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Gesetze : Symptome der »Nichtanerkennung«

Für EU-Bürger und Ausländer aus Drittstaaten gibt es hierzulande ganz unterschiedliche Rechte und Pflichten

05.01.2015
2023-11-08T12:32:56.3600Z
3 Min

Genau genommen, hatte sich Erhan A. nicht mehr zuschulden kommen lassen als wilde Reden zu führen. Er würde seine Familie umbringen, wenn diese sich am Islam versündigte, hatte der junge Türke in der Öffentlichkeit getönt. Die Behörden des Freistaats Bayern reagierten prompt. Erhan A. kam in Abschiebehaft und saß wenig später im Flugzeug.

Klassengesellschaft Dass es so etwas wie eine Klassengesellschaft unter Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland gibt, zeigt sich für Safter Çinar an diesem Fall. Es zeigt sich auch, dass die Gruppe, die Çinar als Vorsitzender der Türkischen Gemeinde vertritt, in dieser Hierarchie noch immer nicht ganz oben angekommen ist. Wer mit einem türkischen Pass hier lebt, muss damit rechnen, dass das Aufenthaltsrecht als verlängerter Arm des Strafrechts gegen ihn wirken kann, so sieht es Çinar. Das schmerzt ihn, denn er empfindet es als Symptom einer nach über fünf Jahrzehnten noch fortwirkenden „Nichtanerkennung“.

Zu reden wäre auch über das Wahlrecht. Bürger mit ausländischem Pass dürfen in ihrer Gemeinde nicht immer über die Kommunalpolitik mitbestimmen. Der erste Ausländerbeauftragte der Bundesrepublik, der Sozialdemokrat Heinz Kühn, hat das schon 1979 vorgeschlagen. In den Niederlanden und Schweden sei das kommunale Ausländerwahlrecht seit über drei Jahrzehnten gängige Praxis, gibt Çinar zu bedenken, warum nicht hier?

Wer sich als Bürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union in der Bundesrepublik aufhält, dem sind solche Fragen fremd. Das Wahlrecht auf kommunaler wie europäischer Ebene ist selbstverständlich gewährleistet. Ausweisung haben EU-Bürger allenfalls nach einer Verurteilung wegen schwerster Straftaten zu gewärtigen. Die Unionsbürgerschaft garantiert Niederlassungsfreiheit und ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Freilich, auch den in Deutschland lebenden Türken gewährt Europa Rechtsansprüche. Sie erwachsen aus dem Assoziierungsabkommen von 1963 zwischen der Türkei und der damaligen EWG. So erklärte der Europäische Gerichtshof im Juli 2014 eine Bestimmung, dass nachziehende Ehegatten bereits vor der Einreise „einfache Deutschkenntnisse“ zu erwerben haben, für nicht anwendbar auf türkische Staatsbürger. Die Richter verwiesen auf ein seit 1973 gültiges Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen, in dem sich die Vertragsparteien verpflichtet hatten, „keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit“ zu schaffen. Dies sei jedoch mit der erst 2008 eingeführten Sprachklausel erfüllt. Die Interpretation des Urteils ist strittig. Für die Bundesregierung hat der EuGH nicht die Sprachklausel als solche verworfen, sondern nur eine Härtefallregelung angemahnt. Die Türkische Gemeinde hat Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. Gemessen am Vorzugsstatus von Zuwanderern aus EU-Ländern bilden Flüchtlinge das Prekariat des Aufenthaltsrechts. Zumal jene, denen das zuständige Bundesamt zwar die Asylberechtigung verweigert, aber dennoch eine Duldung erteilen muss, weil sich die Ausreise nicht möglich ist

Aufenthaltserlaubnis Wer durch höhere Gewalt an der Ausreise gehindert ist, darf sich mittlerweile nach 18 Monaten Hoffnungen auf eine befristete Aufenthaltserlaubnis machen, Wer indes gesetzeswidrig seine Ausweisung sabotiert, indem er den Behörden Dokumente vorenthält, den Pass vernichtet, die Identität verschleiert, den trifft das Verdikt des Bundesverfassungsgerichts: „Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen.“ Eine Aufenthaltserlaubnis kommt also nicht in Frage, zudem haben die Betroffenen Leistungskürzungen und Arbeitsverbote zu gewärtigen sowie je nach Bundesland zusätzliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit.

Für Asylbewerber generell gilt, dass sie ihren Aufenthaltsort nicht selbst wählen dürfen. Bisher durften sie auch den Landkreis nicht verlassen, wo sie untergebracht sind. Nach einer jetzt vom Bundestag beschlossenen Neuregelung sollen sie sich künftig in Deutschland frei bewegen können. Und auch nicht mehr wie bisher nach längstens vier Jahren, sondern nach 15 Monaten freien Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

Wer freilich einen Hochschulabschluss und einen Arbeitsvertrag vorzuweisen hat, kann seit 2012 auch als Flüchtling den direkten Weg in die Komfortzone des Aufenthaltsrechts finden: Die „Blaue Karte“ garantiert qualifizierten Zuwanderern von außerhalb der EU unbegrenzte Arbeitsmöglichkeiten und den Aufenthalt nach spätestens drei, in der Regel schon zwei Jahren.