Piwik Webtracking Image

KULTURGÜTERSCHUTZ : Finger weg!

Günther Wessel ist in die Welt von Raubgräbern, Dealern, Händlern und Sammlern abgetaucht

05.10.2015
2023-08-30T12:28:10.7200Z
3 Min

Der Fall war in jeder Hinsicht spektakulär: Im Februar 2002 verhaftet die Schweizer Polizei im Basler Hilton Hotel zwei Dealer, die für 358.000 Euro ein bronzezeitliches Artefakt verkaufen wollen - die inzwischen weltberühmte Himmelsscheibe von Nebra. Der Leiter des Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie in Halle, Harald Meller, hatte sich als interessierter Käufer ausgegeben und die beiden Dealer in die Falle der Polizei gelockt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Himmelsscheibe bereits eine kriminelle Vergangenheit. Im Juli 1999 hatten zwei Grabräuber die Himmelsscheibe zusammen mit anderen Objekten nahe der Kleinstadt Nebra mit Metallsonden aufgespürt und ausgegraben - illegal. Für 31.000 D-Mark verkaufen sie den Fund an einen Kölner Hehler. Im gleichen Jahr wird sie zwei Museen für eine Million D-Mark zum Kauf angeboten, die aber ablehnen. Schließlich erwerben ein Hobbyarchäologe und eine Museumspädagogin aus Nordrhein-Westfalen die Objekte und bieten sie Ende 2001 über Mittelsmänner auf dem Schwarzmarkt zum Kauf an.

Lukrativer Handel Die Geschichte der Himmelsscheibe von Nebra ist nur ein Beispiel für den illegalen Handel mit antiken Kulturgütern. Der Journalist Günther Wessel hat sich auf die Spuren dieses "schmutzigen Geschäfts" geheftet und ist in die Welt der Raubgräber und Schmuggler, Dealer und Kunstsammler eingetaucht. Wer bislang glaubte, der illegale Handel mit antiken Kulturgütern sei eher eine Randnotiz in der Kriminalstatistik, den belehrt die spannende Lektüre von Wessels Buch schnell eines besseren. Nach Schätzungen der Unesco liegen die jährlichen Umsätze des illegalen Handels bei sechs bis acht Milliarden US-Dollar. Lediglich mit Drogen und Waffen lässt sich in der Welt der Gesetzlosen noch mehr Geld machen.

"Das Geschäft mit illegalen Fundstücken verbindet die honorigen Spitzen der Gesellschaft mit der Unterwelt", schreibt Wessel. "Die einen wollen ihr Geld gewinnbringend investieren oder ein einzigartiges Prestigeobjekt fürs Wohnzimmer kaufen. Die anderen organisieren auf professionelle Weise den Nachschub aus den Krisengebieten der Welt." An den gehandelten Kulturgütern klebt mitunter viel Blut. So finanzieren sich auch Terrorgruppen wie der "Islamische Staat" durch die Plünderung antiker Stätten.

Die Objekte stammen jedoch nicht nur aus Ländern wie Ägypten, Syrien oder dem Irak. Auch in Süd- und Mittelamerika, Südostasien und Europa wird illegal auf der Suche nach Antiken gegraben, ganz gleich welcher Kultur sie entstammen. "Entlang des Limes sieht es aus wie ein Schweizer Käse", klagt beispielsweise der Archäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz.

Wessels Buch ist das Ergebnis einer sauberen Recherche. Der Journalist hat mit Sammlern und Händlern, Archäologen und Museumsdirektoren, Polizeibeamten und Kulturpolitikern gesprochen und sich durch die einschlägige Fachliteratur gekämpft. Trotz seiner klaren Botschaft an seine Leser, die Finger von illegal gehandelten Kulturgütern zu lassen, verliert er trotzdem nicht die gebotene journalistische Distanz.

Neues Gesetz Wessels Buch kommt zur rechten Zeit. Derzeit bastelt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) an einer Gesetzesnovelle, mit der die Ein- und Ausfuhrbestimmungen für Kulturgüter verschärft werden sollen. Und das aus gutem Grund: Bei der Verabschiedung des Kulturgüterrückgabegesetzes habe man 2007 "sehr viel Rücksicht auf den deutschen Kunstmarkt" genommen, "weil wir ihm nicht mehr bürokratische Pflichten auferlegen wollten als nötig", räumt Grütters gegenüber Wessel ein. Silvelie Karfeld, Hauptkommissarin im Bundeskriminalamt hingegen macht weniger falsche Rücksichtnahmen als vielmehr massive Einflussnahme verantwortlich: "Ich habe das Gesetz erlebt, im Anfangsstadium, als es entwickelt wurde, da war es hervorragend, und dann ging es den Weg durch die Gesetzgebungsprozesse und wurde immer weiter verwässert, und wer sich mit Gesetzgebungsprozessen auskennt, weiß, in welcher Form man gegebenenfalls Einfluss nehmen kann."

Einfluss genommen hat der Kunsthandel, der stets betont, nur legal erworbene Objekte zu verkaufen. Doch bei seinen Recherchen stößt Wessel bei den deutschen Antikenhändlern auf Schweigen. Ursula Kampmann, Sprecherin der International Association of Dealers in Ancient Art, versucht ihn mit Standardfloskeln zu beschwichtigen. In der Regel werde nur saubere Ware gehandelt, illegale Verkäufe seien die Ausnahme, begangen von den wenigen "schwarzen Schafen" in der Branche. Der ehemalige Kunsthändler Christoph Leon vermittelt Wessel eine andere Botschaft: Die großen Aktionshäuser in London, New York oder München "verkaufen Ihnen auch ihre Großmutter. Alles, was Geld bringt, wird gemacht."