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NACHRICHTENDIENSTE : Schlapphüte in der Vertrauenskrise

Die Skandale um die NSU-Mordserie und die NSA-Abhörpraxis haben das Ansehen von Verfassungsschutz und BND erschüttert

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
3 Min

Den Sicherheitsbehörden "vertraue ich nach wie vor", meint Clemens Binninger (CDU). Doch das könne er nur, wenn er sie auch wirkungsvoll kontrolliere, betont der Vorsitzende des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses, der sich erneut mit dem Versagen von Verfassungsschutz und Polizei bei der dem NSU-Trio zugerechneten Mordserie herumschlägt. Petra Pau, Sprecherin der Linken in beiden NSU-Ausschüssen, sieht bei den Hinterbliebenen der Opfer "das Vertrauen in den Rechtsstaat tief erschüttert".

Als Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, der das Ausspähen des Datenverkehrs deutscher Bürger durch den US-Geheimdienst und die Verwicklung des Bundesnachrichtendienstes (BND) in diese Affäre erhellen soll, kritisiert Konstantin von Notz eine "massive Schwächung des Vertrauens in unseren Rechtsstaat" als Folge unzureichender Aufklärung durch die Regierung.

Die Geheimdienste sind in einer Vertrauenskrise. Zum einen konnten die Sicherheitsbehörden die dem NSU angelasteten Attentate nicht unterbinden. Zum anderen blieben Bürger, Unternehmen und selbst die Kanzlerin dem Auskundschaften durch die NSA schutzlos ausgeliefert. Fragwürdig mutet dabei die Rolle des BND an, der sogar die EU und Regierungen von Partnerländern abhören ließ sowie auf unklare Weise mit der NSA kooperierte.

Bei Bürgern und Wirtschaft, sagt Hans-Christian Ströbele (Grüne), belasteten die NSA-Enthüllungen "das Vertrauen in die Infrastruktur Internet". Aus Sicht Christian Fliseks, SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, wird auch das Vertrauen zwischen Legislative und Exekutive wegen des restriktiven Verhaltens der Regierung bei den Aufklärungsbemühungen der Abgeordneten auf eine harte Probe gestellt.

Protest im Internet Als Indiz für den Vertrauensverlust können die Proteststürme in sozialen Internetnetzen gegen die Schlapphüte gelten. In seinem Wahlkreis hat Flisek indes beobachtet, dass sich 80 Prozent der Leute kaum für die Krise der Geheimdienste interessieren. 20 Prozent beschäftigten sich hingegen sehr mit diesem Problem, von denen wiederum die Hälfte in der Kritik an Nachrichtendiensten "ihr Thema schlechthin gefunden hat".

Zentral für Flisek ist die Erneuerung des Vertrauens in BND und Verfassungsschutz. Dreh- und Angelpunkt sind für Koalition wie Opposition "Ausweitung und Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle", so André Hahn (Linke). Je mehr Rechte die Dienste erhielten, betont Flisek, "desto effizienter muss die parlamentarische Aufsicht werden".

Zwei neue Gesetzesvorhaben (18/9040; 18/9041) sollen es richten. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) erhält einen Bevollmächtigten, der diese Kommission schlagkräftiger machen soll. Zum andern soll ein mit drei hohen Juristen besetztes Gremium die Auslandsaufklärung des BND stärker überwachen. Zudem soll das Ausspähen des internationalen Datenverkehrs oder das Ausforschen von EU-Staaten und EU-Institutionen eingegrenzt, durch eine Rechtsgrundlage aber formell legitimiert werden.

Die Koalition hofft, so wieder Vertrauen in die Nachrichtendienste zu schaffen. Deren Arbeitsfähigkeit bleibe gewahrt, meint der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer, man bewege sich fortan "auf rechtlich sicherem Grund". Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) spricht von der "bedeutendsten Reform seit Jahrzehnten".

Der Opposition gehen die Änderungen hingegen nicht weit genug. Die Hürden für das Ausspähen in der EU etwa seien "lächerlich gering", moniert Hahn. Die Grünen beklagen, dass weite Bereiche geheimdienstlicher Tätigkeit dem PKGr entzogen würden. Überdies kritisiert die Opposition, dass Reformansätze etwa durch die Ausweitung des Datenaustauschs mit Diensten im Ausland konterkariert würden.

Binninger unterstreicht im Übrigen das Ziel, im zweiten NSU-Ausschuss endlich alles zur Mordserie ans Tageslicht zu bringen: Er wolle nicht, dass noch über "Jahre Zweifel wuchern". Mythen können in der Tat das Vertrauen in Geheimdienste dauerhaft untergraben. Irene Mihalic, Grünen-Obfrau im zweiten NSU-Gremium, bezeichnet den Auftrag von Untersuchungsausschüssen als "Aufklärung, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen".

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.