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EU : Angst vor dem Dominoeffekt

Das Vertrauen in die Gemeinschaft nimmt überall ab

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
4 Min

Auch Wochen nach dem Brexit-Votum der Briten bleibt der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders euphorisch. Immer wieder kommt er auf das Thema EU-Austritt zurück - und lässt sich dabei auch von Zahlen über die negativen Folgen des Brexit für die niederländische Wirtschaft nicht schrecken. "Der Brexit ist ein Segen für die Briten und ein Nexit würde ein Fest für die die Niederlande sein", antwortete Wilders im August auf Vorwürfe aus der linksliberalen D66-Partei, er spiele mit der wirtschaftlichen Zukunft der Niederlande. "Dass das kurzfristig zu Unsicherheit führt, mit entsprechenden Folgen für die Wirtschaft, ändert daran gar nichts", führte er weiter aus. Die Kontrolle über das eigene Land, das eigene Geld und die eigenen Grenzen würden das Land auch ökonomisch stärker machen.

Wilders ist fest entschlossen, den Briten aus der EU heraus zu folgen oder zumindest ein Referendum darüber abzuhalten, sollte er im kommenden Frühjahr 2017 die Wahlen gewinnen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, wie ein Blick auf die Umfragen in den Niederlanden zeigt.

Wird der Brexit also doch noch zum Initial für eine regelrechte Austrittswelle? Folgen nun Nexit, Auxit, Danexit, Czexit oder gar der Beneluxit - wie die "taz" jüngst ironisch anmerkte? Fakt ist: Die Entfremdung der Bevölkerung vom Projekt der Europäischen Union ist kein britisches Phänomen. Überall in Europa werden die Stimmen der Kritiker lauter, mehren sich diejenigen, die sich am liebsten ganz aus der EU verabschieden würden.

Das "Pew Research Center" befragte nach dem Brexit-Votum Bürger in zehn EU-Ländern. Das Ergebnis: Immer mehr Bürger wollen die Rolle der Nationalstaaten stärken. In Deutschland, Schweden, den Niederlanden, Ungarn, Italien, Frankreich, Polen und Spanien sprachen sich zwischen 35 und 47 Prozent dafür aus, in Großbritannien und Griechenland mehr als 60 Prozent. Nur eine knappe Mehrheit aller nicht-britischen Befragten - 51 Prozent - beurteilte die EU positiv, 47 Prozent erteilten ihr ein negatives Zeugnis.

Die Zunahme der ablehnenden Haltung korrespondiert mit den beiden großen Krisen der vergangenen Jahre: der Eurokrise und der Flüchtlingskrise, auf die die Europäische Union aus Sicht vieler Europäer keine überzeugende Antwort gegeben hat. Tatsache ist aber auch, dass es in vielen EU-Staaten schon vorher an Vertrauen in die EU gemangelt hat. Seit Jahren spielen euroskeptische Parteien etwa in den Niederlanden, Österreich, Frankreich, Schweden, Ungarn oder Tschechien eine wachsende Rolle. Die meisten eint die Ablehnung von Entwicklungen, die unter den Schlagwörtern Globalisierung, Liberalismus, Multikulti und Feminismus zusammengefasst werden können. Neben Wilders in den Niederlanden gehören zu dieser Gruppe der von Marine Le Pen geführte Front National in Frankreich ebenso wie die österreichische FPÖ, die Schwedendemokraten oder die ungarische Fidesz-Partei von Viktor Orban. Es gibt aber auch auf der linken Seite EU-Gegner, vor allem in Skandinavien. Die schwedische Linkspartei oder die dänische Einheitsliste betrachten die EU als undemokratisches neoliberales System, das Arbeitnehmer- und Umweltinteressen vernachlässigt. Auch der französische Präsidentenanwärter der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, gehört zu der Gruppe.

Der Wunsch, aus der EU auszutreten, ist in den verschiedenen Ländern aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. So ist in den östlichen EU-Staaten, selbst im besonders EU-kritischen Tschechien, nicht damit zu rechnen, dass die Regierungen ein Referendum nach britischem Vorbild durchführen - sie können sich einen Austritt wirtschaftlich schlicht nicht leisten. Nicht einmal die rechtsextreme ungarische Oppositionspartei Jobbik fordert momentan einen Austritt. Die "Osteuropäer" dürften nach dem Brexit-Votum vielmehr versuchen, die EU von innen heraus zu verändern.

Weniger Kompetenzen Dänemark ähnelt Großbritannien in vielerlei Hinsicht. Das Land hat mehrfach in Referenden gegen eine starke Einbindung in die EU gestimmt. Es hat Ausnahmen von den Verträgen ausgehandelt und nimmt deshalb an vielen EU-Politiken nicht teil. Die rechte Dänische Volkspartei, im Parlament zweistärkste Kraft, hat sich für ein Danexit-Referendum ausgesprochen. Dabei will die Partei grundsätzlich, dass Dänemark in der EU bleibt. Sie möchte vor allem deren Kompetenzen weiter beschneiden. Aufmerksam wird die Volkspartei deshalb beobachten, was für ein Modell die Briten für ihr zukünftiges Verhältnis zur EU finden (siehe Text unten).

In Österreich haben sich sowohl FPÖ-Parteichef Christian Strache als auch Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer für ein "Auxit"-Referendum binnen Jahresfrist ausgesprochen. Allerdings nur unter zwei Bedingungen: wenn die EU sich als Reaktion auf den Brexit für mehr Zentralismus entscheidet oder Länder wie die Türkei tatsächlich die Möglichkeit eines EU-Beitritts einräumt.

Am größten aber wird die Gefahr eines Austritts derzeit in Frankreich gesehen. 40 Prozent wollen dort laut Umfragen bei der Präsidentenwahl im kommenden Frühjahr für einen der diversen Europa-Gegner stimmen. Marine Le Pen hat mehrfach versprochen, im Fall ihrer Wahl eine Volksabstimmung abzuhalten. Und auch der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy von den Republikanern hat ein Referendum in Aussicht gestellt. Dass die Franzosen dann wie schon 2005, als sie den EU-Verfassungsvertrag ablehnten, "Nein" zur EU-Mitgliedschaft sagen, gilt als realistisch. Dann, so heißt es in den EU-Institutionen einhellig, müsse man sich über weitere Dominoeffekte keine Gedanken mehr machen. Dann wäre die EU am Ende.