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sANKTIONEN : Katalysator des Niedergangs

Die westlichen Strafmaßnahmen kosten die russische Wirtschaft Milliarden. Aber auch für die EU ist der Schaden groß

10.08.2015
2023-08-30T12:28:07.7200Z
4 Min

Seit wenigen Tagen gilt der Erlass, geschmuggelte Lebensmittel an der russischen Grenze zu vernichten. Bisher schickten Grenzschützer verbotene Importwaren zurück, die trotz des Embargos, das Moskau gegen viele Produkte aus dem Westen verhängt hat, teils abenteuerlich - umetikettiert und über Umwege - ins Land gelangten.

Es ist eine weitere Runde im Sanktionsstreit zwischen Russland und dem Westen. Im Juni hat die Europäische Union ihre Strafmaßnahmen verlängert, sie gelten nun bis Ende Januar. Nicht alle EU-Staaten befürworten dies mit gleicher Intensität. Polen und die baltischen Staaten etwa hatten sich für eine Verschärfung ausgesprochen, andere Länder, darunter Griechenland, Österreich, Italien oder Ungarn, sehen die Sanktionen skeptisch. Am Ende stand ein Konsens.

Vor einem Jahr schwenkte der Westen von Einreiseverboten und Kontensperren auf härtere Strafen um, richtete seine Maßnahmen gegen den Finanzsektor und die Rüstungsindustrie sowie die Öl- und Gasindustrie. Russland konterte mit einem Embargo gegen Gemüse, Früchte, Fisch und Fleisch und Milchprodukte, das gerade um ein Jahr verlängerte wurde. Die USA verhängten zuletzt Ende Juli neue Sanktionen gegen Personen und Unternehmen.

Die Sanktionen belasten Russlands Wirtschaft, vor allem weil Banken von den westlichen Kapitalmärkten weitgehend abgeschnitten sind. Europäische Diplomaten gingen bereits im Frühjahr davon aus, dass die Sanktionen Russland bis dato einen dreistelligen Milliarden-Dollar-Betrag gekostet haben. Aber auch die EU-Wirtschaft musste allein bis Anfang des Jahres Exportverluste in Höhe von 21 Milliarden Euro verkraften. Einer Studie aus Österreich zufolge könnte sich der Schaden für die EU sogar auf 90 Milliarden Euro belaufen.

Moskau redete die Auswirkungen der Sanktionen von Beginn an klein. Erst vor kurzem bezeichnete Regierungschef Dmitrij Medwedjew das Vorgehen als "sinnlos". Gleichzeitig wird die Situation genutzt, um von Problemen der russischen Wirtschaft abzulenken, die schon lange vor der Ukraine-Krise und den Sanktionen begannen: vor allem die Strukturschwäche und die starke Abhängigkeit von Öl- und Gasreserven. Besonders deutlich machte das im vergangenen Jahr der stark fallende Rubelkurs, ausgelöst durch den sinkenden Erdölpreis. Erst in den zurückliegenden Wochen hat der Rubel erneut an Wert eingebüßt. Die Sanktionen wirken als Katalysator des Niedergangs. Auch wenn sie nicht die Ursache der Wirtschaftskrise sind, nutzt die Führung in Moskau sie als Ausrede, die eigenen Fehler zu entschuldigen. "Je schlechter es uns geht, umso besser", laute derzeit die Devise im Land, erklärt Witalij Jaroschewskij, stellvertretender Chefredakteur der kritischen Zeitung "Nowaja Gazeta" die Gemütslage seiner Landsleute. Sie seinen "stolz und unabhängig - und haben keine Angst vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten". Tatsächlich kamen viele Probleme nur verzögert bei der breiten Masse an. Dass italienischer Parmesan und französischer Brie nicht mehr im Supermarkt zu finden sind, trifft nur die dünne Mittelschicht des Landes. Die Krise führte aber auch dazu, dass der Durchschnittslohn um fast neun Prozent gesunken ist. Demgegenüber sind die Preise in den vergangenen Monaten um knapp 16 Prozent gestiegen.

Als der Westen die ersten Sanktionen verhängte, glaubten Experten, dass Präsident Wladimir Putin den Druck der Oligarchen, der Superreichen, zu spüren bekomme. Doch das ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Der Zusammenhalt der Eliten ist stärker als zuvor. Das zeigt etwa das Beispiel von Alexander Lebedew: Der Unternehmer war lange ein Kritiker der Kreml-Politik. Heute will er lieber gemeinsam als Team in der Krise agieren: "Wie sind auf einem Schiff inmitten eines Sturms", erklärte er. Die Sanktionen könne man vergessen, sagt er, "sie können Russland nichts anhaben". Die russische Wirtschaft aber dürfte in diesem Jahr um etwa 3,5 Prozent schrumpfen.

Hilfen für die Landwirtschaft Zu den wenigen Branchen im Plus gehört - seit dem Embargo - die Nahrungsmittelindustrie, denn die russische Regierung bemüht sich, die Landwirtschaft zu unterstützen. Allerdings wird es nach Einschätzung von Agrarminister Alexander Tkatschjow noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis das Land sich selbst versorgen kann. Putin erklärte, die Sanktionen zwängen Russland dazu, auch andere Wirtschaftszweige zu modernisieren, sodass Russland nicht abwarten müsse, bis die Strafen aufgehoben würden.

Die deutsche Wirtschaft trägt die Maßnahmen mit, wenn auch oft nur zähneknirschend. 85 Prozent der Firmen beurteilen die Wirtschaftsentwicklung in Russland negativ, das ergab jüngst eine Umfrage der Auslandshandelskammer in Moskau. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft fordert derweil den Abbau von Sanktionen. Der Verband fürchtet in diesem Jahr einen Exportrückgang von zehn Milliarden Euro.

"Die aktuellen Zahlen übertreffen selbst unsere schlimmsten Befürchtungen", erklärte der Ausschuss-Vorsitzende Eckhard Cordes. Er sieht 150.000 Arbeitsplätze in Deutschland bedroht, vor allem mittelständische Unternehmen in den neuen Bundesländern seien betroffen. Gleichzeitig gingen mit abgebrochenen Wirtschaftskontakten auch politische Einflussmöglichkeiten in Russland verloren.

In Moskau finden sich deutsche Geschäftsleute, die die Politik des Westens kritisieren und Verständnis für Putins Vorgehen zeigen. Dabei spielt die Angst eine Rolle, den lukrativen russischen Markt zu verlieren. Andere Manager verstehen ihre Unternehmen als "Werteträger" oder werfen Putin vor, das Vertrauen der Investoren auf Dauer zu beschädigen.

Der Politologe Dmitrij Trenin glaubt indes nicht an ein baldiges Ende der westlichen Strafmaßnahmen. "Die Sanktionen der EU werden noch auf Jahre in Kraft bleiben", meint der Direktor des renommierten Think Tanks Carnegie Center in Moskau. "Die Sanktionen der USA sogar für Jahrzehnte." Für beide stehe weniger auf dem Spiel, da ihr wirtschaftliches Interesse an Russland vergleichsweise gering sei, urteilt Trenin.

Der Autor ist freier Korrespondent in Moskau.