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lebensmittelbuch : Klarheit und Wahrheit

Bei der Findung von Standards der Ware soll mehr Transparenz herrschen

18.01.2016
2023-11-08T12:41:31.3600Z
4 Min

Kalbsleberwurst, die zu 85 Prozent aus Schweinefleisch besteht. Zitronenlimonade ohne jeden Anteil an Zitronensaft. Oder Seelachs, der mit Lachs nichts zu tun hat. Das alles klingt reichlich absurd, entspricht aber durchaus den Standards, die die Deutsche Lebensmittel-Kommission in ihrem Deutschen Lebensmittelbuch setzt. Doch damit soll nun Schluss sein. Darin sind sich die Bundesregierung und sämtliche Fraktionen des Bundestags einig: Das Deutsche Lebensmittelbuch, bei dem es sich um eine Sammlung von Leitsätzen handelt, in denen über 2.000 Lebensmittel und deren Beschaffenheit beschrieben werden, muss neu gefasst werden und die Lebensmittel-Kommission, die es erstellt, benötigt eine Reform.

Wie tiefgreifend diese sein soll ist allerdings umstritten. Sowohl der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Antrag (18/7238) als auch die vom Bundesernährungsministerium vorgelegten Eckpunkte überzeugen die Opposition nicht, wie sich bei der Debatte am vergangenen Donnerstag zeigte. Noch mehr als die Inhalte empörte Linke und Grüne aber das Vorgehen der Koalitionsfraktionen, die ihren eigenen Antrag zur sofortigen Abstimmung stellten - ohne weitere Beratung im Agrarausschuss. Und auch die Abwesenheit des zuständigen Bundesministers Christian Schmidt (CSU), der einen Termin auf der Grünen Woche wahrnahm, stieß auf Kritik.

Eine sofortige Abstimmung sei völlig daneben, obwohl sich in dem Antrag Ansätze fänden, die unterstützenswert seien, befand Karin Binder (Die Linke). Der Antrag widme dem Transparenzgedanken bei der Arbeit der Lebensmittel-Kommission zu wenig Raum, bemängelte Nicole Maisch (Bündnis 90/Die Grünen) und kritisierte zugleich Agrarminister Schmidt, dem sie - nicht nur wegen seiner Absenz - Arbeitsverweigerung vorwarf.

Optimistischer zeigte sich die Koalition. Die Reform werde zu mehr Klarheit und Wahrheit für die Verbraucher führen, zeigte sich Gitta Connemann (CDU), Fraktionsvize der Union und bis vor kurzem noch Vorsitzende des Agrarausschusses, überzeugt. Elvira Drobinski-Weiß (SPD) sprach von einer guten Vorlage, "um eine neues Kapitel in der Geschichte der Lebensmittelkommission zu schreiben".

Die Reform des Lebensmittelbuches und der Lebensmittel-Kommission werde eher heute als morgen benötigt, sagte Gitta Connemann. Die Leitsätze seien zum Teil veraltet, zum Teil hätten sie "mit der gängigen Verbraucherauffassung nichts zu tun", befand sie. Nicht gerüttelt werden soll ihrer Aussage nach an der paritätischen Zusammensetzung der Kommission. Benötigt würden aber klare Ziele, straffere Verfahren und mehr Transparenz. "Eines darf nicht entstehen: der Eindruck von Geheimniskrämerei. Das führt zu Misstrauen", warnte sie und sprach sich dafür aus, die Internetplattform www.lebensmittelklarheit.de stärker in die Arbeit der Kommission einzubeziehen.

Fehlende Verbindlichkeit Das Motto Wahrheit und Klarheit habe bei der Kommission bislang nicht gegolten, beklagte Karin Binder. Außerdem hätten die Vertreter der Lebensmittelwirtschaft die Arbeit der Kommission, der ein Konsensprinzip auferlegt worden sei, ständig unterlaufen, in dem sie alles abgelehnt hätten, "was eine ehrliche Verbraucheraufklärung beinhaltet". Zwar hätten sich die Verbraucher auf der erwähnten Internetplattform beschweren können, doch habe das die Kommission nicht interessiert, sagte die Linken-Abgeordnete. Was den vorgelegten Antrag angeht, so teile sie vieles an der Analyse. Es fehle jedoch an verbindlichen Forderungen, kritisierte sie. Ihrer Ansicht nach sollten auch andere Ideen geprüft werden. Etwa den Vorschlag der Verbraucherschutzorganisation foodwatch, die Lebensmittel-Kommission aufzulösen und die Verantwortung für die Festlegung der Leitsätze einer Bundesbehörde zu übergeben.

Elvira Drobinski-Weiß verwies auf die Vereinbarung des Koalitionsvertrages, wonach sich künftig die Leitsätze im Deutschen Lebensmittelbuch klar an den Erwartungen der Konsumenten orientieren müssten. "Damit kommt der Verbraucherforschung bei der Erarbeitung der Leitsätze eine ganz wichtige Funktion zu", sagte Drobinski-Weiß. Derzeit gebe es aber in der Gruppe der Wissenschaftler der Kommission niemanden, der systematisch hinterfragt, was die Verbraucher tatsächlich mit einer bestimmten Produktbezeichnung verknüpfen, bemängelte sie.

"Wir müssen weg von der staatlich abgesicherten Verbrauchertäuschung", betonte Nicole Maisch. Künftig müsse die Bezeichnung des Lebensmittels der Verbrauchererwartung entsprechen, forderte die Grünenabgeordnete. Zudem müsse in der bislang geheim tagenden Kommission Transparenz herrschen, damit nachvollziehbar ist, wer welches Interesse vertreten hat. Maisch attestierte der Großen Koalition, durchaus gute Vorschläge gemacht zu haben. So etwa vor einem Jahr, als unter anderem gesündere Lebensmittel im Supermarkt und eine Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung gefordert worden seien. "Davon ist aber nichts umgesetzt worden", kritisierte Maisch und warf Minister Schmidt Arbeitsverweigerung vor. Ein weiterer Beleg dafür sei, dass der Gesetzentwurf zum Lebens- und Futtermittelgesetzbuch "seit Monaten auf dem Ministerschreibtisch herumgammelt".

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesagrarministerium, Maria Flachsbarth (CDU), sprach über Eckpunkte der seitens ihres Ministeriums angedachten Reform. So sei unter anderem eine Straffung der Strukturen vorgesehen. Gleichwohl habe sich die Grundstruktur bewährt und soll daher ebenso wie das Konsensprinzip erhalten bleiben. Bei der Aktualisierung der Leitsätze, so die Staatssekretärin weiter, sollen auch Erkenntnisse aus dem Internetportal einfließen. Zudem sollen die Leitsätze "in verständlichem Deutsch formuliert werden".