Piwik Webtracking Image

STAAT und KIRCHE : Gekreuzte Schwerter

Die weltliche und die geistliche Macht stritten über Jahrhunderte über den Führungsanspruch. So unterschiedlich die Streitpunkte waren, so unterschiedlich fielen die…

09.01.2017
2023-08-30T12:32:13.7200Z
5 Min

Die Ansage war unmissverständlich: "Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig", schimpfte Otto von Bismarck am 14. Mai 1872 im Reichstag in Berlin vom Rednerpult. Der deutsche Reichskanzler ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er in der Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche und Papst Pius IX. über das Verhältnis von Staat und Kirche, die als Kulturkampf in die Geschichtsbücher eingehen sollte, nicht zurückweichen würde.

Dass Bismarck den Bußgang des römisch-deutschen Kaisers Heinrich IV. im Jahr 1077 nach Canossa zu Papst Gregor VII. beschwor, war alles andere als Zufall. Ende des 19. Jahrhunderts galt der "Gang nach Canossa" national-liberal gesinnten Deutschen als Sinnbild nationaler Erniedrigung. Und bis heute zählt er zu einer der herausragendsten Ereignisse in einem über Jahrhunderte andauernden Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Macht um den Führungsanspruch.

Bereits im Jahr 494 hatte Papst Gelasius die sogenannte Lehre von den zwei Schwertern als Sinnbild für die weltliche und geistliche Macht, die die Welt regieren, entwickelt. Während des Streits über den Umgang mit den Anhängern des Monophysitismus stellte Galasius in einem Brief an oströmischen Kaiser Anastasios I. zugleich fest: "Denn Du weißt allergnädigster Sohn, dass Du, obgleich an Würde über das Menschengeschlecht gesetzt, dennoch den Vorstehern der göttlichen Dinge fromm den Nacken beugst und von ihnen die Mittel deines Heils erwartest." Entschieden war die Machtfrage damit aber nicht, verstanden sich die oströmischen und byzantinischen Kaiser in Konstantinopel bereits als Herrscher von Gottes Gnaden und damit dem "Stellvertreter Jesu Christi" mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Den Anspruch auf das Gottesgnadentum wird selbst heute noch von gekrönten Häuptern wie Queen Elizabeth II. aufrechterhalten.

Auch im lateinischen Westen bestimmte die Lehre von den zwei Schwertern über Jahrhunderte das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Und immer wieder kreuzten beide Mächte ihre Schwerter. Zu einer Eskalation führte schließlich der sogenannte Investiturstreit. Schon die Könige des fränkischen Reichs nahmen für sich das Recht in Anspruch, Bischöfe in ihre Ämter einzusetzen. Mit der Entwicklung des Reichskirchensystem unter dem römisch-deutschen Kaiser Otto I. bekamen die eingesetzten Bischöfe gleichsam weltliche Macht übertragen und gerieten so zunehmend unter den direkten Machteinfluss des Monarchen.

Ausgehend von der Kirchenreformbewegung in der Abtei Cluny gingen die Päpste schließlich gegen die Verweltlichung der geistlichen Ämter vor. Zwischen Heinrich IV. und Papst Gregor VII. kam es schließlich zum offenen Bruch. Heinrich forderte Gregor zur Abdankung auf, im Gegenzug exkommunizierte dieser den deutschen Herrscher. Schließlich musste Heinrich nachgeben und sich durch seinen Bußgang nach Canossa aus dem Kirchenbann befreien. Mit dem Wormser Konkordat 1122 legten Heinrich V. und Papst Calixt II. den Investiturstreit schließlich bei. Die Einsetzung der Bischöfe war fortan ausschließlich Sache der Kirche. Umgekehrt gaben sie ihre weltliche Macht im Reich jedoch nicht auf. Dies sollte noch bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803 dauern.

