Piwik Webtracking Image

Forschung : Traum von der sauberen Atomkraft

Die deutsche Wissenschaft gehört in der Kernfusionsforschung zur Weltspitze. Atomkraftgegner sehen darin einen Widerspruch zum Atomausstieg

15.08.2016
2023-08-30T12:30:05.7200Z
4 Min

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Februar nach Greifswald reiste, um am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) den Fusionsreaktor Wendelstein 7-X einzuweihen, da war das technische Wunder eigentlich längst vollbracht. Bereits zwei Monate zuvor, im Dezember 2015, hatten die Fusionsforscher ihren Testreaktor erfolgreich in Betrieb genommen. Für den Bruchteil einer Sekunde erzeugten sie aus dem Gas Helium ein einhundert Millionen Grad heißes Plasma.

Wendelstein 7-X ist der weltweit größte und fortschrittlichste Reaktor seiner Art. Im Beisein der Kanzlerin gingen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter und verwandelten Wasserstoff in Plasma. Sie versetzten die Wasserstoffatome also in einen vierten Aggregatzustand, der vornehmlich im Kern der Sonne zu finden ist. Dort sind Druck und Hitze so hoch, dass die Kerne der Wasserstoffatome verschmelzen. Es kommt zur Kernfusion, bei der massenhaft Energie frei wird. Die wollen die Wissenschaftler künftig für die Stromerzeugung nutzbar machen. Gelänge ihnen das, könnten sie damit einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten. Mehr noch, sie könnten die Energieprobleme der ganzen Welt lösen. Aus wenigen Gramm Wasserstoffplasma könnte theoretisch so viel Energie gewonnen werden, wie aus tausenden Tonnen Kohle - und zwar CO2-neutral und ohne die Gefahr eines atomaren Gaus.

Ein Meilenstein Zu einer nennenswerten Kernfusion wird es im Testreaktor Wendelstein 7-X noch nicht kommen. Dazu ist der in Greifswald gebaute Reaktortyp "Stellarator" zu klein und noch nicht weit genug entwickelt. Es handelt sich vielmehr um Grundlagenforschung. Gelänge das Experiment auch im Großen, wären die Wissenschaftler erstmals in der Lage, eine Kernfusion im Dauerbetrieb zu erzeugen. Wendelstein 7-X könnte somit ein Meilenstein auf dem Weg zu einem marktfähigen Fusionskraftwerk sein. Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll eine Demonstrationsanlage entstehen, die erstmals Strom erzeugen soll. Den Prognosen der Forscher zufolge könnte der Traum von der "sauberen Kernenergie" bis zum Ende des Jahrhunderts wahr werden. Für die Kanzlerin ist Wendelstein 7-X auch ein politischer Erfolg. Ohne großzügige staatliche Subventionen wäre das 1,1 Milliarden Euro teure Projekt kaum realisiert worden.

Das deutsche Forschungsprogramm mit vier großen Zentren in Karlsruhe, Jülich, Garching und Greifswald gehört zu den führenden in der Welt. Besonders in Europa kommt den deutschen Instituten eine Schlüsselrolle zu. Am IPP in Garching läuft die gesamte europäische Zusammenarbeit von insgesamt 29 Forschungseinrichtungen aus 27 Ländern zusammen. 120 Millionen Euro aus Bund- und Ländermitteln fließen jährlich in die deutsche Fusionsforschung. Das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) hat seit 2007 zusätzliche 66 Millionen Euro an projektbezogener Förderung beigesteuert. Weitere finanzielle Verpflichtungen bestehen im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms "EUROfusion" und internationaler Projekte, wie dem weltweit größten Fusionsreaktor ITER. Das ist im Vergleich deutlich mehr als derzeit noch in die deutsche Atomforschung gesteckt wird. 80 Millionen Euro im Jahr bringt der Bund heute noch für die Reaktorsicherheits- und Endlagerungsforschung auf. Aus der Entwicklung neuer Reaktortechnologien ist man mittlerweile vollständig ausgestiegen.

"120 Millionen Euro sind erst einmal eine Menge Geld", sagt Hartmut Zohm, Fusionsforscher am IPP Garching. Seit zwei Jahren sei die Fördersumme aber wieder gedeckelt. Die Förderung durch das BMBF läuft außerdem 2017 aus. Das sei ein falsches Signal, meint Zohm. Nötig seien eigentlich mehr Investitionen auch durch die Europäische Union, um im internationalen Innovationswettstreit langfristig vorne zu bleiben.

"Wir glauben nicht an diese Technologie", sagt dagegen Thorben Becker, Energiereferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): "Es gibt vernünftigere Lösungen, als Milliarden in eine risikobehaftete Großtechnologie zu stecken, bei der völlig unklar ist, ob am Ende etwas dabei heraus kommt." Während Deutschland im Zuge des Atomausstiegs aus der einen Kerntechnologie aussteige, werde zugleich intensiv in eine andere investiert, sagt Becker. Das passt in den Augen der Atomkraftgegner nicht zusammen.

Ein glaubwürdiger Abschied von der Atomkraft sehe anders aus, meint auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Partei bezeichnet Fusionsforschung als Milliardengrab und fordert einen sofortigen Stop der öffentlichen Fördergelder. Bis die Technologie marktreif sei, so lautet ihr Argument, sei die deutsche Energiewirtschaft längst vollständig auf die erneuerbaren Energien umgestellt. Für die deutsche Energiewende komme die Kernfusion schlichtweg zu spät.

Die Fusionsforscher kontern, dass ihre Gegner eine ideologisch verblendete Debatte führen würden. "Wir haben in den letzten Jahren erfolgreich darstellen können, dass Kernspaltung und Kernfusion nicht dasselbe sind und Unfälle wie in Tschernobyl oder Fukushima bei der Kernfusion nicht passieren können. Das ist auch in der Öffentlichkeit angekommen", sagt Hartmut Zohm. Eine erfolgreiche Energiewende sei außerdem nur global zu erreichen. "Es nützt nichts, wenn nur wir aussteigen, während andere Länder weiter Atom- und Kohlekraftwerke bauen", sagt Zohm. Wenn man dem weltweit steigenden Energiebedarf gerecht werden möchte und zugleich die globalen Klimaziele erreichen wolle, müsse konsequent in alle CO2-neutralen Energieträger investiert werden.

Auch Walter Tromm vom Atomforschungsprogramm NUSAFE am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sieht in der Kernfusion keine Konkurrenz, sondern eine sinnvolle Ergänzung zu den erneuerbaren Energien im Land. "Als Technologie- und Exportnation wäre Deutschland schlecht beraten, sich jetzt aus der Kernfusion zurückzuziehen.", sagt er. Die deutsche Industrie werde noch in vielen Bereichen von der Fusionsforschung profitieren können, prophezeit Tromm, zum Beispiel durch die Entwicklung neuer Magnetspulen und Supraleiter.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.