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INTERVIEW : »Das Thema kernwaffenfreie Welt spielt aktuell keine Rolle mehr«

Internationale Kooperation sei trotz aller Widrigkeiten wichtig, sagt die Abrüstungs-Expertin Annette Schaper. Warnung vor fatalen politischen Entwicklungen

15.08.2016
2023-08-30T12:30:05.7200Z
5 Min

Frau Schaper, US-Präsident Barack Obama hatte 2009 in Prag die Vision einer atomwaffenfreien Welt beschworen. Wie steht es aktuell um die Abrüstung der nuklearen Arsenale?

Obamas Prager Rede hat hoffen lassen. Realisiert wurde aber nichts. Im Gegenteil: Die Beziehungen zu Russland sind schlechter und schlechter geworden. Das Thema kernwaffenfreie Welt spielt aktuell keine Rolle mehr in der Weltpolitik.

Das klingt nicht sehr optimistisch.

In Abrüstungsfragen gibt es immer ein Auf und Ab. In den 1990ern gab es beispielsweise große Hoffnungen, die auch von Präsident Bill Clinton und dem russischen Präsidenten Boris Jelzin genährt wurden. Sie zeigten sich etwa offen gegenüber Ideen, auch die eigentliche Vernichtung von nuklearen Sprengköpfen verifizieren zu lassen. Bisher wird nur verifiziert, ob die Sprengköpfe von ihren Trägern entfernt werden. Was danach passiert, etwa ob die Sprengköpfe gelagert oder vernichtet werden, wird nicht überprüft. Schwere Rückschläge gab es dann aber unter der Regierung von US-Präsident George W. Bush. Er kündigte den ABM-Vertrag auf. Das war ein ganz fataler Fehler und hat die Russen frustriert und ernüchtert. Damit begann der Niedergang der Entspannung. Aber auch von der Verifikation hielt die damalige Regierung gar nichts. Trotzdem gibt es in der wissenschaftlichen Szene und auch bei einigen Entscheidungsträgern weitere Überlegungen, wie man bei der Abrüstung vorankommen könnte.

Was muss passieren?

Es müssen von wissenschaftlicher Seite Projekte angegangen werden, um Lösungen zu präsentieren, wenn sich eines Tages die politische Stimmung wieder dreht. Dafür gibt es ein historisches Beispiel. Bereits in den 1950ern wurde ein Verbot für Atomwaffentests gefordert. Das galt lange als völlig unrealistisch. Trotzdem wurde eine internationale Wissenschaftlergruppe mit der Untersuchung beauftragt, wie man einen Teststopp verifizieren könnte, etwa durch die Messung und Analyse von Bodenerschütterungen. Dann drehte sich der Wind und während der Verhandlungen zum Teststopp-Vertrag in den 1960ern konnten fertige Lösungen aus der Tasche gezogen werden. So könnte es auch bei der Abrüstungsfrage weitergehen.

Und auf politischer Ebene?

Trotz aller Widrigkeiten ist die internationale Kooperation wirklich wichtig. Der Dialog muss weitergeführt werden. Das wurde auch schon während des Kalten Krieges gefordert - und hat letztlich auch mit dazu beigetragen, den Konflikt zu beenden. Es gibt auch auf beiden Seiten vernunftbegabte Leute, die das ähnlich sehen. Aber es gibt auch Hardliner, die sich nach alter Größe sehnen und von Dingen wie Verifikation gar nichts halten, weil das Internationale Verpflichtungen sind. Das können wir uns in Deutschland kaum vorstellen, weil wir so dermaßen in EU und internationale Verträge eingebunden sind und damit hervorragend leben. Aber ein Staat in dem das so verinnerlicht ist wie hier, ist eigentlich eher selten. Das muss man wissen.

Es gibt - Nordkorea mitgezählt - neun Atommächte. Immer wieder gibt es die Sorge, dass weitere Länder Atomwaffen anstreben. Ist das so einfach möglich?

