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ENDLAGER : Aber nicht bei uns!

Spekulationen über Standort nach Vorlage des Abschlussberichts: In Bayern und Sachsen wird präventiv dicht gemacht.

11.07.2016
2023-08-30T12:30:04.7200Z
4 Min

Beim Thema Atommüll gibt es keine Willkommenskultur. Kaum hatten die Mitglieder der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlager-Kommission) Ende Juni ihren Abschlussbericht nach zähen Verhandlungen unter Dach und Fach gebracht, begannen die Spekulationen: "Bayern in Endlager-Gefahr?", fragte etwa der CSU-nahe "Bayernkurier". Ein Kommentator der "Mittelbayrischen Zeitung" wunderte sich gar: "Wird Ostbayern das Atomklo Deutschlands?" Auch in der sächsischen Regionalpresse wurde über einen möglichen Standort im Erzgebirge spekuliert.

Die Politik in beiden Bundesländern setzt auf präventive Abschottung: "Die Gesteine in Bayern sind nicht für ein Endlager geeignet - das gilt für Granit, Ton und Salz", teilte Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) mit. "Sachsen als Standort für ein Atommüll-Endlager in Betracht zu ziehen, ist verantwortungslos! Wir erfüllen nicht die geologischen Voraussetzungen", schmetterte Thomas Colditz, stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag des Freistaates. Und überhaupt sei Sachsen so gar nicht zuständig, schließlich habe es dort nie Atomkraftwerke gegeben. "Warum sollten wir den Wohlstandsmüll aus dem Westen übernehmen?", zeterte der Christdemokrat.

Grund für die Aufregung in Bayern und Sachsen sind die Empfehlungen der Endlager-Kommission, die vergangene Woche offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Diese sehen vor, dass ein Standort für ein tiefengeologisches Endlager in allen in Deutschland in Betracht gezogenen Wirtsgesteinen gesucht werden soll. Das sind Salz- und Ton-, aber auch gerade in Bayern und Sachsen relevante Kristallinformationen (vor allem Granit). Das stand so auch schon im Standortauswahlgesetz, das die Grundlage für die Kommissionsarbeit bildete. Das Problem sind nun die im Endlager-Bericht festgelegten Kriterien. Diese sind zumindest nach Ansicht von Umweltministerin Scharf und ihrem sächsischen Amtskollegen Thomas Schmidt (CDU) so formuliert, dass sie eine Suche in Kristallin ermöglichen, dafür aber Abstriche beim Sicherheitskonzept in Kauf nähmen, etwa weil bei Kristallin unter bestimmten Bedingungen eine nicht so große Mächtigkeit des Gebirgsbereichs wie bei Salz und Ton möglich sein soll. Scharf und Schmidt hielten ihren Dissens in Sondervoten jeweils im Abschlussbericht fest.

Ergebnisse abwarten Die Debatte über Kristallinkriterien und mögliche Standorte schien die Stimmung bei der Vorstellung des Endlager-Berichtes zu trüben. Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Sondervoten und mahnte an, die Ergebnisse des Suchprozesses abzuwarten. Die Ko-Vorsitzende der Endlager-Kommission, Ursula Heinen-Esser, unterstrich erneut das Prinzip der "Weißen Landkarte": "Es wird im gesamten Bundesgebiet nach einem Endlager-Standort gesucht und zwar in allen Wirtsgesteinen."

Nicht nur Bayern und Sachsen sind also zumindest in der ersten Phase des Suchprozesses, in der vorhandene Daten ausgewertet werden, erstmal im Rennen, sondern auch der umstrittene Standort Gorleben in Niedersachsen. Dessen Umweltminister Stefan Wenzel (Bündnis 90/Die Grünen), der während der Kommissionsarbeit intensiv für eine möglichst weite Einbeziehung von Kristallin gekämpft hatte, zeigte sich trotzdem zufrieden mit dem Ergebnis. "Die jahrzehntelange Vorfestlegung auf Gorleben ist vom Tisch", sagte der Umweltminister in Hinblick auf das Verfahren. Wenzel hatte wiederholt betont, dass in einem ergebnisoffenen Suchverfahren Gorleben nicht als Standort in Frage kommen werde.

Innerhalb der Kommission sah zumindest der Vertreter des BUND, Klaus Brunsmeier, die Gorleben-Frage anders. Er hatte als einziges stimmenberechtigtes Mitglied gegen den Bericht gestimmt, unter anderem, weil der Standort weiter im Verfahren ist. Er wolle seine Ablehnung aber konstruktiv verstanden wissen, stellte Brunsmeier vergangene Woche klar.

Wesentlich schärfer gingen Vertreter von Anti-Atomkraftinitiativen mit der Kommission ins Gericht, deren Arbeit viele ohnehin boykottiert hatten. Nach zwei Jahren Arbeit bleibe ein "Scherbenhaufen", sagte Jochen Stay, Sprecher von "ausgestrahlt". Das Ziel einer risikoarmen Lagerung könne mit den Vorschlägen nicht erreicht werden, auch fehlten "echte Mitbestimmungsrechte" für die betroffenen Bürger. "So provoziert man Protest an möglichen Standorten. So organisiert man die Eskalation von Konflikten", sagte Stay.

Bundestag am Zug Während die Linke im Bundestag sich ähnlich kritisch äußerte, werteten die Vertreter der übrigen Fraktionen den Bericht als guten Kompromiss. Die Parlamentarier sind nun am Zug: Sie müssen die Empfehlungen noch in Gesetzesform gießen. Angedacht ist eine Umsetzung noch in dieser Wahlperiode. Erste Vorhaben, etwa die Behördenstruktur und die Einrichtung des Nationalen Begleitgremiums, sind bereits auf den Weg gebracht.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dankte der Endlager-Kommission bei der Übergabe des Berichtes für ihre Arbeit. In dem Bericht sei eine Reihe von Punkten behandelt worden, die nun "als geklärt und als abgearbeitet gelten können". Bei anderen Punkten rechnet der Christdemokrat mit weiteren Diskussionen. Im Hinblick auf die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle stellte Lammert klar, dass eine gemeinsame Verantwortung bestehe, "vor der wir nicht weglaufen können". Sören Christian Reimer