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Ulrich Freese : »Die Umwelteinflüsse waren verheerend«

Der Gewerkschafter aus dem Ruhrgebiet erlebte in der Lausitz eine Braunkohleregion im Umbruch

31.08.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
3 Min

Als ich am 17. April 1990 nach Leipzig kam, erinnerten mich Stadtteile an westdeutsche Städte direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Gebäude waren in einem schrecklichen Zustand. Gewöhnungsbedürftig war auch das Wohnumfeld in Leipzig-Grünau. Damals kam ich als Gewerkschafter der IG Bergbau und Energie aus dem Ruhrgebiet, geboren bin ich im nordrhein-westfälischen Drevenack. Heute ist die Lausitz meine Heimat, ich bin Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße. Wenn ich gefragt werde, sage ich immer: Ich bin 1990 in die DDR eingewandert.

Die Monate des Umbruchs waren nicht nur für mich aufregend. Auch in den Betrieben mussten Menschen die Gewerkschaften erst neu erleben: nicht mehr als verlängerten Arm der Partei, sondern als klareren Interessenvertreter der Mitglieder. Verändert hat sich auch die Sicht auf die Bergbau- und Energiewirtschaft in meiner Lausitzer Heimat. Als ich zum ersten Mal die Kraterlandschaften sah, die der Braunkohletagebau hinterlassen hatte, da war mir klar, dass die Akzeptanz dieses Wirtschaftszweigs außer bei den Bergbau- und Energiearbeitern nahezu bei null lag. In der DDR wurden jährlich 300 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert, zu einem hohen Preis für die Bewohner der umliegenden Dörfer.

Die Umwelteinflüsse waren verheerend, jedes Jahr wurden Dörfer weggebaggert und ihre Bewohner ohne große Auswahlmöglichkeiten in Plattenbausiedlungen verpflanzt. Auch bei Politikern war eine Ablehnung des Bergbaus spürbar. Wer diskutieren wollte, dass Braunkohleförderung für die strukturelle Entwicklung der Region existenziell war, hatte es in diesen Tagen schwer.

Ich kann mich an den Tag im August 1990 erinnern, an dem in Espenhain bei Leipzig die Kohleschwelerei stillgelegt wurde. Da hatten die Besucher buchstäblich ein lachendes und ein weinendes Auge, weil mit der Fabrik zwar Arbeitsplätze verschwanden, man aber gleichzeitig ein sichtbares Signal zugunsten der Umwelt erkannte. Inzwischen erfährt die Kohle in der Lausitz viel Zustimmung. Die Fördermengen sind in der Region von 200 Millionen auf heute 60 Millionen Tonnen gesunken. Die Tagebaue und Kraftwerke wurden so modernisiert, dass die Umweltbelastungen erträglich sind. Und wer umgesiedelt werden muss, der wird anständig entschädigt. Natürlich sind die Umsiedlungen heute genauso wie früher ein schmerzlicher Prozess. Niemand will seine Heimat verlieren; aber wenn es keine Arbeitsplätze mehr gibt, bedeutet das für viele eben auch den Verlust ihres Zuhauses.

Dass nun so viele so schnell wie möglich ein Ende der Braunkohle wollen, stößt auf mächtiges Unverständnis. Die Menschen in der Lausitz wissen, was es für sie bedeutet, wenn die Energiewende gelingen sollte wie geplant. Die Braunkohle sichert hier direkt und indirekt rund 23.000 Arbeitsplätze. Deshalb kämpft man um den Erhalt der Braunkohleförderung.

Ich schätze, dass wir noch etwa 35 bis 40 Jahre Braunkohle fördern werden, erst dann kann, wenn überhaupt, grüner Strom ausreichend gespeichert werden. Ein Ende der Kohle vor dem Jahr 2050 würde einer Region, die immer noch versucht, die Veränderungen von 1989 zu verkraften, einen weiteren Strukturbruch zumuten. Deshalb waren wir entschieden gegen die Pläne des Wirtschaftsministers, nach denen Kohlekraftwerke, die mehr als 20 Jahre laufen, ab 2017 zusätzliche CO2-Emmissionszertifikate kaufen sollten. Für die Lausitz mit den Kraftwerken hätte dies einen Kahlschlag bedeutet.

Kurz nach der Wende verfestigte sich hier das Gefühl: "Wir werden geopfert." Aber wer sich mit der Geschichte der Lausitz beschäftigt, der weiß, es war immer eine ländliche und arme Region mit dörflichen Strukturen. In den großen Kombinaten, die in der DDR gegründet wurden, arbeiteten zwar Zehntausende, deshalb waren auch die umliegenden Städte enorm gewachsen. Aber mit dem radikalen Umbruch verschwanden mit den Arbeitsplätzen auch die Menschen.

Viele waren enttäuscht, weil nach der Wende auch großes Engagement nicht den er-hofften Erfolg hatte. Wir haben uns sehr um Unternehmen bemüht, aber die gingen lieber in Ballungszentren, wo es Flughäfen und eine bessere Infrastruktur gab. Heute liegen unsere Hoffnungen bei der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und dass es gelingt, durch Forschung und Entwicklung Unternehmen anzusiedeln.

Es gab und gibt viele Anstrengungen, aus den ehemaligen Tagebaugebieten touristi-sche Magnete zu machen. Aber da muss man realistisch sein: Die Lausitz wird niemals Urlaubsziel Nummer eins werden. Aber sie kann ein attraktives Angebot für diejenigen sein, die sich auch einen Zweit- oder Dritturlaub leisten können und wollen.