Die konkreten Gründe, warum die weltliche und die geistliche Macht immer wieder in Konflikt gerieten, konnten ganz unterschiedlicher Natur sein und zu ebenso unterschiedlichen Resultaten führen. Englands König Heinrich VIII., ursprünglich ein treuer Anhänger des Papsttums und erklärter Gegner der Reformation - Papst Leo X. verlieh im deshalb gar den Titel "Verteidiger des Glaubens" - kreuzte die Klinge mit der römischen Kurie aus einem auf den ersten Blick sehr privaten Anliegen. Er wollte die Ehe mit Katharina von Aragon durch den Papst annullieren lassen, um seine Geliebte Anne Boleyn heiraten zu können. Doch Clemens VII. verweigerte 1531 dem König diesen Wunsch und drohte offen mit Exkommunikation. sollte sich Heinrich darüber hinwegsetzen. Doch in diesem Fall verfehlte die Bannandrohung ihre Wirkung. Heinrich heiratete Boleyn zunächst heimlich und ließ die Ehe mit Katharina durch ein Gericht nachträglich scheiden. Als der Papst erneut drohte, sagte sich Heinrich von Rom los und mit der Verabschiedung der Suprematsakte von 1534 im Parlament wurde der englische König zum weltlichen Oberhaupt der anglikanischen Kirche von England.

Auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals kam es im katholischen Frankreich im Zuge der Revolution von 1789 zum Bruch mit Rom. Dort führte der Konflikt im Endergebnis zu einer völligen Trennung von Staat und Kirche. Auch für Napoleon I. stand fest, welche der beiden Mächte den Vorrang genießt und demonstrierte dies in einem symbolträchtigen Akt: Am 2. Dezember 1804 krönte er sich in der Kathedrale Notre Dame in Paris selbst zum "Kaiser der Franzosen" - ein bewusster Abschied von der Tradition der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, die als Ausdruck des Gottesgnadentums durch den Papst gekrönt worden waren. Der anwesende Papst Pius VII. musste sich mit der Rolle des Zuschauers begnügen.

Bereits als Konsul der französischen Republik hatte Napoleon mit dem Konkordat von 1801 für klare Verhältnisse zwischen Staat und Kirche gesorgt. Die katholische Religion wurde zwar als "die der großen Mehrheit der französischen Bürger" anerkannt, verlor aber endgültig den Status einer "Staatsreligion". Das Konkordat regelte das kirchliche Leben in Frankreich grundlegend und galt bis zum Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche von 1905, das bis heute gilt.

In Deutschland sollte die endgültige Klärung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche deutlich länger dauern. Infolge der Säkularisation im Zuge der französischen Revolution und der napoleonischen Besatzung hatte sich auch hier ein staatliches Selbstverständnis fern konfessioneller Bindungen oder päpstlicher Einflussnahme herausgebildet. Ende des 19. Jahrhunderts ging die katholische Kirche jedoch auf Gegenkurs. In seinem 1864 veröffentlichten "Verzeichnis der Irrtümer" übte Papst Pius IX. scharfe Kritik nicht nur an der Trennung von Staat und Kirche, sondern auch andere vermeintliche Irrtümer in Politik, Kultur und Wissenschaft, darunter die Religionsfreiheit. Und durch das Erste Vatikanische Konzil (1870) wurde die Stellung des Papstes durch die Formulierung des Unfehlbarkeitsanspruches in der Glaubens- und Sittenlehre noch einmal gestärkt. Den Vorrang der Politik wollte Rom nicht akzeptieren, sah sich der Papst als Herrscher über den Kirchenstaat durch den Einigungsprozess in Italien auch in seiner weltlichen Macht bedroht.

Im gerade gegründeten Deutschen Reich (1871) und vor allem im protestantischen Preußen führte dies zum sogenannten Kulturkampf, in dessen Verlauf der Einfluss der Kirche durch eine Reihe von Gesetzen massiv zurückgedrängt wurde. Der Kulturkampf trieb die Trennung von Staat und Kirche zwar voran. Abschließend geklärt wurde das Verhältnis beider Mächte dann mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919, die die Religionsfreiheit, die Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften und die weltanschauliche Neutralität des Staates festschrieb. Diese Prinzipien gelten bis heute. Zu einer strikten Trennung von Staat und Kirche kam es allerdings nicht, da eine Kooperation zwischen beiden Mächten ausdrücklich ermöglicht wurde.