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Parlamentarisches Profil : Der Mediziner: Karl Lauterbach

14.11.2016
2023-08-30T12:30:10.7200Z
3 Min

Abwegig!" Am Bundestagspult übte SPD-Vizefraktionschef Karl Lauterbach Kollegenschelte. Wobei er sich keineswegs mit einem Abgeordneten anlegte. Der Professor knöpfte sich einen Mediziner vor. Es ging in der Debatte darum, ob an einem nicht einsichtsfähigen Patienten, etwa einem Demenz-Kranken, Arzneimittelstudien durchgeführt werden dürfen, von denen er selbst gar nicht profitiert, aber die Gruppe der Betroffenen ("gruppennützig").

Abwegig: Das galt einem Sachverständigen. Der habe bei einer Anhörung kundgetan, dass Studien im frühen Demenzstadium ausreichten, bei fortgeschrittener Krankheit also gar nicht notwendig seien. Lauterbach ironisch: Dann wäre Demenz die einzige Erkrankung, bei der es "in späteren Stadien keine Veränderungen mehr" gebe. Bündig beschied er: "Es ist bestens bekannt, dass die Demenz durch verschiedene Stadien führt."

Was treibt den 53 Jahre alten doppelten Lauterbach um? "Mich interessiert Politik und die Wissenschaft", erklärt er: "Ich verfolge seit Jahrzehnten den wissenschaftlichen Fortschritt, beschäftige mich im Wesentlichen mit den Details bestimmter Erkrankungen, wie sie zustande kommen, wie man sie verhindern kann, wie sie behandelt werden." Das sei für ihn eine "spannende Kombination". Nämlich: "Wie funktioniert einerseits der Körper, welche Risikofaktoren gibt es und wie gelingt auf der anderen Seite die politische Verbesserung der Gesundheitssysteme." Doch klar sei: "Ich bin heute 100 Prozent Politiker, nicht aktiver Wissenschaftler. Dennoch lese ich auch täglich die neuen Studien."

In der Demenz-Debatte ging es um drei Anträge: Weiter restriktiv - der eine. Die beiden anderen sahen eine "Vorabverfügung" in Zeiten noch vorhandener Einsichtsfähigkeit vor. Der Unterschied: Soll eine ärztliche Beratung dabei verpflichtend sein oder nicht. Lauterbach zählte zu denen, die sich mit ihrem Kompromissvorschlag durchsetzen: Vorabverfügung mit Arzt-Assistenz.

Auf die Auseinandersetzung im Parlament blickt er diplomatisch zurück: "Es war tatsächlich eine Situation, in der es keine alleinig richtige Entscheidung gab. Wir haben uns alle sehr intensiv mit der Sachlage auseinandergesetzt, und es gab gute Gründe für alle drei Anträge, sodass jeder, der darüber abgestimmt hat, in gewisser Weise richtig entschieden hat."

Und ja: Alle Argumente seien "in gewisser Weise nachvollziehbar": "Ich verstehe auch das hohe Schutzbedürfnis. In Anbetracht der hohen ethischen Standards, die berücksichtigt werden müssen, haben wir das Sicherheitsniveau durch einen vorgeschriebenen Arztbesuch auch erhöht." Aus einem macht er indes kein Hehl: "Allerdings glaube ich auch nicht, dass wir, wenn wir die gruppennützige Demenzforschung nicht zugelassen hätten, wesentlich von der internationalen Forschung abgekoppelt wären." Er müsse "der Ehrlichkeit halber" zugeben: "Die Studien, um die es hier geht, machen nur einen kleinen Teil der Studien aus."

Das sagt der Karriere-Mediziner, der unter anderem an der Harvard-Universität in Boston studierte. 1998 wurde Lauterbach Direktor des neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Kölner Universität. Von 1999 bis 2005 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Dann war damit Schluss, weil er endgültig auf den Politik-Weg einschwenkte: Einzug in der Bundestag.

An der Hochschule ist er seither beurlaubt. Urlaub dort wirklich bis zum Ruhestand? "Mir ging es immer darum, dass ich die Erkenntnisse, die ich in der Wissenschaft gewonnen habe, politisch umsetze. Das war das Ziel und das funktioniert auch. Ich kann meine wissenschaftliche Arbeit zum Thema meiner politischen Arbeit machen." Um dann unmissverständlich hinzuzufügen: "Auf jeden Fall bleibe ich in der Politik. Sie ist mein Beruf und meine Leidenschaft." Er wird ihr wohl weiter im Bundestag frönen können. Im Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mülheim eröffneten die Delegierten ihm soeben die Chance, 2017 sein Direktmandat zu verteidigen.