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NSA-Ausschuss : Der heikle Zeuge

Die Opposition will den Whistleblower in Berlin vorladen, die Koalition sträubt sich dagegen

05.12.2016
2023-08-30T12:30:11.7200Z
4 Min

Es war Mittag, als sich vergangene Woche vor dem Europasaal des Paul-Löbe-Hauses ein Gewitter aus starken Worten entlud. "Offener Rechtsbruch", bullerte es. "Zynismus." "Trauerspiel". Vor den Mikrofonen standen Konstantin von Notz (Grüne) und Martina Renner (Linke), um ihrer Empörung Luft zu machen über den Verlauf, den soeben die Beratung des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag genommen hatte.

Den Zündstoff hatte erneut das Thema geliefert, das die Vertreter von Koalition und Opposition von Anbeginn entzweit, die Zeugenvernehmung des in Moskau weilenden Whistleblowers Edward Snowden. Grüne und Linke möchten Snowden einen Auftritt in Berlin ermöglichen. Die Bundesregierung und mit ihr die Vertreter der Koalition befürchten davon Misshelligkeiten für die deutsch-amerikanische Freundschaft. Sie möchten ungern in die Verlegenheit geraten, sich einem Auslieferungsbegehren der USA widersetzen zu müssen. Ihr Gegenvorschlag, Snowden nicht in Berlin, sondern in Moskau zu befragen, persönlich oder mittels einer Videoschaltung, hat bislang bei dem prominenten Zeugen, aber auch seinen deutschen Unterstützern keine Gegenliebe gefunden.

Umstrittener Richterspruch Diese wissen neuerdings den Bundesgerichtshof (BGH) auf ihrer Seite. Mit Beschluss vom 11. November hat eine zuständige Ermittlungsrichterin dem Ausschuss aufgegeben, "zumindest mehrheitlich" einem Antrag der Opposition zuzustimmen, dem zufolge die Bundesregierung aufgefordert werden soll, "unverzüglich" die Voraussetzungen für Snowdens Einreise und Vernehmung in Berlin zu schaffen. Bereits in der Vorwoche hatten Grüne und Linke freilich erleben müssen, dass die Koalitionsvertreter ungerührt vom Richterspruch ihren Antrag ein weiteres Mal von der Tagesordnung verbannten. Bereits damals hatten sie sich darüber erheblich echauffiert. Christ- und Sozialdemokraten ihrerseits kündigten Widerspruch gegen die Karlsruher Entscheidung an.

Kein Gericht dürfe sich anmaßen, frei gewählten Abgeordneten das Abstimmungsverhalten vorzuschreiben. Zudem habe der BGH das Kräfteverhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit in Untersuchungsausschüssen unzulässig verschoben. Bisher gilt, dass die Minderheit über die Benennung von Zeugen, nicht aber über das Verfahren ihrer Befragung entscheiden darf. Wenn der Spruch des BGH Bestand hätte, könnte künftig jede auf Krawall gebürstete Ausschussminderheit zum Beispiel beschließen, bayerische Zeugen nur noch auf der Zugspitze zu vernehmen, sinnierte der Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU).

Nun wiederholte sich die Szene aus der Vorwoche. Die Koalitionsvertreter schickten ihren Widerspruch nach Karlsruhe und beschlossen, den Antrag der Opposition erst zur Abstimmung zuzulassen, wenn der BGH abschließend entschieden hat. Draußen vor dem Saal entrüsteten sich die Unterlegenen. Der Zeuge Snowden werde hingehalten, das Recht der Mindeheit mit Füßen getreten, die Koalition spiele auf Zeit, treibe vorsätzliche Sabotage, ihre Vertreter hätten sich zu Bütteln der Regierung im Parlament hergegeben.

Dass sich nicht nur in Deutschland an Snowden die Geister scheiden, war anschließend in einer Anhörung britischer Geheimdienst- und Bürgerrechtsexperten zu erleben. Gehen wir finsteren Zeiten im Überwachungsstaat entgegen? Eher nein, meinten der Politologe Richard Aldrich und der Unabhängige Beauftragte für die Aufsicht über die Anti-Terror-Gesetzgebung, David Anderson. Eher ja, konterten die beiden anderen Sachverständigen, die Referentin für Politik und Datenschutz bei der Menschenrechtsorganisation "Liberty", Silkie Carlo, und der Bürgerrechtsanwalt Ben Jaffey.

Aldrich, der an der Universität Warwick internationale Sicherheitspolitik lehrt und hauptsächlich über Geheimdienste forscht, wies darauf hin, dass wir wohl erst am Anfang einer Entwicklung stehen, mit der der Datenverkehr und damit auch die Möglichkeit der Überwachung "exponentiell" anwachsen. Er sei deswegen aber nicht pessimistisch. Zwar werde sich der einzelne Bürger nur noch in eingeschränktem Maß auf den Schutz seiner Privatsphäre verlassen können. Zugleich seien aber auch Unternehmen und Behörden immer weniger in der Lage, ihr Handeln vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Anderson widersprach dem Eindruck, dass in Großbritannien eine Massenüberwachung stattfinde. Die Vorstellung, die Bevölkerung lebe unter vollständiger Kontrolle der Geheimdienste, sei lächerlich. Die reine Erfassung großer Datenmengen, wie in der Novelle des britischen Geheimdienstgesetzes vorgesehen, sei aber zur Kriminalitätsbekämpfung und Terrorabwehr sinnvoll. Dagegen kritisierte die Bürgerrechtsaktivistin Carlo, das Gesetz verschaffe den Behörden nie dagewesene Überwachungskompetenzen. Der Anwalt Jaffey beklagte dehnbare Formulierungen, die sich immer zum Nachteil der Bürger auslegen ließen.

Zwei Zeugen aus dem Bundesnachrichtendienst (BND) berichteten erneut von Wissenslücken und Kommunikationspannen. Vizepräsident Guido Müller beteuerte, er habe von Lauschangriffen des BND auf Ziele mit EU- und NATO-Bezug keine Ahnung gehabt und sich das auch nicht vorstellen können. Die frühere BND-Datenschutzbeauftragte H.F. wies darauf hin, dass unter Mitarbeitern lange Verwirrung geherrscht habe über Kriterien, um die politische Zulässigkeit einer Abhörmaßnahme zu bewerten. So habe eine schriftliche Weisung als so geheim gegolten, dass nicht einmal BND-Mitarbeiter sie zur Kenntnis nehmen durften.