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INTERVIEW : »Hilfe jenseits der Region«

UNHCR will mehr Engagement für Syrien

05.01.2015
2023-11-08T12:32:56.3600Z
4 Min

Frau Fleming, die Syrien-Krise geht demnächst in das fünfte Jahr, ein Ende ist nicht abzusehen. Was sind die Prioritäten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) heute?

Unsere oberste Priorität ist der Zugang der syrischen Flüchtlinge zum Asyl in den Nachbarstaaten. Es ist uns sehr wichtig, dass die Fliehenden sich in Sicherheit bringen können. Nicht nur in den Nachbarstaaten, sondern auch in Europa. Wir machen uns Sorgen um die Kapazitäten der Nachbarstaaten. Sie beherbergen bereits enorm viele Flüchtlinge und dazu sollten sie auch weiterhin in der Lage bleiben. Deshalb bitten wir um massive finanzielle Unterstützung, nicht nur für humanitäre Hilfe, sondern auch für den nötigen Ausbau der Infrastruktur sowie der Leistungen in den Gemeinden.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass beispielsweise Investitionen in die Infrastruktur auch tatsächlich getätigt werden? Ländern wie Libanon oder Jordanien wird Korruption und Ineffizienz vorgeworfen, wenn es um die Umsetzung solcher Projekte geht.

Libanon und Jordanien haben transparente Pläne vorgelegt über ihre Bedürfnisse. Die werden wir in unsere sogenannte 3 RP Regional Refugee & Resilience Planung 2015-16 integrieren. Die Umsetzung erfolgt also in Partnerschaft mit dem UNHCR und dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP. Wir geben den Regierungen nicht einfach das Geld und überlassen den Rest ihnen. Wir werden sehr genau darüber wachen, das sind wir den Gebern schuldig.

Es gibt derzeit zunehmend Anzeichen dafür, dass es nicht gelungen ist, die Grenzen der Nachbarstaaten offen zu halten.

Eines ist klar: Diese Staaten haben eine Großzügigkeit gezeigt, die jenseits der Vorstellungskraft europäischer oder nordamerikanischer Staaten liegt. Nehmen Sie das Beispiel des Libanon: Die Situation ist ungefähr so, als wäre die gesamte deutsche Bevölkerung innerhalb von drei Jahren in die USA geflohen. Das sollte man sich vor Augen führen. Es ist sehr extrem.

Außerdem haben die Nachbarstaaten wachsende Sorgen um die eigene Sicherheit. Es sind legitime Bedenken. Zugleich sind wir ständig im Gespräch mit den dortigen Regierungen und weisen darauf hin, dass viele der Flüchtenden Frauen und Kinder sind. Deshalb appellieren wir auch an Europa und andere Staaten, diese Last mitzutragen.

Europäische Staaten haben in den vergangenen Jahren 124.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Welches Ziel streben Sie für 2015 an?

Es sollten in diesem Jahr 130.000 Syrer umgesiedelt werden. Ich möchte an der Stelle betonen, dass die meisten syrischen Flüchtlinge gar nicht nach Europa möchten. Sie wollen in der Nähe ihrer Heimat bleiben, sie hoffen, nach dem Ende des Krieges wieder nach Hause zu gehen.

Die UN-Hilfsoperation für Syrien hatte für 2014 ein Budget von 3,7 Milliarden US-Dollar veranschlagt, nur 51 Prozent davon wurden gespendet. Was heißt es konkret, wenn das Geld fehlt?

Dann müssen wir tragischerweise etwas tun, was wir priorisieren nennen. Das heißt, wir suchen die Familien unter den Flüchtlingen aus, die am verzweifeltsten sind, die Verwundbarsten und wir beschränken unsere Unterstützung auf sie. Das ist ein sehr schmerzhafter Prozess. Einige unserer Leistungen, die sehr wichtig für die Widerstandsfähigkeit der Flüchtlinge sind, die ihnen ermöglichen, eine Lebensperspektive zu schaffen, zum Beispiel Schulausbildung. Wenn das Geld nicht da ist, dann wird zuerst bei diesen Leistungen gekürzt.

Viele europäische Staaten stecken in einer Wirtschaftskrise, sie haben Budgetprobleme. Hier wird oft die Frage gestellt, warum die reichen Golfstaaten nicht als Spender entsprechend zu Buche schlagen?

Aber die Golfstaaten geben uns Spenden! Wir haben noch nie dagewesene Spenden insbesondere von Kuwait für den Nordirak erhalten, eine große Beteiligung von Saudi-Arabien sowie von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich betone, das ist neu. UN-Organisationen haben traditionell nur sehr wenig vom Golf erhalten. Wir betrachten dies als Durchbruch und es ist uns sehr wichtig. Wir suchen darüber hinaus neue Geber, zum Beispiel bei Privatfirmen. Aber wir sind auch besorgt, dass die Ebola-Krise möglicherweise einen Teil der Zuwendungen erhält, die wir sonst für syrische Flüchtlingen bekommen hätten. Wir machen uns große Sorgen über die Spendenbereitschaft, denn es ist klar, dass wir mit mehr Geld besser helfen könnten.

Die Syrien-Hilfe der UN-Organisationen ist eine der größten Operationen der letzten Jahrzehnte. War das für Sie auch ein Lernprozess?

Wir haben gelernt, dass in diesem Fall die Soforthilfe nicht ausreicht. Es geht gleichzeitig um die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft im Gastland und um eine Lastenteilung jenseits der Region.

Melissa Fleming ist Kommunikationschefin des UNHCR in Genf und Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissars António Guterres.