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USA : Vom Traum zum Albtraum

Das Weiße Haus nimmt 800.000 »Dreamer« zum Faustpfand für eine verschärfte Einwanderungspolitik

16.10.2017
2023-08-30T12:32:28.7200Z
4 Min

Nancy Pelosi und Chuck Schumer konnten ihr Glück kaum fassen, als sie vor vier Wochen mit Donald Trump im Weißen Haus zu Abend aßen. Anders als über Monate immer wieder angedroht, zeigte sich der Präsident gegenüber den ranghöchsten Demokraten im amerikanischen Kongress willens, eine zentrale Errungenschaft der Einwanderungspolitik seines Vorgängers Obama gegen ein Entgegenkommen beim Thema Grenzschutz zu erhalten: den Abschiebeschutz für rund 800.000 junge Menschen, die als Kinder illegal in die USA gelangten.

So jedenfalls hatten es die Demokraten verstanden und den "Deal" mit Trump umgehend als Sieg für sich und der Vernunft gefeiert. Zum Leidwesen der herrschenden Republikaner im Parlament und der rechtskonservativen Basis Trumps, die den Präsidenten als Umfaller ("Amnestie-Don") bezeichnete und einen "irreparablen" Verstoß gegen "zentrale Wahlkampfversprechen" monierte. Wie sich jetzt zeigt, hat der Druck offenbar gewirkt. Der Jubel der demokratischen Opposition war verfrüht.

Laut einer umfangreichen Forderungsliste an den Kongress nimmt das Weiße Haus die 800.000 "Dreamer" (sie werden so genannt, weil sie von der amerikanischen Staatsbürgerschaft träumen) de facto als Faustpfand. Nur wenn Repräsentantenhaus und Senat die Einwanderungspolitik an allen Fronten massiv verschärfen, sollen die jungen Menschen, die als Kinder von ihren Eltern aus den teilweise bis heute von Gewalt, Drogen und Bürgerkriegen gebeutelten Staaten Latein- und Mittelamerikas in die USA gebracht worden waren, eine Lebensperpektive in den Vereinigten Staaten bekommen. Die Demokraten sprechen von einem "unzumutbaren" Sinneswandel, fühlen sich "betrogen" und kündigen erbitterten Widerstand an.

Wie eine Lösung aussehen kann, ist ungewiss. Dabei drängt die Zeit. Trump hat dem Kongress bis Anfang März nächsten Jahres Zeit gegeben, für die "Dreamer" eine gesetzlich wasserdichte Lösung zu finden. Kommt sie nicht, läuft ihre Schonfrist ab. Es sei denn, Trump vergrößert das Zeitfenster noch einmal. Hunderttausende müssten sonst mit der Abschiebung in Länder rechnen, die sie seit Kindheitstagen nicht mehr gesehen haben.

Bei den "Dreamern" handelt es es sich um Teilnehmer des von Obama gegen den Widerstand der Republikaner durchgesetzten DACA-Verfahrens ("Deferred Action for Childhood Arrivals"). Dabei konnten jungen Menschen, die zum Zeitpunkt ihrer illegalen Einreise in die USA jünger als 16 Jahre waren und sich seither nicht strafbar gemacht hatten, für rund 500 Dollar eine zwei Jahre gültige Arbeitserlaubnis beantragen, die vor der Abschiebung ins Heimatland schützt aber nicht gleichbedeutend mit einer Staatsbürgerschaft ist.

Trump hatte im Wahlkampf und danach immer wieder den Schlussstrich für das Programm angekündigt. Dagegen hatten Kirchen, Universitäten, Menschenrechtsorganisationen und große Wirtschaftsunternehmen von Google über Apple bis Microsoft heftig protestiert. So lange, bis Trump verbal einknickte. Er habe ein "großes Herz", sagte der Präsident, und fragte rhetorisch an die Adresse seiner 40 Millionen Twitter-Anhänger: "Will wirklich irgendjemand gute, gebildete, gemachte junge Leute hinauswerfen, die Arbeit haben oder im Militär dienen? Ehrlich! Sie sind ohne eigenes Verschulden seit langem in unserem Land - von Eltern in jungen Jahren hergebracht."

