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verkehr : Vorteil Straße

Nach Ansicht mehrerer Experten führt der Bundesswegeplan 2030 zu einer Ungleichbehandlung von Straßen- und Schienenprojekten zu Ungunsten der Schiene

14.11.2016
2023-08-30T12:30:10.7200Z
4 Min

Bei der Opposition geht der Daumen runter - die Koalition jubiliert hingegen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) (18/9350) und die dazu gehörenden drei Ausführungsgesetze (Straße: 18/9523, Schiene: 18/9524, Wasser: 18/9527) sorgen für unterschiedliche Reaktionen bei Verkehrspolitikern wie die Debatte zur ersten Lesung Ende September zeigte. Aber auch Experten aus Wissenschaft und Praxis sind uneins. Bei insgesamt vier öffentlichen Anhörungen innerhalb der vergangenen Woche haben sie sich mit den Vorlagen beschäftigt. Dabei fanden sich Fürsprecher ebenso wie Kritiker. Und auch Mahner, die davor warnten, dem BVWP mehr an Verantwortung zuzuweisen als er tragen kann.

Erhalt vor Neubau Lob von allen Seiten gab es für den gewählten Ansatz "Erhalt vor Aus- und Neubau". 142 Millionen Euro und damit etwa 70 Prozent der Investitionen sind für Erhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Aus Sicht des Bundes für Umwelt - und Naturschutz (BUND) ist dies jedoch der einzige Punkt, bei dem die von der Bundesregierung gesetzten Ziele erreicht werden können. Anders als angekündigt enthalte der BVWP keine klare Finanzierungsperspektive, führe nicht zu einer Engpassbeseitigung und habe nur eine Pseudo-Öffentlichkeitsbeteiligung erfahren, kritisierte BUND-Vertreter Werner Reh.

Stefan Gerwens vom Verein Pro Mobilität sah das anders. Das Zielsystem verbinde in geeigneter Weise verkehrs-, wirtschafts- und umweltpolitische Ziele, sagte er. Auch Christoph Walther von der PTV Planung Transport Verkehr AG sprach von einer sehr guten Schwerpunktsetzung. Walther, der im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums den BVWP als Fachkoordinator begleitet hat, räumte zugleich ein, dass die sich aus dem BVWP ergebende Kohlendioxid-Bilanz, "numerisch nicht den derzeit diskutierten Klimazielen entspricht". Es handle sich allerdings um einen Infrastrukturplan, dessen Aufgabe es nicht sei, "die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu lösen". Vielmehr ist er laut Walther eine gute Basis, um ein Gesamtpaket zur Erreichung der Klimaziele zu schnüren.

Die zu hohen Erwartungen sind auch aus Sicht von Imke Steinmeyer von der Berliner Senatsverwaltung ein Grund für die in der öffentlichen Diskussion wahrzunehmende Unzufriedenheit. Mit dem BVWP sei ein Infrastrukturplan vorgelegt worden, "und keine verkehrspolitische Gestaltung".

Nutzen aus Zeitgewinn Im Verlauf der Diskussion über die konkreten Ausführungsgesetze gab es schließlich viel Kritik an dem Nutzen/Kosten-Faktor zur Beurteilung der Projekte. Der Nutzen aus Zeitgewinn habe bei der Berechnung eine dominierende Rolle gespielt, sagte Tobias Schönefeld vom Verkehrsplanungsbüro SVU Dresden. Bei der Bevölkerung vor Ort spielten hingegen Nutzen für die Umwelt, Entlastung von Lärm und Schadstoffen und die Verbesserung der örtlichen Rahmenbedingungen eine wichtigere Rolle. Verkehrsgutachter Wulf Hahn vom Unternehmen RegioConsult bemängelte, der sehr hoch angesetzte Nutzen der Reisezeitverkürzung führe erneut zu einer Bevorteilung der Straße gegenüber der Schiene. Umweltnutzen, die durch die Verlagerung auf ein Schienenprojekt entstehen könnten, seien hingegen auch bei diesem BVWP relativ niedrig angesetzt worden.

Dirk Flege vom Verein Allianz pro Schiene wies daraufhin, dass im Bereich der Straße durch diesen Ansatz "offenbar alles über den benötigten Nutzen/Kosten-Faktor eins gesprungen ist". Bei der Schiene hätten hingegen selbst unumstrittene Projekte wie der Rhein-Ruhr Express (RRX) Schwierigkeiten, den Faktor zu erreichen. "Hier muss man nochmal an die Methodik ran, weil das dem Verkehrsträger Schiene nicht gerecht wird", sagte er.

Enttäuscht über die Herausnahme von Projekten des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) aus dem BVWP zeigten sich Vertreter von Ländern und Kommunen. Dies sei auch nicht durch den Verweis zu rechtfertigen, man konzentriere sich auf großräumig wirkende Vorhaben, hieß es. Viele der hoch priorisierten Ortsumfahrungen auf der Straße hätten ebenfalls keine derartige großräumige Wirkung. Die "kommunale Familie", sagte Thomas Kiel vom Deutschen Städtetag, sei konkret von der Herausnahme betroffen, da sie in drei Bundesländern über Verbünde unmittelbar an der Finanzierung des SPNV beteiligt sei. Sein Kollege Hilmar von Lojewski forderte einen stärkeren Diskurs zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Es gebe Beispiele im Ausführungsgesetz für den Straßenbau, wo genau das Gegenteil dessen, was man auf kommunaler Ebene geplant hat, umgesetzt werden soll, kritisierte er.

Weniger Stau Hoffnung auf Staureduzierung verbreitete Henryk Bolik von der Ingenieurgruppe IVV, die an der Erstellung des BVWP beteiligt war. Wenn alle Maßnahmen zur Engpassbeseitigung realisiert würden, könne die Hälfte des derzeitigen Staus aufgelöst werden, lautete seine Prognose. Stefan Gerwens begrüßte die Verteilung der Mittel im Straßenbau: 69 Prozent für Autobahnen und 31 Prozent für Bundesstraßen. Das entspreche der Schwerpunktsetzung auf großräumig wirkende Vorhaben, sagte der Experte vom Verein Pro Mobilität. Autobahnen hätten auch deshalb einen hohen Stellenwert, weil die Staulängen deutlich zugenommen hätten. "Von daher ist es sehr sinnvoll, den Schwerpunkt auch auf die Engpassbeseitigung zu legen", sagte er.