beispiel 113 Sitzungen der 7. Wahlperiode. Was nun auf einem Datenträger von der Größe eines Taschenbuchs gespeichert ist, war vorher auf 118 analogen Tonbändern aufgezeichnet. Das hat auch für die Nutzer des Archivs große Vorteile: „Das Zugriff geht schneller“, so Bless. Während die Bereitstellung analog vorliegender Inhalte nur durch eine 1:1 Kopie möglich war, können digital vorliegende Inhalte wesentlich schneller kopiert und auch auf digitalem Weg bereitgestellt werden.

Die Digitalisierung bedeutet auch für die Spezialisten eine Umstellung. Der Archivar sei es gewohnt, sozusagen den Schlüssel zu den Beständen zu haben, so Bless. Mit dem „Paradigmenwechsel“ Digitalisierung spielen zukünftig auch Systemadministratoren und andere ITler eine wichtige Rolle. Was lange physisch in tatsächlich zugänglichen Magazinen lagerte, wird zukünftig als Dateien auf digitalen Speichersystemen archiviert werden. Für Bless ist das keine negative Entwicklung: „Darauf muss man sich einlassen. Wir müssen neue Wege gehen.“ Und auch wenn die Digitalisierung der Bestände in einigen Jahren abgeschlossen sein wird, die Arbeit wird nicht ruhen. Datenträger zerfallen, Dateiformate fallen aus der Mode. Sisyphos lässt grüßen.

Das Parlamentsarchiv des Bundestags ist im Internet unter www.bundestag.de/dokumente/parlamentsarchiv zu finden.