Das Abweichen vom versprochenen Kurs empfinden laut Trumps ehemaligem Chefberater Stephen Bannon in der Kern-Wählerschaft des Präsidenten viele als "Verrat am amerikanischen Arbeiter". Dem hatte Trump nach Jahren der "Vernachlässigung" durch demokratische und republikanische Regierungen Vorzugsbehandlung versprochen. Latinos als Billigarbeitskäfte stören in diesem Szenario.

Von diesem Kurs abzuweichen, so erklärte der bei Fox News angestellte TV-Moderator Sean Hannity, sei für Trump "politischer Selbstmord". Seit Bannons Rauswurf betreut der junge Präsidenten-Berater Stephen Miller die rechtskonservative Flanke. Aus seiner Feder (und der von Justizminister Jeff Sessions) stammt auch die lange Liste von Bedingungen, unter denen sich das Weiße Haus einen Abschiebeschutz für die "Dreamer" vorstellen kann.

Allen voran: die Finanzierung für die von Trump seit zwei Jahren versprochene Mauer an der Grenze zu Mexiko, zügigere Abschiebungen, weniger Asylrecht, weniger Familiennachzug, weniger unbefristete Aufenthaltsberechtigungen (green cards) und ein härteres Durchgreifen gegen Minderjährige aus Lateinamerika, die allein in die USA kommen. Um die Verschärfungen ins Werk zu setzen, soll die Einwanderungsbürokratie massiv aufgestockt werden: Trumps Büchsenspanner verlangen 10.000 zusätzliche Kontrolleure bei der Einwanderungs- und Zollbehörde ICE. 300 neue Staatsanwälte, 370 Richter und 1.000 Anwälte sollen den Durchgriff des Staates beschleunigen, sprich: schneller aburteilen, schneller abschieben. Auch und gerade bei Einwanderern, die die Laufzeit ihres Touristen-Visums (drei Monate) überziehen, um in den USA bleiben zu können.

Letzter, absehbar kontroverser Punkt: Städte und Gemeinden, die Illegalen mit Nachsicht begegnen, sie offen dulden und polizeilich nicht verfolgen, wenn sie keine gültigen Aufenthaltspapiere vorweisen können, sollen hart bestraft werden. Trump will den sogenannten Zufluchtsstädten ("sanctuary cities"), von denen es gerade an der Westküste Hunderte gibt, Bundeszuschüsse streichen.

Nur wenn alle Forderungen erfüllt werden, so Marc Short, Trumps Direktor für Gesetzgebungsangelegenheiten, vor Journalisten in Washington, könnten die "gesetzlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen entschärft werden", die eine Absicherung der 800.000 "Dreamer" mit sich brächte.

Die Demokraten sehen in dem Lockangebot eine unzulässige Verknüpfung. "Das Weiße Haus will die Dreamer als Verhandlungsmasse benutzen, um seine Abschiebungsziele zu erreichen", sagte der Kongress-Abgeordnete Joaquin Castro aus Texas. Sein Kollege Luis Gutierrez sprach sogar von einer "Verlängerung der Politik der weißen Vorherrschaft", die Trump betreibe. Beide riefen ihre Partei zum Widerstand auf. Nancy Pelosi und Chuck Schumer, die Anführer der Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus, zeigten sich ernüchtert. Trumps Wunschliste gehe "weit über alles Vernünftige hinaus". Der Präsident lasse "überhaupt keinen Willen zum Kompromiss" erkennen. Beim nächsten Abendessen sind sie gewarnt.

Der Autor ist US-Korrespondent der "Funke-Mediengruppe"