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ISRAEL : Gefangen im Paradox

Der Arabische Frühling verfestigt das Wagenburgdenken des Landes

04.04.2016
2023-08-30T12:29:58.7200Z
3 Min

Israel kann heute zu den Profiteuren des Arabischen Frühlings gezählt werden - zumindest kurzfristig. Denn feindlich gesinnte Staaten wie Syrien und der Irak sind auf lange Zeit deutlich geschwächt worden. Israels Bedrohung durch konventionelle und Massenvernichtungswaffen ist damit zurückgegangen - insbesondere nach Syriens Beitritt zur Chemiewaffenkonvention 2013 und der Vernichtung der deklarierten Bestände 2014. Präsident Sisi bekräftigte nach seinem Amtsantritt das ägyptische Bekenntnis zum Friedensvertrag mit Israel und positioniert sich seither international als Sicherheitspartner Israels. Israel kann zudem zunehmend auf eine zumindest beschränkte Interessenkonvergenz mit den arabischen Golfmonarchien setzen. Und auch eine Aussöhnung mit der Türkei macht derzeit Fortschritte.

Allerdings: Vom Verlust zentralstaatlicher Kontrolle im Zuge der Umbrüche haben bewaffnete Gruppierungen wie der "Islamische Staat" in Israels direkter Nachbarschaft profitiert. Derzeit sind sie zwar auf andere Auseinandersetzungen konzentriert, doch mittel- bis langfristig stellen die Dschihadisten auch eine Bedrohung für Israel dar. Denn in ihrer Ideologie spielt die "Befreiung Jerusalems" als drittheiligstem Ort des Islams eine zentrale Rolle. Außerdem führt das Übergreifen des Bürgerkriegs in Syrien - durch eine extrem hohe Zahl von Flüchtlingen, gesellschaftliche und politische Polarisierung und Anschläge von Dschihadisten - zu einer weiteren regionalen Destabilisierung.

Durch das Atomabkommen mit dem Iran ist es zwar gelungen, einen weiteren kriegerische Konflikt in der Region zu vermeiden und das iranische Atomprogramm unter internationale Kontrolle zu stellen. Dies bedeutet aber keineswegs, dass der Iran eine konziliantere Haltung in den regionalen Konflikten und gegenüber Israel einnehmen wird. Dies gilt umso mehr, als Irans zentraler Verbündeter, die libanesische Hisbollah, auf Seiten der syrischen Armee kämpft und ihr damit eine wichtige Rolle im Kampf um das Überleben des Regimes in Damaskus zukommt. Der saudisch-iranische Konflikt um die regionale Vormacht bedroht auch immer stärker den fragilen Elitenkonsens im Libanon.

Selbst wenn viele Israelis ihr Land als "Villa im Dschungel" (Ehud Barak) sehen, die Umbruchstimmung in der Region fand auch in Israel ein Echo: Im Sommer 2011 forderte eine landesweite Protestbewegung mit dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit die israelische Regierung heraus. Die Destabilisierung der Region und der (vorläufige) Aufstieg von islamistischen Kräften führten allerdings zur Verfestigung des Wagenburgdenkens in Israel. Einige Politiker und Vertreter des Sicherheitsapparates forderten zwar, die Umbrüche als Chance zu nutzen, um sich den arabischen Nachbarstaaten anzunähern und Fortschritte im Friedensprozess mit den Palästinensern zu machen. Die Netanjahu-Regierung aber sah aufgrund des regionalen Chaos keinesfalls den geeigneten Zeitpunkt für Zugeständnisse gegeben, da diese von Israels Feinden als Schwäche ausgelegt würden.

Entsprechend konzentrierte sich Netanjahus Koalition auf den Ausbau der militärischen Überlegenheit, auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und auf die Abschottung gegenüber den Nachbarn. Im Februar 2016 kündigte Netanjahu den Bau von Grenzzäunen um ganz Israel an, um das Land gegen "wilde Bestien" zu schützen. Zudem versucht die Regierung von der Schwächung des Assad-Regimes zu profitieren, indem sie den israelischen Anspruch auf die Golanhöhen zu festigen sucht. Minister Naftali Bennet legte im Oktober 2015 einen Plan zur Besiedlung der Golanhöhen mit 100.000 neuen Bewohnern vor, zusätzlich zu den derzeit rund 20.000 Siedlern. Außerdem drängte Netanjahu einen Monat später US-Präsident Barack Obama, die israelische Annexion des Golan anzuerkennen.

Schritte zur langfristigen Regelung der Konflikte unternahm Israels Regierung hingegen nicht. Insbesondere gegenüber den Palästinensern zeigte sie sich unnachgiebig. Eine Zweistaatenregelung wird damit immer unwahrscheinlicher. Gleichzeitig verfestigt sich die Einstaatenrealität im gesamten von Israel kontrollierten Gebiet, die im Widerspruch zu Israels Selbstdefinition als jüdischer und demokratischer Staat steht. Damit dürfte im Jahr 2017 nicht nur die Besatzung ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Israels Politik der militärischen Stärke und Abschottung wird auch seine Akzeptanz in der Region und der internationalen Öffentlichkeit - und damit seine Sicherheit - kaum langfristig sichern.

Muriel Asseburg ist Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Jan Busse arbeitet am Lehrstuhl für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München.