Piwik Webtracking Image

Philosophie : »Riskante Vorleistung«

Ideengeschichte des Vertrauens im politischen Denken

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
3 Min

Ohne Vertrauen ist kein Staat zu machen, jedenfalls kein moderner: Zu diesem Schluss kommt, wer sich die Geschichte des Begriffs im politischen Bereich und die neuzeitlichen Demokratien anschaut. In den modernen Verfassungsstaaten ist Vertrauen Politikwissenschaftlern wie Gary S. Schaal zufolge die "Mikrofundierung jeder Gesellschaft"; sie ist die "diffuse Unterstützung" der Bürger, die es für den Bestand von Demokratien braucht.

Das war nicht immer so: Im Mittelalter gründete politische Herrschaft auf Gott, sie wurde als gegeben hingenommen und nicht hinterfragt. Schon damals ging es nicht ohne Vertrauen: Auf den himmlischen Vater, der die Welt so eingerichtet hatte, wie sie war. Auch im Absolutismus gab es in Sachen politischer Herrschaft keine Wahl - dem Monarchen zu vertrauen, war keine freie Entscheidung, da es zu ihm ohnehin keine Alternative gab.

Ende des Absolutismus Doch mit dem Ende des Absolutismus gewannen die Bürger mehr und mehr Autonomie auch im politischen Bereich - und das Vertrauen in die politische Herrschaft musste Gestalt annehmen. Die ersten politikwissenschaftlichen Ideen dazu kamen aus England, wo der Absolutismus in der "Glorreichen Revolution" zuerst beendet wurde. So entwarf der Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes die Idee eines "Naturzustandes": Eines gesellschaftlichen Daseins, in dem der Mensch des Menschen Wolf ist und in Angst, Misstrauen und Furcht lebt. Dieser Zustand, so Hobbes, könne nur überwunden werden durch die Übertragung der Macht auf einen Souverän, der die Menschen dafür im Gegenzug voreinander schütze. Der Übergang vom Naturzustand zum Staat basiert auf Vertrauen, der nach dem Soziologen Niklas Luhmann "riskanten Vorleistung", von einem anderen Gutes zu erwarten, ohne sich dessen sicher sein zu können.

Auf Zeit verliehen Weiterentwickelt wurden diese Gedanken von John Locke, dem geistigen Vater des Liberalismus. Er skizzierte einen Staat, der auf legitimer Herrschaft beruhen sollte und in dem Volk und Regierung einen Gesellschaftsvertrag schließen. In ihm vertrauen die Bürger darauf, dass die Regierung ihre Macht nicht missbraucht, während die Regierung darauf vertraut, vom Volk unterstützt zu werden. Politische Macht wird damit zu einer Sache, die im guten Glauben auf Zeit verliehen wird - und wieder entzogen werden kann. Denn Locke sprach einerseits dem Staat die Befugnis zu, Recht zu setzen und Verstöße dagegen zu sanktionieren. Andererseits hatte ihm zufolge das Volk auch ein Recht auf Widerstand, wenn der Staat seiner Pflicht, die Rechte seiner Bürger zu schützen, nicht nachkommt. Das Vertrauen wandelte sich damit in der politischen Sphäre von einem individuellen Verhältnis zwischen zwei Menschen hin zu einem Akt, der gegenüber Kollektiven und Institutionen aufgebracht werden musste.

Vertrauen manifestierte sich schließlich in den Verfassungen moderner Staaten - und ging mit geänderten Tugendanforderungen einher: Wurde früher von den Menschen ein tugendsames Leben verlangt, galt es nun als staatliche Pflicht, moralisch und rechtlich einwandfrei zu handeln. Zugleich sollten die Bürger nicht in Vertrauensseligkeit verharren, sondern ihre Regierung kontrollieren. Diesen Ausgleich zwischen "Check und Balances" schrieben etwa im 18. Jahrhundert die "Federalist Papers", fest, die Grundlage der föderalen Ordnung der USA. Damit war die Grundlage der Regierung Vertrauen, ihr Korrektiv bildete die Kontrolle durch das Wahlrecht.

Dabei erhalten in einer repräsentativen Demokratie wie der Bundesrepublik die gewählten Volksvertreter einen Vertrauensvorschuss auf Zeit, in der sie quasi stellvertretend für die (übrigen) Bürger diese Kontrollfunktion gegenüber der Regierung ausüben - die wiederum vom Vertrauen der Volksvertretung abhängig ist (siehe Beitrag oben).

Die Autorin lebt als

freie Journalistin in Dresden.