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recht : Schluss mit hässlich

Internet-Plattformen sollen Hassbotschaften und Falschnachrichten künftig effektiver verbannen. Die neuen Löschvorschriften rufen aber auch Skeptiker auf den Plan

03.07.2017
2023-08-30T12:32:24.7200Z
4 Min

Es ist furchterregend, welchen Gewaltphantasien manche Menschen im Internet freien Lauf lassen. Und es ist empörend, wenn Menschen, die Objekt solcher Phantasien sind, es nicht schaffen, diese Einträge löschen zu lassen. Dabei sind die Betreiber von Internet-Plattformen nach dem Telemediengesetz dazu verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen, sobald sie ihnen gemeldet werden. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das der Bundestag vergangene Woche verabschiedet hat, soll nun dafür sorgen, dass die großen sozialen Netzwerke dieser Pflicht besser nachkommen.

Das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (18/12356, 18/13013) verpflichtet deren Betreiber unter Androhung von Bußgeldern bis zu fünf Millionen Euro, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden vorzuhalten, das für Nutzer leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar ist. Gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf, der von verschiedenen Seiten heftig kritisiert worden war, wurde das Gesetz in den parlamentarischen Beratungen noch erheblich verändert.

Es blieb dabei, dass offensichtlich rechtswidrige Inhalte in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt werden müssen. Für Inhalte, deren Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist, gilt eine Sieben-Tages-Frist. Eine Überschreitung soll nun aber möglich sein, wenn begründet mehr Zeit für die rechtliche Prüfung benötigt wird. Zudem können Plattform-Betreiber die Entscheidung über Zweifelsfälle an eine Art freiwillige Selbstkontrolle delegieren, in der Gesetzessprache an eine "anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung". Reguliert deshalb, weil die Einrichtung gesetzliche Kriterien erfüllen, staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht sein muss. Die Vorschriften orientieren sich am geltenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Mit diesen Änderungen soll das Overblocking, also die vorsorgliche Sperrung möglicherweise gar nicht strafbarer Inhalte, vermieden werden.

In der Schlussdebatte sprach Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die langwierigen und wenig erfolgreichen Gespräche mit den Plattform-Betreibern über freiwillige Maßnahmen gegen "Hasskriminalität im Netz" an. Währenddessen sei diese Kriminalität in Deutschland innerhalb von zwei Jahren um über 300 Prozent gestiegen. Deshalb "müssen wir Recht und Gesetz auch endlich im Netz durchsetzen", sagte Maas. Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, "und zu ihr gehören auch hässliche Äußerungen". Sie ende aber da, wo das Strafrecht beginnt, betonte Maas. Das neue Gesetz beende "das verbale Faustrecht im Netz" und schütze die Meinungsfreiheit aller.

Löschfristen Petra Sitte (Die Linke) kritisierte, dass die Koalition innerhalb weniger Monate den Gesetzentwurf eingebracht, beraten und schließlich am letzten regulären Sitzungstag des Bundestages zur Abstimmung gestellt hat. Natürlich gebe es Probleme mit Hass und Falschnachrichten im Internet, sagte Sitte, "aber nicht erst seit gestern". Deshalb wäre eine ernsthaftere Prüfung gesetzlicher Maßnahmen nötig. Sitte kritisierte insbesondere die Löschfristen, die zu knapp seien. "Damit werden den Plattformen teils sehr schwierige rechtliche Entscheidungen auferlegt", sagte Sitte. Dass sie im Zweifel auch eigentlich rechtmäßige Inhalte löschen würden, liege auf der Hand. Abwägungen und Entscheidungen über Strafbarkeit, über die eigentlich Gerichte entscheiden sollten, würden so "in die Hände von Privaten gelegt".

Natürlich sei Strafverfolgung Sache der Justiz, antwortete Nadine Schön (CDU). Aber schon heute hätten Plattform-Betreiber die Pflicht, strafbare Inhalte zu löschen, seien ihr jedoch "über Jahre nicht nachgekommen". Deshalb müsse der Gesetzgeber handeln. Sittes Argumentation nannte Schön "schlicht falsch". Man habe mit der "regulierten Selbstregulierung" ein "neutrales Gremium mit qualifiziertem Personal" eingeführt, an das die Plattform-Betreiber Zweifelsfälle auslagern könnten. Dies sei Praxis im Jugendmedienschutz. Damit werde die Entscheidung nicht Privaten überlassen, "aber auch keine staatliche Überwachungsbehörde etabliert", betonte Schön. Ihre Fraktionskollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) wies darauf hin, dass es hier wie bei der Finanzmarktregulierung um den Primat der Politik gehe. Konzerne dürften nicht die Regeln aufstellen.

Renate Künast (Grüne) hob hervor, der Bundestag habe nun "ganz grundlegende Weichen für das digitale Zeitalter" gestellt. Er gebe hier weltweit ein Muster vor, wobei ihr eines Sorgen bereite: "Da gucken auch undemokratische Länder auf uns." Statt eines schnellen Gesetzgebungsverfahrens hätte sie sich eine breite Debatte darüber gewünscht, was in der Gesellschaft los sei, dass es zu solchen Ausdrucksformen im Netz komme. Künast lobte ausdrücklich die in der Ausschussberatung noch vorgenommenen Änderungen. Dennoch habe sie "immer noch das Gefühl, dass der Reiz, zu löschen, größer ist als der Reiz, Recht und Meinungsfreiheit einzuhalten", die Betreiber also vorsorglich mehr löschen würden als sie müssten. Dazu merkte Lars Klingbeil (SPD) an, bei der Bußgeldandrohung in dem Gesetz gehe es nicht um den einzelnen Beitrag, "sondern darum, dass ein wirksames Beschwerdemanagement vorgehalten wird".

Der Deutsche Bundestag beschloss das Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke sowie einer Unions-Abgeordneten. Die Grünen enthielten sich der Stimme. (siehe auch Seite 9)