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KULTURSCHUTZ : Die »kalte Enteignung« ist ausgeblieben

Der Vorwurf, mit dem neuen Gesetz stünden staatliche Eingriffe in den freien Kunsthandel unmittelbar bevor, hat sich nicht bewahrheitet

08.05.2017
2023-08-30T12:32:21.7200Z
4 Min

Bevor das neue Kulturgutschutzgesetz (KGSG) im vergangenen Sommer in Kraft trat, hatte es bereits eine heftige Debatte ausgelöst. Sie nahm mitunter hitzige Züge an, vor allem seitens der Gegner des Gesetzes, die zum Teil mit scharfen Begriffen agierten. Wobei anzumerken ist, dass es sich um die Novellierung eines bestehenden Gesetzes handelt, das lediglich präzisiert wurde. Nach der Zustimmung des Bundesrats gilt das KGSG in seiner aktuellen Fassung vom 1. August 2016. Seither ist es deutlich stiller darum geworden. Die Beruhigung mag vor allem daran liegen, dass bisher - soweit bekannt - kein einziger Fall eingetreten ist, der Argumenten wie dem der "kalten Enteignung" von Privatbesitz Nahrung gegeben hätte.

Um wesentliche der vorgebrachten Einwände gegen die KGSG-Novelle - etwa den des staatlichen Übergriffs auf Privateigentum - mit Fakten zu untermauern, müssten mindestens zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens müsste dem veräußerungswilligen Besitzer eines Kulturguts der Verkauf ins Ausland untersagt werden (sofern das Objekt dann auch dorthin verbracht werden soll). Und zweitens müssten für den Besitzer eines als "national wertvoll" eingestuften Objekts damit finanzielle Nachteile verbunden sein: Das heißt, der aktuelle Besitzer kann auf dem deutschen Binnenmarkt nur einen geringeren Preis dafür erzielen. Und/oder der deutsche Staat, sollte dieser das Kulturgut erwerben wollen, kann oder will ihm dafür keinen nach internationalen Maßstäben angemessenen Preis bezahlen. Insbesondere Letzteres wurde in der vorausgegangenen Debatte immer wieder vorauseilend unterstellt, allerdings, wo überhaupt, mit Beispielen gestützt, die noch auf das bisher ohnehin gültige Gesetz zurückgehen und auf die bestehende "Liste des national wertvollen Kulturguts".

Es steht außer Frage, dass auch Kulturgüter prinzipiell frei handelbare Waren sind und bleiben. An dieser Grundfeste des freien Warenaustauschs rüttelt aber auch die KGSG-Novelle nicht. Zumal sich doch erst eine Anzahl solcher eventuell betroffenen, weil als schützenswert identifizierten - und damit als für die Identität der Nation unabdingbar wichtig eingestuften - Objekte herauskristallisieren müsste, die älter als 75 Jahre sind und deren Wert mindestens 300.000 Euro beträgt - denn nur diese bedürfen einer Ausfuhrgenehmigung auch ins europäische Ausland. Mit massenhaften Exportverboten ist unter diesen Vorzeichen nicht zu rechnen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, dass die deutschen Museen, getragen vom Staat, den einzelnen Bundesländern, den Kommunen - und nicht zuletzt unterstützt von bürgerlichem Gemeinsinn und Mäzenatentum - vorbildliche Sammlungen zusammengetragen haben, nicht erst seit gestern und bis in die jeweils zeitgenössische Kunst hinein.

Hinzu kommt, dass als "national wertvoll" keineswegs nur gelten können muss, was nach den Kriterien des Kunstmarkts teuer ist. Das können durchaus auch Objekte sein, deren Wert sich nicht in pekuniären Kategorien messen lässt, sondern allein nach ihrer Bedeutung für das kulturelle Selbstverständnis einer komplexen nationalen Historie, die sich im europäischen Zusammenhang versteht.

Unstrittige Fälle Der insbesondere von einigen Vertretern des Kunsthandels vehement vorgetragene Vorwurf, der staatliche Eingriff in den freien Kunsthandel stünde unmittelbar bevor, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Dabei wurden immer wieder die Beispiele Frankreichs oder Englands angeführt, wo ein unterschiedlich praktiziertes Vorkaufsrecht des Staates gilt, das aber im KGSG nicht vorgesehen ist. In England können national wertvolle Kulturgüter im Handel vom Export für einen bestimmten Zeitraum zur staatlichen Mittelbeschaffung zurückgehalten werden, in Frankreich kann der Staat direkt, etwa nach einem an eine ausländische Privatperson in einer Auktion ergangenen Zuschlag, eingreifen, um sich das Objekt zu diesem Preis zu sichern. Beide Vorgehensweisen basieren auf zentralistischen Staatsgefügen. Sie sind für die Verkäufer eventuell von Vorteil, weil so ein Marktpreis zustande kommt (wobei die endgültige Bezahlung freilich dauern kann). Sie sind es indessen nicht für die potentiellen Käufer, die womöglich zuvor nicht geringe Summen liquide gemacht haben, um ein Objekt zu erwerben.

Deutschland ist von seinem Föderalismus geprägt; entsprechend wird auch die Kategorisierung einzelner Kulturgüter als "national wertvoll" von jeweils in den 16 Bundesländern bestellten Gremien vorgenommen. Um deren Funktionsfähigkeit sicherzustellen, wurde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) eine Überprüfung der seit Mitte 2016 geltenden Regelungen nach zwei Jahren angekündigt. In den bisher vergangenen acht Monaten ist kein Fall aufgetreten, der strittig geworden wäre. Dass der Staat, sollte er zum Mittel des Exportverbots für ein wertvolles Kulturgut greifen, dafür sorgen muss, dass dem Besitzer beim Verkauf an eine öffentliche Sammlung ein gerechter Preis gezahlt wird, ist völlig unbestritten. Dafür gibt es die Einrichtung der Kulturstiftung der Länder und der mit ihr arbeitenden Institutionen.

Bisher lässt sich resümieren: Die starke Beachtung in der Presse und Öffentlichkeit, die der Novelle des KGSG galt, hat die Latte insgesamt höher gelegt für eine Einordnung als Kulturgut, das von unabdingbar nationaler Bedeutung sein kann. Die viel beklagte Tatsache, dass es dafür im Gesetz keine engmaschig definierte Beschreibung gibt, kann zugleich Anlass sein, mit erhöhter Aufmerksamkeit darüber zu urteilen, was als "national wertvoll" denn gelten könne. "Niemand wird einen Präzedenzfall schaffen wollen, der unhaltbar ist", sagt dazu Philipp Demandt, der Direktor des Frankfurter Städel Museums und Liebieghauses. Das wird wohl auch der deutsche Kunsthandel, insbesondere der Auktionshandel, aus dessen Reihen die härtesten Widerstände kamen, inzwischen erkannt haben.

Die Autorin ist Feuilleton-Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".