Es ist möglich, es ist aber sehr schwierig, dabei unentdeckt zu bleiben. Die Internationale Atomenergiebehörde überwacht zum Beispiel die zivilen Kernenergieanlagen, um geheime Abzweigung oder Produktion von Materialien zu entdecken. Wenn etwa, ganz hypothetisch, die Urananreicherungsanlage in Gronau heimlich umgebaut würde, um Bombenbrennstoff herzustellen, wäre das unentdeckt nicht möglich. Anders ist das beispielsweise in Nordkorea, das die Kontrolleure rausgeschmissen hat. Da ist es natürlich unklar, wie viel Anreicherung jetzt genau läuft. Es gibt aber Methoden, um die Produktion und auch Tests von außen zu entdecken.

Der technische Aufwand ist immens, wie kommen solche Länder an das Knowhow und die Technik?

Bei den historischen Fällen Irak und Iran stand ein geheimes Netzwerk um den pakistanischen Ingenieur Abdul Kadir Khan dahinter. Der hat nicht nur das pakistanische Atomprogramm aufgebaut, sondern auch noch ein Geschäft daraus gemacht, andere Länder heimlich zu beliefern. Auch Firmen aus Deutschland, der Schweiz oder Belgien waren beteiligt. Das Netzwerk flog dann auf.

Gab es Konsequenzen?

Die deutschen und europäischen Exportkontrollen wurden reformiert und das Strafrecht verschärft. Dabei mitzumachen ist nun hochkriminell und kein Kavaliersdelikt mehr. Da sind wir auf einem richtig guten Weg. Das funktioniert aber nur in Demokratien und nicht in autoritären Drittstaaten. Dafür braucht es die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, auch der Geheimdienste.

Die Iraner haben zugestimmt, ihr Atomprogramm unter internationale Kontrolle zu stellen. So soll ihnen der Weg zur Bombe versperrt bleiben. Wie beurteilen sie dieses Abkommen?

Ich begrüße dieses Abkommen sehr. Die Iraner haben sehr viele Bedingungen erfüllt, die sie vorher kategorisch abgelehnt hatten. Sie begrenzen allerlei technische Aktivitäten und Anreicherungsvorgänge. Sie betreiben weiter ihr ziviles Atomprogramm, aber sie können nicht mehr heimlich viel mehr als das machen. Wir würden das sofort bemerken, denn die Kontrollen sind sehr intensiv geworden. Das Abkommen läuft zehn Jahre und die Hoffnung ist, dass in diesen zehn Jahren sich politisch so viel ändert im Iran, dass sie in den Kreis der einigermaßen zivilisierten Nationen aufgenommen werden und mögliche geheime Kernwaffenpläne begraben. Es gibt ab und zu Kritiker, vor allem aus den USA und Israel, die sagen, dass das Abkommen nicht weit genug gehe und die Iraner wieder mit dem Waffenprogramm anfangen könnten. Das trifft aber auch auf andere Länder zu.

An welche Länder denken Sie dabei?

Darüber möchte ich nicht spekulieren. Klar ist aber, dass Länder, die uns heute als zivilisiert erscheinen, die Welt schnell mit einer fatalen politischen Entwicklung überraschen könnten. Man hat irgendwann immer ein schwarzes Schaf und man wird auch nicht verhindern können, dass so ein schwarzes Schaf Technologie erbt. Es funktioniert aber auch andersherum: Länder wie Südafrika, Brasilien oder Argentinien waren früher Sorgenkinder. Dort haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. Auch ein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) zeigte sich einst offen für die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik,...

...die aber nicht kam...

Letztlich kann man das Problem der Verbreitung von Atomwaffen nicht nur technisch lösen, sondern es ist immer eine Kombination aus Technik, die nur in Verifikation und Transparenz bestehen kann, und Politik. Der Nichtverbreitungsvertrag von 1968 zum Beispiel zielte politisch auf Deutschland und Japan, entwickelte Industrienationen, die es sich nehmen ließen, weitere Technologien zu entwickeln. Denen hat die Welt damals nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges noch nicht getraut. Dieser Vertrag hat uns in Deutschland die Atomwaffe erspart und unsere Generation kann dafür zutiefst dankbar sein, auch wenn es mancher früher möglicherweise anders gesehen hat.

Das Gespräch führte Sören Christian Reimer.

Annette Schaper ist promovierte Physikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Sie forscht unter anderem zu Rüstungskontrolle und Abrüstung.